Hoch in den Anden verschlingt eine Mine eine 400 Jahre alte Stadt

Die Mine von Cerro de Pasco in Peru versorgte einst die spanische Krone mit Silber. Heute ist sie im Begriff, eine ganze Stadt zu vernichten und Kinder mit Blei zu vergiften.

Von Tony Dajer
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:22 MEZ
Peruanische Mine
Das historische Zentrum von Cerro de Pasco in Peru wurde größtenteils von einem 400 Meter tiefen Tagebau eingenommen, der nun von einer Tochterfirma des peruanischen Bergbauunternehmens Volcan Compañía Minera betrieben wird. Die Mine fördert überwiegend Blei und Zink.
Foto von Tomas van Houtryve

Für eine Frau, die plant, eine ganze Stadt umzusiedeln, wirkt die 56-jährige und kaum 1,50 Meter große Kongressabgeordnete Gloria Ramos Prudencio bescheiden. Sie vertritt die 70.000 Einwohner zählende Stadt Cerro de Pasco, die sich auf dem baumlosen Altiplano, einer Hochebene in Peru, in einer Höhe von 4.328 Metern befindet und als eine der höchstgelegenen Städte der Welt gilt.

„Wenn wir früher an Bellavista vorbeigingen, wo die Amerikaner lebten, nervte ich meine Mutter als kleines Mädchen immer mit der Frage: ,Warum leben die Gringos in den schönen Häusern?ʻ“, erinnert sich Ramos mit leiser und ruhiger Stimme. „In der Schule nannten mich meine Lehrer ,preguntonaʻ – das Mädchen, das zu viele Fragen stellt.“

Heutzutage beschäftigt sie allerdings hauptsächlich die Frage, wie sie ihre Heimatstadt vor einem riesigen Loch beschützen kann.

Foto von Ng Karten

Der Wert des Bergbausektors hat sich in Lateinamerika in den letzten zehn Jahren auf fast 300 Milliarden Euro verdreifacht. Die peruanische Wirtschaft, eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften, erzielt ein Sechstel ihres Bruttoinlandsproduktes mit Mineralien. In Cerro de Pasco wird die gesamte Geschichte des Bergbaus von Peru sichtbar – einschließlich der Schattenseiten: Die Mine verschlingt die 400 Jahre alte Stadt, die sie unterstützt, buchstäblich.

Der Krater des Tagebaus, der von einer Tochtergesellschaft des peruanischen Bergbauunternehmens Volcan Compañía Minera betrieben wird, ist stufig und gleicht einem umgekehrten Zikkurat. Mit einer Länge von mittlerweile 1.600 Metern, einer Breite von 800 Metern und einer Tiefe von 400 Metern vertilgt er immer mehr von der Stadt. Zwischen dem Abgrund und der bewohnten Stadt befindet sich ein Niemandsland mit einer Reihe von verlassenen Häusern, deren Stahldachpfannen abblättern und vor sich hin rosten.

BELIEBT

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    Ein Wandgemälde des peruanischen Künstlers Daniel Cortez Torres an einem Haus in Cerro de Pasco spielt auf die Probleme mit der Umweltverschmutzung an, die die Stadt plagen.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Doch dieser Streifen Land reicht nicht aus, um die Einwohner, besonders die Kinder, vor dem Gift der Mine zu schützen. Nirgends auf der Welt gibt es so viele Bleivergiftungen in der Bevölkerung wie in Cerro de Pasco.

    In knapp 200 Metern Entfernung vom Rande der Mine prangt auf dem zentralen Platz der Stadt eine übergroße Statue von einem einheimischen jungen Mann, der sich zu einem Helden Perus entwickelt hat. Er befindet sich im Begriff, sich eine Spritze in den Arm zu setzen.

