Löwen: Wir oder sie?
Siedlungen engen den Lebensraum der Löwen in Afrika weiter ein. Wie können Mensch und Tier existieren, ohne einander umzubringen?
Siedlungen engen den Lebensraum der Löwen in Afrika weiter ein. Wie können Mensch und Tier existieren, ohne einander umzubringen?
Löwen sind, aus der Ferne betrachtet, majestätische Tiere. Doch für die Menschen ländlicher Gebiete sind in Afrika sie eine ständige Gefahr. Löwen sind die Herren der Savanne, aber Feinde der Viehzüchter. Absolut unvereinbar sind die Interessen von Löwen mit denen von Bauern, die ihre Felder bestellen wollen. Wo immer Menschen anfangen, Landwirtschaft zu betreiben, geht es mit der Anzahl der Löwen bergab. Aus vier Fünfteln ihres früheren afrikanischen Verbreitungsgebiets sind sie bereits verdrängt. Wie viele Löwen es dort noch gibt, weiß niemand genau, es mögen 35000 sein, aber wilde Löwen zu zählen ist schwierig.
In einem sind sich die Experten jedoch einig: Vor allem in den vergangenen Jahrzehnten hat die Population deutlich abgenommen. Dafür von Löwen mit denen von gibt es zahlreiche Gründe: die Zerstörung und Zerstückelung der Lebensräume; die abnehmende Zahl von Beutetieren, die als „Buschfleisch“ illegal gejagt werden; Fallen für Zebra und Gnu, in die Löwen anstelle der Beutetiere geraten; Verdrängung durch Viehzucht; Tierseuchen; Rache als Vergeltung für ein gerissenes Rind oder Angriffe auf Menschen; rituelles Töten von Löwen – besonders im Kulturkreis der Massai – und nicht zuletzt die anhaltende Trophäenjagd, vor allem durch Amerikaner.
Mehrere Organisationen von Wissenschaftlern und Artenschützern haben kürzlich ihre Daten über die aktuelle Verbreitung der Löwen zusammengelegt: Panthera (eine internationale Organisation zum Schutz von Großkatzen), die Biologen der Duke-Universität, die Big Cats Initiative der National Geographic Society und andere kommen zu dem Ergebnis, dass afrikanische Löwen heute in fast 70 unterscheidbaren Regionen leben. In den kleinsten Arealen gibt es nur noch winzige, isolierte Populationen, die langfristig keine Zukunft haben. In einigen wenigen Gebieten haben die Löwen nach wie vor Bedingungen, die wirklich als gut bezeichnet werden können.
Manche Experten sagen, der Mensch sollte sich auf diese Gegenden konzentrieren, um den Trend zugunsten der Löwen umzukehren und die Art nachhaltig zu schützen. Solche Gebiete sind etwa die Serengeti (beiderseits der Grenze zwischen Tansania und Kenia), die Region Selous im Südosten und Ruaha-Rungwa im Westen Tansanias, Okawango-Hwange in Botswana und Simbabwe sowie der Großraum Limpopo im Dreiländereck von Mosambik, Simbabwe und Südafrika (einschließlich des Krüger-Nationalparks).
Rund die Hälfte aller afrikanischen Löwen leben allein in diesen fünf Ökosystemen, dort ist jeder Bestand für sich langfristig überlebensfähig. Craig Packer, der das Löwen-Forschungsprojekt in der Serengeti leitet, schlug zum Schutz der dort lebenden Großkatzen eine radikale Maßnahme vor: Man sollte sie ganz oder teilweise einzäunen. Sein Argument: Geld für Maschendrahtzäune und Pfähle, für Überwachung und notwendige Reparaturen auszugeben sei die beste Methode, um zu verhindern, dass Viehzüchter mit ihren Tieren illegal in das Gelände einwanderten. So würden zudem Wilderer ferngehalten und die Löwen daran gehindert, die Schutzgebiete zu verlassen.
Von anderen Fachleuten wird Packer dafür heftig kritisiert. Zäune zu errichten sei das Gegenteil von dem, was man in drei Jahrzehnten im Naturschutz gelernt habe: dass es wichtig ist, einzelne Lebensräume miteinander zu vernetzen. Packer weiß das natürlich, und wichtige Wanderungsrouten der Tiere würde auch er nicht durch Zäune blockieren. Umstritten ist auch die Trophäenjagd. Trägt sie durch unverantwortliches Töten zum Niedergang der Populationen bei? Oder ist sie nicht vielmehr eine Form höchst effizienter Vermarktung der Löwen, die der lokalen und nationalen Wirtschaft Geld einbringt und Anreize schafft, den Lebensraum zu schützen und nachhaltig instand zu halten?
Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht, viele Faktoren spielen hier eine Rolle: lokale Besonderheiten, das Alter der erlegten Löwen, die Seriosität des ökologischen Managements – sowohl durch Jagdveranstalter als auch durch staatliche Naturschutzbehörden. Dass Missbrauch betrieben wird, bezweifelt niemand, in manchen Ländern werden Jagdlizenzen durch korrupte Beamte vergeben, in manchen Fällen hat die örtliche Bevölkerung wenig bis nichts von den Einnahmen aus der Jagd, manchmal werden auch zu viele Abschusskonzessionen verteilt.
