Rettung für Madagaskars Lemuren: Insekten sollen die Zukunft der Primaten sichern
Eine Forscherin bildet Insektenfarmer aus, um damit Madagaskars stark bedrohten Primaten zu helfen.
Eine Forscherin bildet Insektenfarmer aus, um damit Madagaskars stark bedrohten Primaten zu helfen.
„So habe ich meine Amöbeninfektion im Auge bekommen“, sagt Cortni Borgerson. Sie starrt in die Äste eines 30 Meter hohen Baumes, auf der Suche nach einem seltenen Roten Vari. Die Lemurenart kommt aus schließlich in diesem Gebiet im Nordosten Madagaskars vor. Das Gebrüll eines Lemuren hat sie und Pascal Elison, Tourguide im Masoala-Nationalpark, hierhergelockt. Auf ihrer Jagd sind die beiden riesigen Blättern, Dornen und giftigen Ranken ausgewichen und über glitschige Baumwurzeln gestiegen, während sie das Blätterdach nach dem rötlich-braunen Fell abgesucht haben. Plötzlich ein Geräusch wie das Prasseln von Regen auf Blättern. Dann ein lautes Knacken, als nicht weit entfernt etwas auf den Boden fällt. „Lemuren-Durchfall“, sagt Borgerson, Primatologin und NATIONAL GEOGRAPHIC-Explorer. Ein solcher Spritzer, der einmal auf ihrem Gesicht gelandet war, hatte sie wohl mit den Amöben infiziert.
Die Jagd auf Lemuren
Neben Krankheitserregern enthält der Kot häufig auch Nüsse, vor allem aber Nährstoffe, die das Wachstum des Waldes unterstützen. Wilde Lemuren gibt es nur in Madagaskar. Als wichtige Samenverbreiter und Bestäuber tragen sie dort zu einem gesunden Ökosystem bei. Doch der Rote Vari ist vom Aussterben bedroht und immer schwerer aufzuspüren. Die Jagd auf Lemuren ist zwar seit den 1960er-Jahren verboten, doch wenn Nahrung knapp ist, essen die Einheimischen die Tiere trotzdem. Fast die Hälfte der Kinder leidet hier an chronischer Unterernährung. Der Verzehr von Buschfleisch erhöht die Überlebensrate, sagt Steve Goodman, Madagaskar-Experte am Chicago Field Museum.
Auf der Halbinsel Masoala haben laut Borgerson fast 90 Prozent der Einheimischen schon Lemuren gegessen. Der Rote Vari und der Weißkopf maki landen am häufigsten in den Kochtöpfen, weil sie relativ leicht zu fangen sind und als besonders schmackhaft gelten. Martin Baba, der einen Teil des Nationalparks beaufsichtigt, findet mit seinem Team regelmäßig Lemurenfallen – Vorrichtungen aus Seilen, Schnüren und Ködern. Die Fallensteller im dichten Wald zu fassen, sei fast unmöglich. „Es ist frustrierend“, sagt er. „Das Problem ist im Grunde, dass es hier nicht genug Fleisch gibt.“ Cortni Borgerson teilt ihre Zeit zwischen der Arbeit in Madagaskar und ihrer Lehrtätigkeit an der Montclair State University in New Jersey auf.
Insektennahrung als Ersatz für Lemuren
Sie möchte Lemuren retten, ohne dass die Menschen Hunger leiden müssen. Zur Lösung könnte ein Insekt beitragen, das den Einheimischen in Madagaskar seit mindestens 400 Jahren als Nahrungsquelle dient: Zanna tenebrosa, auch Sakondry genannt. Das Insekt ist eng mit der Zikade verwandt, hat eine Art rosa Rüssel und ein weißes, flauschiges Hinterteil, das an eine Federboa erinnert. „Wir glauben, dass es sich um ein Lungenreizmittel handelt, das Raubtiere fernhalten soll“, sagt Borgerson über den weißen Flaum. Das wegen seines fleischigen Geschmacks und Fettgehalts geschätzte Insekt galt in der Region lange als Delikatesse, wurde aber nicht gezüchtet. Das soll sich jetzt ändern.
An einem Nachmittag im September pflückt die 14-jährige Kalandy in einem Dorf am Rande des Masoala-Nationalparks Sakondry von den Limabohnenpflanzen in ihrem Garten. Die Pflanzen gedeihen dank der Samen und der Anleitung von Borger son prächtig. Kalandy spült die Insekten ab und kocht sie kurz in Salzwasser. Dann bietet sie der Fotografin Nichole Sobecki und mir eine kleine Kostprobe an. Ich ste cke sie mir als Ganzes in den Mund. Es schmeckt fettig, wie Speck, erinnert aber auch an Popcorn. „Vielleicht habe ich zu viel Salz verwendet“, sagt Kalandy und kichert belustigt. Borgerson lernte die Insekten zunächst als Snack kennen, den die Einheimischen zu einem Drink knabbern.
Sie wurde neu gierig und verbrachte mehrere Jahre damit, mehr über die Tiere herauszufinden. 2019 bildete sie schließlich in drei Gemeinden im Nordosten Madagaskars Insektenzüch ter aus. Mit ihren Mitarbeitern ging sie von Haus zu Haus, um Bohnensamen zu verteilen und den Menschen beizubringen, wie sie die Pflanzen pflegen, auf denen sich die Sakondry gerne niederlassen.
Cover National Geographic 8/24
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