Im Auge des Sturms: Wie Vögel lange Strecken über den Meeren meistern

Bei ihren langen Reisen über die Weltmeere sind Zug- und Seevögel extremem Wetter ausgesetzt. Trotzdem legen sie jedes Jahr unglaubliche Strecken zu ihren Winterquartieren zurück. Ein Blick auf die tierischen Meisterleistungen in hoher Luft.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 12. Mai 2023, 09:39 MESZ
Albatross über dem Meer.

Seevögel haben es über dem Meer um einiges einfacher als Landvögel. Albatrosse können beispielsweise sehr hohe Windgeschwindigkeiten aushalten.

Foto von robert / Adobe Stock

Von Deutschland bis nach Afrika – jedes Jahr verlassen unzählige Vögel die kälteren Gefilde, in denen sie sonst zu Hause sind, und nehmen teilweise extrem lange Reisen auf sich. Dabei fliegen sogenannte Langstreckenzieher am weitesten in ihre Winterquartiere – und müssen zumindest einen Teil dieser Strecke auf hoher See bestreiten. Wie bewältigen sie die Reise über das Meer mit immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen?

Doch nicht nur Zugvögel haben mit den Wetterverhältnissen auf See zu kämpfen, auch Seevögel sind den Naturgewalten über den Ozeanen konstant ausgeliefert. Sie legen unglaubliche Strecken über den Weltmeeren zurück – immer stärker werdenden Stürmen zum Trotz. Wie schaffen sie das? 

Die Pfuhlschnepfe ist eine Rekordhalterin unter den Langstreckenziehern, also den Vögeln, die lange Strecken für ihre Winterquartiere auf sich nehmen. Insgesamt legt Strecken von bis zu 13.500 Kilometern ohne Zwischenlandung zurück.

Foto von dennisjacobsen / Adobe Stock

Wie gehen Vögel mit Wind und Stürmen auf hoher See um?

Bei der Frage, wie Vögel mit den immer häufiger auftretenden extremen Wetterereignissen auf ihren Reisen umgehen, ist laut Elham Nourani vom Max Planck Institute of Animal Behavior zunächst die Unterscheidung zwischen See- und Landvögeln unerlässlich. Während Landvögel bei ihren Reisen ihr gewohntes Habitat, für das ihre Körper ausgelegt sind, verlassen, sind Seevögel dafür gebaut, eine lange Zeit durch die Luft über dem Meer zu gleiten. „Viele Seevögel haben lange, schmale Flügel, die es ihnen ermöglichen, leicht über dem Wind zu schweben“, sagt sie.

Ihre Art zu fliegen nennt man auch dynamischen Segelflug, bei dem sich Vögel die Windfelder über dem Meer durch eine Art Zick-Zack-Flug zu Nutzen machen. Albatrosse beispielsweise müssen ihre Flügel auf ihren Reisen über das Meer aufgrund dieser Technik kaum bewegen. Dadurch sparen sie und andere Seevögel Energie – wodurch ihnen auch auf weiten Reisen nicht die Kraft ausgeht. Wenn sie doch mal eine Pause brauchen, sind sie außerdem gute Schwimmer und können auch bei stärkerem Wellengang mitten im Meer Rast auf dem Wasser einlegen.

Doch welche Windgeschwindigkeiten halten diese Vögel in der Regel aus – und wann kommen sie ins Wanken? Diesen Fragen ging Nourani mit ihren Kolleg*innen in einer aktuellen Studie im Fachmagazin Current Biology auf den Grund. 

Vögel können Stürme voraussehen – und reagieren

Dazu stattete das Team insgesamt 18 verschiedene Vogelarten mit GPS-Trackern aus, die ihre Flugroute speicherten. Die Daten wurden mit den jeweils herrschenden Windgeschwindigkeiten verglichen. Dabei kam heraus, dass Vögel, die den dynamischen Segelflug nutzen, hohe Windgeschwindigkeiten oft sogar bevorzugen – und durch ihre Flugweise die jeweilige Windgeschwindigkeit sogar übertreffen können. „Unsere Daten zeigen, dass große Vögel wie Albatrosse bei Winden von bis zu 23 Meter pro Sekunde fliegen können“, so Nourani.

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    Viele kleinere Vögel vermieden das Fliegen allerdings schon bei Windgeschwindigkeiten von über 17 Metern pro Sekunde. In solchen Fällen verändern die Tiere ihre Flugrouten oder warten den Sturm ab, bevor sie sich weiter auf die Reise machen. Die Studie eines amerikanischen Forschungsteams zeigte, dass Zugvögel starke Stürme in gewissem Maße sogar voraussehen können: Vögel können Luftdruckänderungen und auch niederfrequenten Schalldruck wahrnehmen und so Stürmen zu einem gewissen Grad aus dem Weg gehen – beispielsweise durch Anpassungen der Flughöhe, das Umrunden von Stürmen oder, wenn möglich, auch durch Abwarten. 