    Daniel Alcides Carrión studierte 1885 Medizin, als die am Bau der in die Stadt führenden Bahngleise beteiligten Arbeiter der Reihe nach am sogenannten Oroya-Fieber verstarben. Indem er sich Gewebe von der Hautverletzung eines Überlebenden injizierte, gelang es Carrión zu beweisen, dass das fulminante Fieber und das chronische Leiden, welches unter der Bezeichnung Peru-Warze bekannt ist, den gleichen Erreger haben: eine Mikrobe. Erst Jahrzehnte nachdem sich Carrión mit dem Erreger infiziert hatte, konnte dieser mit Antibiotika behandelt werden. Die Seitentafeln um den Sockel der Statue zeigen, wie er im fiebrigen Delirium starb.

    Ein Souvenirgeschäft zu Füßen der Statue verkauft als Andenken Plastikspritzen. Die Souvenirs von dieser mit Pech gesegneten Stadt erscheinen skurril, doch wenn man sie einmal besucht und gesehen hat, welchem Schicksal ihre Einwohner ausgesetzt sind, machen sie durchaus Sinn.

    Kleidung hängt zum Trocknen über einem Zaun, der das Wohngebiet Yanacancha in Cerro de Pasco vom Rand des Tagebaus abgrenzt.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    DIE GLORREICHEN TAGE

    Der Sage nach weinten die Steine von Cerro de Pasco, die vor 400 Jahren um Lagerfeuer gesetzt wurden, Silber. Jahrhundertelang gehörte die Mine der Stadt zu den reichsten der spanischen Krone und füllte Galeonen mit dem Edelmetall. 1820 wurde Cerro de Pasco als erste Stadt Perus von der spanischen Herrschaft befreit. In den frühen 1990er Jahren war sie Perus zweitgrößte Stadt, und feine Kutschen sowie Europäer zierten hier das Stadtbild.

    1903 wurde die weltweit höchste Eisenbahnstrecke, die 320 Kilometer in die Anden führt, fertiggestellt. Sie führte US-Amerikaner von der Cerro de Pasco Corporation in die Stadt, die die Mine kauften. Hauptsächlich wurde Kupfer abgebaut, aber auch Silber konnte noch gefunden werden. J. P. Morgan, Henry Clay Frick, die Familie Vanderbilt und andere amerikanische Investoren machten eine Menge Geld. In den 1950er Jahren wurde Kupfer von Zink und Blei abgelöst, wovon heutzutage der Großteil für China bestimmt ist.

    “Im Stadtzentrum standen einst ausländische Konsulate und historische Häuser. Viele Jahre lang waren wir die zweitgrößte Stadt Perus. Die Grube, hat uns das alles genommen.”

    von Gloria Ramos

    Bis Mitte der 1950er Jahre bauten die Bergarbeiter auf traditionelle Weise Eisenerz in Tunneln ab. Ein Jahr nach der Geburt von Gloria Ramos ging die Bergbaufirma vom Abbau unter Tage auf den effizienteren Tagebau über – und zwar innerhalb der Stadt. Denn wie sich herausstellte, befand sich das größte Blei- und Zinkvorkommen direkt unter der Stadt.

    „Im Stadtzentrum standen einst ausländische Konsulate und historische Häuser“, erzählt Ramos. „Viele Jahre lang waren wir die zweitgrößte Stadt Perus. Die ,tajo‘, also die Grube, hat uns das alles genommen. Inzwischen werden selbst die Häuser der Wohngebiete von der Mine verschluckt, die 1960 erbaut wurden, um genau dem zu entgehen.“

    Im Hintergrund eines Spielplatzes im Wohngebiet Paragsha tun sich Haufen von Abraumhalden auf. Mit Blei durchmischter Staub wird von diesen und anderen Haufen in Cerro de Pasco in die Luft getragen.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Die Einwohner davor zu schützen, in die Mine zu stürzen, ist aber nur die eine Seite.

