Warum immer mehr Weißstörche in Deutschland überwintern
In der kalten Jahreszeit zieht es Zugvögel wie den Storch in den Süden. Doch nicht alle von ihnen erreichen das Ziel Nordafrika. Einige Exemplare kürzen die Route ab – oder bleiben direkt zuhause. Über eine clevere Überlebensstrategie.
Ungewohnter Anblick: Eigentlich ziehen Weißstörche im Winter in den Süden. Nun verbringen viele Exemplare die kalte Jahreszeit in Deutschland.
Es wird früher dunkel, die Blätter fallen allmählich von den Bäumen und die Temperaturen sinken: Die kalte Jahreshälfte hat begonnen. Während die meisten Menschen die grauen Tage in Deutschland verbringen müssen, ziehen Zugvögel für die kühlen Monate ins Warme.
Doch längst nicht mehr alle von ihnen scheint es über den Winter nach Nordafrika zu verschlagen: Viele westziehende Weißstörche fliegen nur noch bis zur Iberischen Halbinsel – oder bleiben direkt in Deutschland. Woran liegt das?
Überwintern in Spanien: Clevere Überlebensstrategie?
Weißstörche ziehen von Deutschland aus entweder über die Westroute über die Iberische Halbinsel oder über die Ostroute über den Balkan in die nordafrikanischen Länder. Sie umfliegen das Mittelmeer auf dem Landweg, da sie Segelflieger sind, die bestimmte Aufwinde benötigen, die es über dem Meer nicht gibt.
Unter den Westziehern gibt es allerdings immer mehr Individuen, die nicht an ihrem eigentlichen Ziel ankommen. „Auf der westlichen Zugroute hat sich seit den 1980er Jahren viel verändert“, schreibt Kai-Michael Thomsen, Storchen-Experte des NABU, in einem Blogeintrag. Die Anzahl der Tiere, die in Spanien und Portugal verweilen, statt bis zum afrikanischen Kontinent zu fliegen, habe sich vervielfacht.
„Die Weißstörche finden auf der Iberischen Halbinsel viel Futter vor“, so Thomsen. Ein Grund dafür sind die offenen Mülldeponien: Wo der organische Müll lagert, versammeln sich auch die Störche, so der Experte. Das Abkürzen der Zugroute bringt den Tieren entscheidende Vorteile: Sie sparen sich einen gefährlichen Teil ihrer Reise und steigern damit insgesamt ihre Überlebenschancen. „In der Folge ist der Bestand des Weißstorchs in Westeuropa stark angestiegen“, erklärt Thomsen.
Wie überleben Weißstörche den deutschen Winter?
In den letzten Jahren konnten Forschende und Naturschutzorganisationen neben den Störchen auf der Iberischen Halbinsel noch ein weiteres Phänomen beobachten: Weißstörche, die gar nicht erst losfliegen, sondern den Winter in Deutschland verbringen. Warum genau die Tiere ihr Zugverhalten geändert haben, ist bislang nicht abschließend geklärt. Eine wahrscheinliche Möglichkeit könnten die Auswirkungen der Klimakrise sein.
Entscheidend für den Flug in den Süden war bisher nie die Temperatur, sondern das fehlende Nahrungsangebot im Winter. Die Kälte macht den großen Vögeln nämlich kaum etwas aus. Sie können Wärme besser speichern als kleinere Vögel, erklärt Bernd Petri von der NABU-Bundesarbeitsgruppe Weißstorchschutz in einer Mitteilung. Seit die Winter im Zuge des Klimawandels insgesamt milder werden, finden die Tiere auch in Deutschland ausreichend Futter, darunter Mäuse oder Würmer.
Ähnlich wie bei ihren Artgenossen, die sich in Spanien und Portugal niederlassen, bringt auch das Zuhausebleiben Vorteile: „Bleiben die Vögel hier, ersparen sie sich zum einen den kräftezehrenden Zug“, so Petri. Zum anderen seien sie schneller wieder in den hiesigen Brutgebieten als ihre ziehenden Artgenossen, wenn es wärmer wird – und könnten sich somit die besten Neststandorte sichern.
Mitmach-Aktion: Weißstörche zählen
Um das veränderte Zugverhalten der Weißstörche besser zu verstehen, will der NABU die Anzahl der Tiere, die in Deutschland überwintern, nun dokumentieren. Dabei kann jede*r mithelfen: Wer einen Weißstorch sichtet, kann ihn ab dem 1. November auf der NABU-Naturgucker-Seite melden und damit zum Schutz der Tiere beitragen.