Es gibt aber auch Regionen wie das Maswa-Naturschutzgebiet in Tansania, wo eine private Stiftung, der Friedkin Conservation Fund, eng mit der örtlichen Bevölkerung zusammenarbeitet und wo kontrollierte Jagd zugelassen ist. Der Schutz des Lebensraums zählt hier mehr als die Einnahmen, aber ein totales Verbot hätte ungewollte Folgen: Die heute weitgehend unterbundene Wilderei würde zunehmen, und als Folge könnte bald viel Geld fehlen, mit dem bislang Krankenhäuser und Schulen eingerichtet sowie Wildhüter ausgebildet werden.
Ganz andere Fragen wirft dagegen die Jagd auf Löwen auf, die in Gefangenschaft gezüchtet und auf privaten Anwesen in eingezäunten Gebieten zum Abschuss freigelassen werden. In Südafrika ist das heute gängige Praxis. Zuletzt gab es hier insgesamt 174 Löwenzuchtfarmen mit einem Bestand von insgesamt rund 3500 Tieren. Die Befürworter sagen, das trage zum Schutz der Großkatzen bei, weil sie dadurch in freier Wildbahn weniger durch die Trophäenjagd bedrängt würden.
Andere fürchten, die Jagd auf Zuchtlöwen in Abschussgehegen könne der Bewirtschaftung der Wildbestände beispielsweise in Tansania schaden, weil man sich in Südafrika auf diese Weise billiger und einfacher einen Löwenkopf besorgen könne, um damit die Wohnzimmerwand über dem Kamin zu dekorieren.
Bleibt die Frage, was mit dem Rest der Löwenkadaver geschieht. In Asien werden Löwenknochen aus Afrika mittlerweile als Alternative zu Tigerknochen gehandelt, von denen sich die Volksmedizin wahre Wunder verspricht. Auch dieser Trend treibt die Nachfrage nach Löwen- teilen für den Export in die Höhe.
Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass der Schutz der Löwen ein kompliziertes Unterfangen ist. Die Beteiligten diskutieren dabei über Ozeane, Grenzen und Fachgebiete hinweg, wobei Anforderungen globaler Märkte gegen den Traum von ungestörter Wildnis stehen.
Der Schutz der Natur beginnt aber eigentlich schon früher – bei den Leuten, die keineswegs von der erhaben wilden Majestät eines Löwen träumen wie etwa Europäer und Amerikaner. Zu diesen Menschen zählen die Massai, die im Süden Kenias an der Grenze zum Amboseli-Nationalpark ihre Viehherden halten.
Von alters her gehört es für junge Massai- Krieger zum Mannbarkeitsritus olamayio, einen Löwen zu töten. Früher war es der Kampf Mann gegen Löwe, heute tun sich Gruppen von bis zu zehn Männern zusammen – nicht aus Feigheit, sondern weil es weniger Löwen gibt und so die Bestände geschont werden. Seit 2007 nun wer-den die jungen Männer zu „Löwenhütern“ umgeschult. Sie bekommen ein Gehalt, werden dazu ausgebildet, per Radiotelemetrie und Satellitennavigation den Großkatzen auf der Spur zu bleiben und zu verhindern, dass sie das Vieh angreifen. Das Programm scheint ein Erfolg zu werden: Die Anzahl der getöteten Löwen ist gesunken, und die „Lion Guardians“ werden in ihrer Gemeinschaft hoch geachtet.
Um mir selbst einen Eindruck zu verschaffen, habe ich Kamunu, einen Löwenhüter von ungefähr 30 Jahren, einen Tag lang begleitet. Kamunu trägt eine Perlenhalskette, perlenverzierte Ohrringe und eine rote, um den Körper gewickelte Decke, die shuka. An seinem Gürtel hängt auf einer Seite ein Massai-Dolch, auf der anderen ein Handy. Er habe, erzählt er, bereits fünf Löwen zum olamayio getötet, aber damit sei für ihn jetzt Schluss. Lebende Löwen sind wertvoller, sie bringen Einnahmen durch den Tourismus, und vom Gehalt eines Löwenhüters kann ein Mann seine Familie ernähren und die Kinder zur Schule schicken.
Es ist sehr heiß, als wir vormittags einer Löwenfährte folgen, dabei durch Akaziengehölze gehen und ein ausgetrocknetes Flussbett überqueren. An den Abdrücken der Tatzen erkennt Kamunu, dass es sich um einen großen Löwen handelt. Als wir auf eine lange Reihe von Kühen treffen, die mit bimmelnden Glocken am Hals auf dem Weg zur Wasserstelle sind, warnt Kamunu die begleitenden Massai: Der Bursche könne ihnen gefährlich werden.
Um die Mittagszeit nimmt Kamunu eine andere Fährte auf. Sie ist noch frisch und stammt von einer Löwin mit zwei Jungen. Unter einem Busch finden wir platt gedrückte Pflanzen: Hier haben sie gelegen. Wir folgen der Spur bis zu einer Gruppe spirriger Myrrhebäume, das Gestrüpp wird immer dichter. Schließlich bleiben wir stehen. Ich sehe nichts außer Pflanzen und Erde, doch Kamunu sagt, die Löwen seien ganz in der Nähe. Wir sollten sie aber nicht stören. Ich stimme ihm gern zu.
Der Ort ist gut, Vieh ist nicht in der Nähe. «Ich glaube, hier sind die Löwen in Sicherheit», flüstert der Wildhüter. Das ist mehr, als man derzeit über viele ihrer Artgenossen sagen kann.
(NG, Heft 8 / 2013, Seite(n) 72 bis 85)