    Im heutigen verkommenen Cerro de Pasco, mit seinen rauen Betonziegeln und holprigen Gehsteigen, mangelt es an Trinkwasser, denn seine Seen und Flüsse sind von den verschmutzten Abflüssen aus der Mine leuchtend orange gefärbt. LKW liefern Trinkwasser zum 25-fachen Preis, den die Menschen in Lima zahlen. „In der Gegend, in der ich lebe, bekommen wir sechs Stunden die Woche Wasser“, sagt Ramos. In diesem Jahr hat ein Richter Volcan erlaubt, Bergbauabfälle in einem unmittelbar südlich der Stadt gelegenen Teich zu entsorgen.

    In den meisten der Häuser in Cerro de Pasco gibt es auch keine Zentralheizung. Die Kälte der Anden treibt Kassiererinnen dazu, dicke Jacken und fingerlose Handschuhe zu tragen, und in Restaurants sieht man seinen eigenen Atem. Kinder, die über den Bürgersteig eilen, haben so rote Wangen, als seien sie geohrfeigt worden.

    BLEI-EPIDEMIE

    Am westlichen Rand der Mine türmen sich über den Wohngebieten von Paragsha und Champamarca mit Blei durchsetzte Abraumhalden. Der Staub dieser Halden verteilt sich in alle Himmelsrichtungen.

    Seit 1996 wird vom peruanischen Gesundheitsministerium zweimal jährlich die Bleikonzentration im Blut der Kinder überprüft. Im Jahr 2007 beteiligte sich sogar die amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Die Ergebnisse bleiben immer gleich: Mehr als die Hälfte der getesteten Kinder weisen eine hohe Bleikonzentration im Blut auf – höchstwahrscheinlich aus dem Staub von den Abraumhalden.

    „Dieser Ort gleicht Tschernobyl“, sagt Paul Rodríguez, Arzt am Gemeinschaftsklinikum Paragsha. Der untersetzte Mann, der ein kurzes und ironisches Lächeln auf den Lippen hat, ist frustriert. Aus den Studien weiß er, dass die Kinder, die in seine Klinik kommen, gefährdet sind. In vier Fällen hat er sogar die blaue Linie sehen können, die sich auf dem Zahnfleisch als Anzeichen für eine schwere Bleivergiftung abzeichnet. Doch er kann keine diagnostischen Bluttests veranlassen.

    Ein Hirte treibt Alpakas und Lamas zurück nach Hause in Botandero de Rumiallana in den Hügeln oberhalb von Cerro de Pasco. Der Ort zeichnet sich hinter der großen Abraumhalde ab.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    „Sie geben uns stattdessen das hier“, sagt er und hält ein von der Regierung herausgegebenes Checklisten-Formular hoch, das voller Kästchen zum Abhaken ist. „Alle Symptome einer Bleivergiftung. Das ist ja auch schön und gut, aber viele davon, wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, sind unspezifische Krankheitszeichen. Man benötigt den Wert der Bleikonzentration. Aber keines der Labore hier ist dazu in der Lage. Und da bei den Studien nicht jeder getestet wird, müsste man sein Kind nach Lima schicken. Das tut aber niemand. Wir praktizieren hier so, als würden wir Blinde Kuh spielen.“

    “Niemand hier möchte, dass die Mine verschwindet. Alles, was wir wollen, ist, dass sie verantwortungsvoll handeln.“”

    von Celso Santiago

    Laut Jorge Leonico Murillo Nuñez, Pressesprecher von Volcan, hält sich das Unternehmen an alle peruanischen Umweltvorschriften und hat auch „Aufklärungs-Kampagnen veranstaltet, bei denen es die Bevölkerung über Hygiene- und Reinigungsmaßnahmen unterrichtet hat, die die Auswirkungen der Verschmutzung lindern.“

    Cecilia Beraún wurde in Champamarca geboren, 800 Meter südlich von der Klinik, in der Rodríguez arbeitet. Als ich sie kennenlernte, lebte sie zusammen mit ihren Söhnen in einer Abstellkammer der Schule. Sie war mager und sah erschöpft aus. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie damit, um 4:30 Uhr die Schule zu reinigen, bevor sie eine Stunde hinab zum Fuße der Mine wanderte und dort beim Schaufeln half. Dafür bekam sie 1,40 US-Dollar (ca. 1,27 Euro) die Stunde.

