Alles für die Arterhaltung: Warum Giraffen Urin trinken
Wissenschaftler haben das Paarungsverhalten von Giraffen untersucht – und sind dabei auf ungewöhnliche Praktiken gestoßen.
Um sich fortzupflanzen müssen Giraffen erfinderisch werden. Denn Paarungsrufe oder -tänze gibt es bei ihnen nicht.
Flirten will gekonnt sein: Bei uns Menschen funktioniert es über Blickkontakt, Gesten oder Komplimente. Das Sexualverhalten von Giraffen gestaltet sich dagegen etwas komplizierter. Im Gegensatz zu anderen Tierarten verfügen sie weder über Paarungsrufe oder -tänze noch gibt es bestimmte Brunftzeiten. Außerdem werden die Weibchen nicht läufig, wie es etwa bei Hunden der Fall ist.
Doch woher wissen Giraffen-Männchen dann, wann der perfekte Zeitpunkt ist, um die Aufmerksamkeit eines Weibchens zu buhlen? Ein Forschungsteam der School of Veterinary Medicine an der University of California hat sich in einer Studie näher mit dieser Frage auseinandergesetzt – und das Sexualverhalten der Giraffen unter die Lupe genommen.
Flehmen: Die Suche nach Pheromonen im Urin
Für ihre Studie, die in der Zeitschrift MDPI erschien, werteten Lynette und Benjamin Hart eine Vielzahl an gefilmten Annäherungsversuchen zwischen Giraffen im Westen des Etosha Nationalparks in Namibia aus. Dabei wurde deutlich: Die Annäherung beginnt meist mit einer Aufforderung der Bullen durch Anstupsen und Beschnüffeln der Genitalien der Weibchen.
Aufgrund fehlender sonstiger Anzeichen für ihre Paarungsbereitschaft sind die Bullen gezwungen, ihre Angebetete zum Wasserlassen zu motivieren. Denn am Geruch des Urins und den im Urin enthaltenen Pheromonen können sie erkennen, ob die Zeit für eine Paarung gekommen ist. „Er muss ihre Kooperation hervorrufen und quasi sagen: ,Bitte urinieren Sie jetzt.' Und oft tut sie das auch“, so Benjamin Hart. Dann erleichtert sich das Weibchen für einige Sekunden und der Bulle nutzt die Gelegenheit, um mit seiner Zungenspitze den Urin in sein Maul aufzunehmen.
Anschließend reckt er seinen Kopf in die Höhe, kräuselt seine Oberlippe und atmet durch den geöffneten Mund. Durch diesen Vorgang, das sogenannte Flehmen, werden Duftstoffe und Pheromone an das Vomeronasalorgan (VNO), mit dem die Tiere Gerüche wahrnehmen, weitergeleitet. So kann der Bulle die mögliche Paarungsbereitschaft des Weibchens wittern.
Ein langer Hals macht erfinderisch
Bekannt ist das Flehmen auch von anderen Säugetieren wie Pferden oder Katzen. Benjamin Hart studierte den Vorgang zuvor etwa anhand der Anatomie von Ziegen. Allerdings haben laut ihm viele Huftiere eine deutlich vorteilhaftere Verbindung vom Nasen- und Rachenraum zum VNO – bei Giraffen ist diese eingeschränkt.
Beim Flehmen muss der Bulle seine Maul nah an das Hinterteil der Kuh bringen.
Außerdem würden viele Arten es bevorzugen, den Urin erst zu untersuchen, wenn dieser den Boden erreicht hat. Lynette Hart, Co-Autorin der Studie, erklärt das vergleichsweise ungewöhnliche Verhalten der Giraffenbullen mit deren Körperform: Aufgrund der extremen Entwicklung von Kopf und Hals sei es für die Tiere sehr umständlich, ihren Kopf bis zum Boden zu bewegen. Rund sechs Meter können zwischen Giraffenkopf und dem dort befindlichen Urin liegen.
Laut Benjamin Hart können Forschungen wie diese nicht nur der Wissenschaft, sondern auch dem Schutz der Tiere selbst zugutekommen. „Menschen lieben es, Giraffen zu beobachten“, so der Veterinärmediziner. „Je mehr die Öffentlichkeit über sie versteht, desto mehr werden sie an ihrer Erhaltung interessiert sein.“