    Albatrosse im Auge des Sturms

    In Nouranis Studie offenbarte sich noch eine weitere Methode, die Vögel bei Stürmen auf hoher See nutzen: „Eines der interessantesten Ergebnisse unserer Studie war, dass Albatrosse in das Auge von Stürmen flogen – also in das nahezu windstille Zentrum von Wirbelstürmen –, um sehr starke Winde zu vermeiden“, sagt die Forscherin. Dieses Verhalten habe man zuvor erst ein einziges Mal in einer Studie nachweisen können. Ein ungewöhnliches Verhalten für eine Vogelart, die hohen Windgeschwindigkeiten eigentlich am besten standhalten kann.

    So könnte die Fähigkeit, im Auge eines Sturms zu fliegen, unter Seevögeln weiter verbreitet sein, als bisher gedacht – und eine weitere Umgangsform der Tiere mit Extremwetter auf ihren Reisen darstellen. Außerdem fand das Team heraus, dass Vögel manchmal Windgeschwindigkeiten mieden, denen sie normalerweise standhalten können – vermutlich, um auf Kurs zu bleiben.

    Auch Zugvögel wie der Sprosser, der in Singverhalten und Aussehen der Nachtigall sehr ähnelt, legen teilweise lange Strecken über das Meer zurück. Als Langstreckenzieher fliegt der Sprosser über das östliche Mittelmeer bis nach Ostafrika. 

    Foto von Andrey Gulivanov / Unsplash

    Eine alljährliche Herausforderung: Landvögel auf hoher See

    Auch Landvögel, die als Zugvögel jedes Jahr Zuflucht in wärmeren Gefilden suchen, müssen mit dem Wetter über den Meeren zurechtkommen. Sie sind nach Angaben eines Berichts der Wadden Sea Flyway Initiative, Wetlands International und BirdLife International aufgrund des Klimawandels immer stärker bedroht. Zum Beispiel im Wattenmeer: Neben dem Meeresspiegelanstieg setzen Starkregen und Stürme den Vögeln beim Rasten und Brüten zu.

    Grundsätzlich ist der Flug über das Meer für sie immer wieder eine Herausforderung: An Land nutzen größere Zugvögel beim Fliegen die Thermik, also den Aufwind, der durch die Sonneneinstrahlung auf den Erdboden generiert wird. Vögel mit großen Flügeln wie Weißstörche, Mäusebussarde oder Milane müssen so weniger mit ihren Flügeln schlagen als kleine Vögel. Nutzen können sie die Thermik nach neuesten Erkenntnissen zwar auch auf dem Meer, allerdings ist das Ausmaß, in dem das möglich ist, noch wenig erforscht. „Generell sind Landvögel nicht an den Flug über das Meer angepasst, sodass er für sie energetisch aufwendiger ist als der Flug über Land“, sagt Nourani. 

    “Generell sind Landvögel nicht an den Flug über das Meer angepasst, sodass er für sie energetisch aufwendiger ist als der Flug über Land.”

    von Elham Nourani
    Max Planck Institute of Animal Behavior

    Bei Landvögeln, die dennoch weite Wege über das Meer zurücklegen, ist laut Martin Rümmler, Referent für Vogelschutz beim NABU, vor allem die richtige Nahrungsgrundlage wichtig. Im Gegensatz zu den Seevögeln können sie wenig energiesparend fliegen und müssen sich daher im Vorfeld genug Energiereserven anfressen. Das gilt vor allem für Landvögel, die aufgrund ihrer geringen Größe fast nur mit dem Flügelschlag fliegen und deshalb besonders viel Energie benötigen, um weite Strecken zurückzulegen, darunter beispielsweise die Sperlingsvögel.

    Langstreckenzieher müssen künftig weiter fliegen 

    Laut Rümmler meiden viele Landvögel dennoch lange Strecken über dem Meer. „Viele der großen – aber auch kleine – Zugvögel in Europa fliegen über Gibraltar im Westen oder den Nahen Osten nach Afrika“, so Rümmler. Oft nutzten sie auch Inseln wie Zypern oder Helgoland als Zwischenstopp oder verweilen kurzzeitig auf Schiffen. Vor allem bei kleinen Vögeln spiele das eine Rolle – denn diese geraten auf ihren langen Reisen schnell aus der Puste.

    Sicher ist: Die Langstrecken werden in Zukunft noch länger für Vögel. Die Royal Society for the Protection of Birds (RSPB) fand 2018 heraus, dass über 80 Prozent der europäischen Langstreckenzieher in Zukunft weiter fliegen müssen, um an ihr Ziel zu kommen. Dabei sind nicht nur Stürme über dem Meer das Problem, sondern auch das Wachstum von Wüsten wie der Sahara: Da die Wüste größer wird, müssen Vögel dort in Zukunft zwischenlanden, auch wenn sie keine Nahrung finden. So muss zum Beispiel die Nachtigall im Jahr 2070 schätzungsweise fast 800 Kilometer mehr zurücklegen – dadurch verlängert sich ihre Reisedauer um mindestens fünf Tage. 

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