    Champamarca liegt zwischen der Mine und den Abraumhalden und ist damit das Blei-Wohngebiet schlechthin. Die Bleikonzentration von Cecilias Söhnen, sieben und zehn Jahre alt, betrug 14,5 und 13,7 Mikrogramm pro Deziliter. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC stuft jeden Wert über 5 als gefährlich ein.

    Frauen mit Bergbauhelmen sehen ihren Kindern zu, die an einer Grundschulparade im Nachbarort Paragsha teilnehmen.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Alex, ein Nachbar von Cecilia und Vater von drei Kindern, deutet auf seinen dreijährigen Sohn Yober.

    „Im März betrug sein Wert 18,9. Er hatte drei Krampfanfälle, und wir haben vergangenes Silvester im Krankenhaus verbracht. Sie schickten ihn ohne Medikamente nach Hause. Meine älteren Söhne wurden nicht hier geboren, und ihnen geht es gut. Ich kam wegen der Arbeit hierher. Für das Wohl meines Sohnes würde ich mein Haus verkaufen und von hier wegziehen, aber niemand kauft hier mehr Immobilien.“

    Bleivergiftungen sind heimtückisch. Selbst geringe Konzentrationen im Körper schwächen, sorgen für Gelenkschmerzen und hindern die Lernfähigkeit. Moderate Konzentrationen verringern dauerhaft den Intelligenzquotienten, besonders bei Kindern. Höhere Konzentrationen verursachen Krämpfe, organische Funktionsstörungen und führen schließlich zum Tod.

    „Sie haben Probleme beim Lernen“, sagt Cecilia über ihre Söhne. „Das Gesundheitsministerium schickte für einen Tag Ärzte her, um die beiden zu untersuchen. Doch die haben lediglich ein paar Vitamine verschrieben. ,Um ihnen beim Lernen auf die Sprünge zu helfenʻ, meinten sie.“

    Haben sie sonst noch etwas empfohlen?

    Die Kinder in Cerro de Pasco sind selten weit von der Mine und deren Abfällen entfernt.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    „Dass wir wegziehen sollen.“

    EINE FRAGE DES STANDORTES

    Soll man den Schaden beheben oder ihm den Rücken zukehren? Mit dieser Frage muss sich Cerro de Pasco tagtäglich beschäftigen. Jede neue Untersuchung zur Bleibelastung führt zu verzweifeltem Händeringen und einem Aufruf zum Handeln.

    Peruweite Studien fallen wenig überraschend umso besser aus, je weiter die Menschen von dem bleiverseuchten Boden entfernt sind. Im Mai 2012 hat das peruanische Gesundheitsministerium einen umweltbedingten Notstand in Cerro de Pasco ausgerufen. Es wurde eine verstärkte Staubunterdrückung gefordert, indem Straßen gepflastert, Hügel von Abraumhalden abgedeckt und Bäume gepflanzt werden. Ein paar schmächtige junge Bäume wurden auch gepflanzt.

    „Wir haben nicht die Mittel für weitere Bäume“, erklärt der ortsansässige Gesundheitsbeamte.

