„In-vitro-Befruchtungen sind der wichtigste Schritt zum Erhalt bedrohter Arten“
Das Sumatra-Nashorn und das Nördliche Breitmaulnashorn stehen kurz vor dem Aussterben. Thomas Hildebrandt und seine Kollegen vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung wollen ihnen zu Nachwuchs verhelfen.
Herr Hildebrandt, Sie waren vor kurzem in Borneo und haben dem letzten noch lebenden Sumatra-Nashorn Malaysias eine Eizelle entnommen. Wie geht es Iman?
Sie ist schwer krank. Sie hat einen Blasentumor, starke Veränderungen im Uterus und wird nicht mehr lange leben. Wir konnten ihr nur eine Eizelle entnehmen, die dann leider innerhalb weniger Tage nach der Befruchtung degeneriert ist. Hoffentlich bleibt in diesem Winter noch Zeit für einen weiteren Versuch.
Wie entnehmen Sie einem Nashorn eine Eizelle?
Mein Kollege Frank Göritz macht zusammen mit lokalen Tierärzten die Narkose. Bei den Nördlichen Breitmaulnashörnern und dem Sumatra-Nashorn kommt man mit herkömmlichen Ausrüstungsgegenständen nicht weiter, weil sie alle Tumore haben, die verhindern, dass man die Eizellen vaginal entnehmen kann. Die Gefahr, dass man das Tier verletzt, wäre zu hoch. Die Nashörner haben Adern so stark wie Kinderarme, da sollte man auf keinen Fall hineinstechen. Man muss stattdessen durch den Darm die Eierstöcke finden und die Eizellen absaugen. Die Nadel, die wir dafür benutzen, ist einen ganzen Meter lang.
Können Sie Wissen aus der Humanmedizin oder dem Nutztierbereich anwenden?
Nein, nur die Arbeit im Labor ähnelt sich. Unser Bereich ist außerordentlich speziell, gerade was die Entnahme von Eizellen und den Transfer zurück ins Tier angeht. Weltweit sind wir die einzigen, die die Expertise haben, so eine Entnahme bei Wildtieren sicher durchzuführen – nur wir machen die entsprechende Grundlagenforschung. Zum Glück gibt es neuerdings ein sehr beeindruckendes Reproduktionslabor für Wildtierarten direkt auf Borneo. Die Regierung von Malaysia hat dort etwa eine Million Euro in die Technik investiert.
Wurde die Eizelle Imans nach der Entnahme direkt in das Labor gebracht?
Unser indonesischer Kollege Arief Boediono hat die Eizelle in Borneo abgeholt und sofort in ein Medium zur Reifung gesetzt. Die Transferzeit zum Labor beträgt in Borneo nur drei Stunden und die Außentemperatur ist recht hoch, daher mussten wir die Eizelle nicht herunterkühlen, wie bei den Nördlichen Breitmaulnashörnern in Kenia. Dort wurden die Eizellen bei exakt 22 Grad schlafen gelegt und erst nach 36 Stunden wiedererweckt. In Borneo können wir dieses zusätzliche Risiko ausschließen. Im Labor hat Boediono die Eizelle dann direkt weiterverarbeitet. In dem Moment, in dem wir sie entnehmen, hat sie noch einen doppelten Chromosomensatz, der für die Befruchtungsfähigkeit halbiert werden muss. Dieses halbe Genom wird mithilfe eines Polkörpers aus der Zelle herausgebracht. Das sieht dann aus wie eine kleine Erbse oder Bohne, die neben der dicken Eizelle liegt.
Im indonesischen Teil Borneos leben noch weitere weibliche Sumatra-Nashörner. Gibt es noch eine Chance auf Reproduktion, falls Iman vor einer weiteren Eizellentnahme stirbt?
Es gibt große diplomatische Probleme, weil die Amerikaner das indonesische Sumatra-Nashorn-Programm bezahlen und uns nicht mögen. Obwohl es sehr progressive indonesische Kollegen gibt, die unbedingt wollen, dass wir dort hinkommen. Außerdem gibt es nicht einmal ein bilaterales Abkommen zwischen Malaysia und Indonesien. Wir wollen seit vier Jahren neues Sperma für einen Befruchtungsversuch aus Indonesien importieren, bis heute war das nicht möglich.
Gibt es kein malaysisches Sperma mehr?
Doch, aber das hat eine sehr schlechte Qualität. Für die Injektion direkt in die Eizelle braucht man nur ein einziges gutes Spermium. Es könnte auch tot sein; wenn das Genom intakt ist, erledigt die Eizelle den Rest.
Besteht international Einigkeit über das Vorgehen zum Arterhalt?
Es gab in diesem Sommer ein Treffen der Weltnaturschutzunion (IUCN) zur Zukunft des Sumatra-Nashorns. Es ist nicht nur eine eigene Art, sondern auch eine eigene Gattung. Eine ganze Gattung ist lange nicht mehr von unserem Planeten gegangen. Das hat die IUCN zum Handeln bewegt. Wir haben mit den internationalen Kollegen aus Malaysia, Indonesien und den USA zusammengesessen, aber leider gehen die Meinungen über den Schutz sehr auseinander.
