Kann Spinnengift Krankheiten heilen?

Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut in Gießen erforschen den Nutzen, den das Gift von Spinnen hat – und seine Einsatzmöglichkeiten in der menschlichen Medizin.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 4. Jan. 2022, 09:43 MEZ, Aktualisiert am 5. Jan. 2022, 14:28 MEZ
Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, das Gift der Wespenspinne zu entschlüsseln. Es könnte zukünftig in der ...

Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, das Gift der Wespenspinne zu entschlüsseln. Es könnte zukünftig in der Medizin zum Einsatz kommen. 

Foto von Florian Dzula

Kaum ein Tier stößt bei so vielen Menschen auf Ablehnung wie die Spinne – obwohl schon lange bekannt ist, dass die Achtbeiner viele positive Eigenschaften haben. Den großen Nutzen ihres Gifts untersucht derzeit die Arbeitsgruppe „Animal Venomics“ am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Gießen. Unter anderem hat sich dabei gezeigt, dass ihre Toxine sich sehr gut als Grundlage für Biopestizide eignen. Doch das Gift kann nicht nur eine tödliche, sondern auch eine heilsame Wirkung haben. „Im Spinnengift steckt viel Potenzial für die Medizin“, sagt Dr. Tim Lüddecke, Biochemiker und Leiter des Forschungsteams.

Die Tücken der Spinnenforschung

Laut bisherigen Forschungsergebnissen soll zum Beispiel der Giftcocktail der Australischen Trichternetzspinne bei der Behandlung von Nervenschäden nach Schlaganfällen oder der Verlängerung der Haltbarkeit von Transplantationsorganen helfen. Die Toxine anderer Spinnen eignen sich als Antibiotikum oder Schmerzmittel. Prinzipiell seien Spinnengifte eine weitgehend unerschlossene Ressource, so Tim Lüddecke, „es handelt sich um ein sehr junges Forschungsfeld.“ Die Wirkstoffe seien zwar entdeckt und beschrieben, müssten aber noch auf Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geprüft werden.

Die Ordnung der Webspinnen umfasst fast 50.000 Arten, die Forschung konzentrierte sich bisher jedoch hauptsächlich auf die Toxine großer oder potenziell gefährlicher Tropenspinnenarten. Die Giftmengen, die kleinere mitteleuropäischen Spezies abgeben, waren für Experimente nicht ausreichend. Inzwischen sind die Analysemethoden laut Tim Lüddecke aber präzise genug, „um auch die geringen Mengen der bisher vernachlässigten Mehrheit der Spinnen untersuchen zu können.“

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Neue Erkenntnisse bei der Wespenspinne

Dadurch rückte eine Spinnenart in den Fokus der Arbeitsgruppe, die bis vor 50 Jahren vor allem im südlichen Europa verbreitet war, inzwischen aber in fast allen europäischen und auch einigen asiatischen und nordafrikanischen Ländern heimisch ist: die Wespenspinne (Argiope bruennichi). Ihren Namen verdankt sie nicht nur der Tatsache, dass sie sich bevorzugt von Wespen und Bienen ernährt, sondern auch den gelb- schwarzen Streifen auf dem Hinterleib der bis zu 25 Millimeter großen Weibchen.

Den Wissenschaftlern ist es jetzt gelungen, das Gift der Spezies zu entschlüsseln und dabei zahlreiche neue Biomoleküle zu identifizieren. Die Ergebnisse ihrer Forschung wurden in der Fachzeitschrift Biomolecules veröffentlicht.

Im Gift der Wespenspinne wurden Moleküle gefunden, die Neuropeptiden ähneln – Botenstoffen, die für den Informationsaustausch zwischen Nervenzellen zuständig sind. „Wir haben neuartige Familien von Neuropeptiden gefunden, die wir bislang von anderen Spinnen nicht kennen“, erklärt Tim Lüddecke.

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    Das Gift der Spinne: toxisch und hochkomplex

    Spinnengifte sind äußerst komplex und können aus bis zu 3.000 Komponenten bestehen. Größtenteils handelt es sich dabei um hochmolekulare Bestandteile, darunter CAP-Proteine, Enzyme und Knotane. Diese neurotoxischen Peptide weisen eine Knotenstruktur auf, die sie gegenüber diversen Abbauprozessen besonders widerstandsfähig macht. Weil sie dadurch den Magen-Darm-Trakt relativ unbeschadet passieren können, eignen sie sich gut für die Verwendung in Medikamenten, die oral eingenommen werden. Außerdem binden sie sich an spezifische Proteinkomplexe in der Zellmembran, was eine niedrigere Dosierung von Arzneimitteln erlaubt, wodurch das Risiko von Nebenwirkungen reduziert wird.

    Für die Entschlüsselung der Genstruktur der Toxine mussten die Wissenschaftler die mRNA aus kleinen Mengen des Gifts sequenzieren. Nachdem das Giftprofil der Wespenspinne nun vollständig vorliegt, soll die Gensequenz im nächsten Schritt in Bakterienzellen eingebaut werden. „Wir bauen quasi genetisch modifizierte Bakterien, die das Toxin in großem Maßstab herstellen“, so Tim Lüdecke. 

    Die Hauptkomponente des Wespenspinnengifts, das CAP-Protein, konnte bereits in Großserie produziert werden. Erste funktionelle Studien sollen in Kürze starten.

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