    Die Bleikonzentration in den Blutwerten der neunjährigen Leydi Gonzales (links) und ihrer achtjährigen Schwester Sonia ist mehr als dreimal höher als der von der amerikanischen Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention festgelegte Grenzwert. Auch ihre drei Geschwister haben erhöhte Werte.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Vergangenen September demonstrierten die Einwohner, indem sie die 250 Kilometer von Cerro de Pasco nach Lima wanderten. Sie wollten die Aufmerksamkeit der Hauptstadt auf die 2.070 Kinder aus Cerro de Pasco richten, deren Bleikonzentration im Blut 10 Mikrogramm pro Deziliter übersteigt und damit doppelt so hoch ist wie der Gefahrenwert. Bald darauf ließ die Regierung Pläne für ein neues Krankenhaus mit einer Abteilung zum Testen und Behandeln von Schwermetallvergiftungen verlauten. Doch derartige Pläne werden nicht zum ersten Mal angekündigt.

    In den 1980er Jahren, als die Mine noch im Staatsbesitz war, gab die Regierung unter Präsident Alan García gut 30 Millionen Euro für ein 25 Kilometer von der Stadt entferntes Wohnprojekt aus. Dort sollten sich die Familien der Bergbauarbeiter ansiedeln. Doch mit einer Größe von nicht einmal 20 m² waren die Häuser kaum attraktiv. Nur wenige Menschen leben in diesem verlassenen Wohngebiet, das nun unter der Regie von Volcan steht. Jedes Haus trägt das Firmenlogo. Entlang der grasüberwachsenen Grundstücke, wo die Baumaßnahmen eingestellt wurden, verläuft eine Reihe Straßenlaternen.

    2008 hatte Gloria Ramos genug von diesen halbherzigen Aktionen. Nachdem sie 2006 als Abgeordnete gewählt wurde, konnte sie die peruanische Legislative dazu bewegen, einstimmig das Gesetz 29293 zu verabschieden, welches die vollständige Umsiedlung von Cerro de Pasco anordnet. Das Gesetz liefert aber auf eine entscheidende Frage keine Antwort: Wer kommt für die Kosten auf?

    „2 Millionen US-Dollar wurden zur Verfügung gestellt, um einen alternativen Standort zu ermitteln“, seufzt Ramos. „Aber die Ministerien für Bergbau und Finanzen ignorieren schlicht und einfach die Komiteesitzungen. Daher geht nichts voran.“ (Die peruanische Regierung ist der Bitte um Stellungnahme nicht nachgekommen.)

    Grüne Netze wurden über die Abraumhalden gespannt, die sich unweit des Wohngebietes Champamarca befinden. So soll weniger giftiger Staub in die Straßen und Häuser wehen.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    In der Zwischenzeit hat die Regierung ihre Pläne, in ein neues Wassersystem für Cerro de Pasco zu investieren, gestoppt. Warum sollten sie in eine Stadt investieren, die im Begriff ist, zu verschwinden? Und auch Volcan hat seinen Vorschlag, die letzten Überreste der historischen Stadt, die sich inzwischen am Rande der Mine befinden, aufzukaufen und in größerer Entfernung wieder aufzubauen, zurückgezogen.

    In der Stadt begegnen einem überall Hinweisschilder auf Privatbesitz, die den Namen Cerro SAC tragen. Hierbei handelt es sich um die Tochtergesellschaft von Volcan, die die Mine inzwischen betreibt. „Das Unternehmen knapst sich immer mehr von der Stadt ab, indem es jedes dritte Haus in den Wohngebieten aufkauft und dort seine Schilder aufstellt“, berichtet Gladys Huamán Gora, Leiterin der ortsansässigen Überwachungsgruppe Labor Pasco. „Weil die Preise fallen, wollen die Menschen schnell verkaufen. Doch die Betreiber der Mine haben es nicht eilig. Wenn sich die zusammentun und gegen sie protestieren, ziehen sie sich zurück und warten ab.“

    Die Struktur der Arbeiterschaft trägt dazu bei, dass keine Einigkeit entstehen kann. In Cerro de Pasco kann man die Bergarbeiter gar nicht verfehlen: Schroff und gedrungen stolzieren sie in ihren orangefarbenen Overalls an einem vorbei. Auf eine Wand wurde der Spruch „Somos machos pero no muchos“ gesprüht: „Wir sind zwar nicht viele, aber dafür Machos“.