Wie sind die unterschiedlichen Standpunkte?
Die einen sagen, dass die natürliche Nachzucht der Weg sei, diese Tiere zu retten. Lange Zeit war die vorwiegende Meinung, man müsse nur das Habitat schützen. Das hat sich als fatal herausgestellt, weil so zwar einzelne Tiere am Leben erhalten wurden, aber kein Nachwuchs gefördert wurde. Die weiblichen Tiere, die allein in diesem geschützten Habitat leben, sind alle an Tumoren und Uteruszysten erkrankt, weil sie keinen Zuchtpartner haben und keine Jungen bekommen. Iman kam schon mit fast fußballgroßen Tumoren aus der Wildbahn, weil sie mindestens zehn Jahre keinen Nachwuchs hatte. Der Habitatschutz darf nicht die alleinige Doktrin sein. In-vitro-Befruchtungen sind der wichtigste Schritt zum Erhalt bedrohter Arten.
Sie haben aus Kenia zwei Embryonen vom Nördlichen Breitmaulnashorn erhalten können. Wie geht es den beiden letzten Tieren Ihrer Art?
Sie sind nach der Eizellenentnahme aufgestanden, haben gefressen und sich erstmal ein Schlammbad gegönnt. Mit dieser Demonstration haben wir in Kenia sehr viele Vorurteile und Bedenken aus dem Weg geräumt. Kenya Wildlife Service hat uns einen Hubschrauber zur Verfügung gestellt, um die Eizellen so schnell wie möglich zum internationalen Flughafen zu transportieren. Wir haben zwei hervorragende Blastozysten einfrieren können und hoffen, dass dieses Umdenken weiter geht.
Was passiert mit den beiden Blastozysten weiter?
Wir können sie nur in vorbereitete Leihmütter einpflanzen, die den gleichen Trächtigkeitsstatus haben wie der Embryo, den wir eingefroren haben. Diese Leihmütter müssten also etwa an Tag vier pseudoträchtig sein. Am fünften Tag nach der Befruchtung entsteht die Blastozyste, die erste Form des Embryos, bei der unterschiedliche Zellen zu erkennen sind.
Und eine solche Schwangerschaft können Sie simulieren?
Wir haben das mit Hormonen unter Zoobedingungen bei vier Tieren durchgeführt. Bei einem Tier sah es sehr vielversprechend aus, der Embryo ist gewachsen. Aber beim Implantieren kam es zu Störungen zwischen Mutter und Embryo, und der Embryo ist dann leider abgestorben. Wir hoffen, dass uns so etwas nicht beim Nördlichen Breitmaulnashorn passiert. Ein wichtiger Faktor, um das zu verhindern, ist der Geschlechtsverkehr, weil das Ejakulat das Immunsystem des weiblichen Organismus verändert. Wir wollen daher einen Nashornbullen für die Leihmütter sterilisieren.
Sollte die Reproduktion gelingen – wären die Tiere nach der Gewöhnung an ihr Habitat dort auch sicher?
Das viel geäußerte Misstrauen, dass die Afrikaner die Tiere dann gleich wieder abschießen, ist meiner Meinung nach unbegründet. Ich glaube, wenn man das Nördliche Breitmaulnashorn wieder zurückbringt, kommt ein solcher Schub in den Ökotourismus, dass die betroffenen Länder ein erhebliches Interesse am Schutz dieser Tiere haben. Das ist vergleichbar mit den Berggorillas oder auch mit dem Großen Pandabär in China, die Besuchermagneten sind.
Gibt es noch andere erfolgversprechende Möglichkeiten der Reproduktion?
Wir arbeiten gemeinsam mit japanischen Kollegen unter Leitung von Professor Katsuhiko Hayashi daran, Eizellen über Hautzellen im Reagenzglas zu produzieren. Das ist 2016 schon an der Maus beeindruckend demonstriert worden. Hayashi hat vor kurzem von uns embryonale Nashorn-Stammzellen bekommen. Beim Menschen bräuchte man knapp hundert Embryonen, um eine Stammzelle zu erhalten. Beim Nashorn ist es uns gelungen, zwei Stammzell-Linien aus vier Blastozysten zu gewinnen.
Was halten Sie davon, bereits ausgestorbene Tiere wie das Mammut wieder auferstehen zu lassen?
Davon halten wir wenig. Tiere wie das Mammut, das vor 4000 Jahren ausgestorben ist, haben heute keine ökologische Funktion mehr. Die Tiere, die wir retten wollen, haben nicht in der Evolution versagt, sondern sterben aus, weil sie nicht kugelsicher sind.
Mehr über bedrohte Tiere steht in der Ausgabe 10/2019 des National Geographic-Magazins mit dem Titel "Die Letzten ihrer Art".