    In der Mine sind gut 1.400 Arbeiter tätig, darunter allerdings nur 400 Gewerkschaftsmitglieder mit Vollzeitvertrag. Die restlichen Arbeiter werden von sogenannten Contratistas, Mittelmännern, gemanagt. Sie verschaffen Menschen von überallher dreimonatige Deals ohne irgendwelche Ansprüche. Im Vergleich zu den Vollzeit-Angestellten verdienen sie mit rund 4,00 € die Stunde ohne jegliche Zuschüsse nur etwa die Hälfte.

    Der 70-jährige Martin Trinidad Saco führt seine Schafe über das hoch kontaminierte Bett der ausgetrockneten Lagune unweit von Cerro de Pasco. Er weiß noch, wie er hier früher fischte und Vogeleier sammelte, als die Lagune noch tierisches Leben ermöglichte.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Abel Cruz, ein Pressesprecher von Cerro SAC, schätzt, dass von den 70.000 Einwohnern Cerro de Pascos nur ca. 15.000 wirklich dauerhaft hier leben. „Das Leben in dieser Höhenlage ist schwer“, sagt er. „Ich verbringe zehn Tage hier und dann vier Tage in Lima bei meiner Familie.“

    WER ABER IST ZUSTÄNDIG FÜR DIE PROBLEMATIK?

    „Die Frage der Zuständigkeit ist ein heikles Thema“, merkt Federico Helfgott an, ein in Cerro de Pasco ansässiger Historiker und Lehrbeauftragter an der Universidad Nacional Mayor de San Marcos in Lima.

    Der Verlauf der Eigentumsverhältnisse verkompliziert die Angelegenheit. Die Cerro de Pasco Corporation, die sich in amerikanischem Besitz befand – und deren Häuser Ramos einst bewunderte –, wurde im Jahr 1974 verstaatlicht. Im Laufe der nächsten 25 Jahre wurde die Mine von Centromin, einer Regierungsbehörde, über alle Maßen schlecht verwaltet. 1999 kaufte Volcan die Mine dann für rund 56 Millionen Euro; laut Expertenmeinung ein niedriger Preis.

    „Einige der Abraumhalden gehören noch dem amerikanischen Unternehmen vor 1974, andere wiederum sind Eigentum von Centromin und der Rest von Volcan“, verrät Helfgott. „Wer zeichnet sich also für die Bleivergiftung verantwortlich? Wer zahlt für die Umsiedlung?“ Zwischen 2010 und 2014 hat Volcan so viele Umweltstrafen angesammelt wie keine andere Bergbaugesellschaft in Peru. Viele von ihnen wurden nie bezahlt.

    Im Jahr 2011 wurde die Mine von der Tochtergesellschaft Cerro SAC übernommen, um so ihre Haftbarkeit zu verringern, mutmaßt Huamán Gora. „Die Bergbauindustrie besitzt inzwischen Vorkaufsrechte für ein Siebtel der peruanischen Landesfläche“, sagt sie. „Sie könnten aus Cerro de Pasco ein Modellbeispiel werden lassen.“

    Hilario Mallqui Palacio wäscht seine Kleidung in einem kleinen Fluss am Rande von Cerro de Pasco. Er lebt mitten im Stadtzentrum, hat dort aber kein fließendes Wasser.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    Als Roberto „Bobby“ Letts, CEO von Volcan und Junggeselle, 2010 im Alter von 75 Jahren verstarb, hinterließ er ein Privatvermögen in Höhe von 600 Mio. US-Dollar (ca. 550 Mio. Euro). Im Jahr 2011 fuhr Volcan einen Gewinn von 325 Mio. US-Dollar (ca. 300 Mio. Euro) ein. 2014 waren die Einnahmen jedoch auf unter 100 Mio. US-Dollar (ca. 90 Mio. Euro) gesunken. Aufgrund des Rückzugs Chinas hat sich der Blei- und Zinkabbau in Cerro de Pasco mehr als halbiert.

    Dieses Jahr hat Cerro SAC endlich eine lang erwartete Oxidationsanlage eröffnet, die Zyanid einsetzt, um kleinste Spuren von Silber aus den Abraumhalden zu gewinnen. Man hatte damit gerechnet, dass diese Anlage einen jährlichen Gewinn von fast 100 Millionen Euro pro Jahr abwerfen würde, doch sie wurde ausgerechnet dann in Betrieb genommen, als die Preise für Silber fielen. Der weltweite Metallpreis-Boom ist nun erst einmal vorüber. Das Tagewerk und die Verschmutzung in Cerro de Pasco aber bleiben

    „Es fällt nicht in die Verantwortung des Unternehmens, die Stadt umzusiedeln“, sagt Jorge Nuñez, Pressesprecher von Volcan. „Es ist die Angelegenheit der Zentral- und Landesregierung sowie der Lokalverwaltung der Stadt.“

    „Ich kämpfe noch immer“

    „Was mich am meisten ärgert“, sagt Gloria Ramos, „ist die Tatsache, dass sie nicht einmal den Boom ausgenutzt haben.“ Ramos hat sich 2011 nicht wieder zur Wahl aufstellen lassen. Sie lebt jetzt in Lima und hat mit der Politik abgeschlossen. Alle paar Wochen besucht sie ihre Eltern in Cerro de Pasco.

    Als die siebenjährige Tahis Carhuaricra ein Baby war, überstieg die Bleikonzentration in ihrem Blut den Gefahrenwert um das Dreizehnfache. Durch die Bleivergiftung ist sie schwer behindert und kann weder sprechen noch gewöhnliche Nahrung zu sich nehmen.
    Foto von Tomas von Houtryve, Vii, National Geographic

    „Sowohl in Zeitungen als auch auf öffentlichen Treffen sind die Anfeindungen immer schlimmer geworden“, erzählt sie. „Ich wurde beschuldigt, Arbeitsplätze wegnehmen oder die Mine schließen zu wollen. Ich wurde auch persönlich bedroht.“

    Am Rande der Stadt, in einem Tal, das direkt an der größten Abraumhalden-Lagune der Mine liegt, züchtet ein Mann namens Celso Santiago Alpakas. Sein Haus besteht aus mit Lehm verkleideten Wänden und einem mit Steinen beschwerten Zinkdach. Mit einem Gesicht, das dem einer Inka-Statue gleicht, erklärt er: „Yo soy conflictivo.“ (Ich bin störrisch.)

    „Ich habe mich zwanzig Jahre lang gegen sie zur Wehr gesetzt. Sie haben meine Felder zerstört, also habe ich es ihnen hiermit gezeigt.“ Er holt Stapel juristischer Dokumente hervor und verrät, dass er sehr wohl ein paar Jahre studiert hat.

    „Sehen Sie den Hügel dort? Nachdem es uns als Ersten gelungen war, einen Prozess gegen die Minenbetreiber zu gewinnen, versprachen diese, sieben Hektar Land wiederherzustellen. Nur die Hälfte davon wurde eingehalten. Erst gaben sie sich freundlich, doch viel mehr geschieht nicht. Ihre gebrochenen Versprechen haben mich angespornt. Es hat zwei Jahre und sehr viel Geld gekostet, aber ich gebe noch immer nicht auf.“

    Santiago hält das dank Ramos verabschiedete Umsiedlungsgesetz noch immer für die Lösung. Er blickt blinzelnd in die grelle Morgensonne.

    „Niemand hier möchte, dass die Mine verschwindet“, sagt er. „Alles, was wir wollen, ist, dass, sie verantwortungsvoll handeln.“

    Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 2. Dezember 2015

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