Eine unbewohnte Koralleninsel hat die größte Mülldichte der Welt

Ihre Abgeschiedenheit schützt die Insel vor menschlichen Eingriffen – aber nicht vor 18 Tonnen Plastik.

Von Laura Parker
Veröffentlicht am 6. Nov. 2017, 15:52 MEZ
Auf der Insel haben sich etwa 18 Tonnen Plastik angesammelt.

Henderson Island liegt im Südpazifik, ungefähr auf halbem Weg zwischen Neuseeland und Chile. Die Insel ist unbewohnt. Sie ist ungefähr so weit weg von allem und jedem, wie man auf der Erde eben sein kann.

Trotzdem finden sich auf den weißen Sandstränden von Henderson Dinge aus Russland, den USA, Europa, Südamerika, Japan und China. Alles davon ist Müll, das meiste ist Plastik. Es schwappte über die Weltmeere, bis es schließlich in den Südpazifikwirbel gesogen wurde. Die kreisförmige Ozeanströmung fungiert wie ein Fließband, das Plastikmüll aufsammelt und es an Hendersons winzigem Ufer ablagert – etwa 3.500 Müllteile pro Tag.

Jennifer Lavers, Co-Autorin einer neuen Studie über diese 38 Millionen Teile große Müllansammlung, erzählte der Associated Press, dass sie die Menge „wahrlich alarmierend“ findet.

Ein Großteil des Mülls besteht aus Fischernetzen und Schwimmkörpern, Wasserflaschen, Helmen und großen, rechteckigen Teilen. Zwei Drittel davon waren zunächst nicht sichtbar, weil sie etwa zehn Zentimeter tief unter dem Sand des Strands vergraben waren.

„Obwohl sie alarmierend waren, unterschätzten die Werte die tatsächliche Menge an Abfällen, weil keine Proben von Gegenständen, die zehn Zentimeter unter der Oberfläche vergraben waren, Partikeln von weniger als zwei Millimetern und Müll entlang der Klippen und felsigen Küsten genommen werden konnten.“ So schreiben Lavers und ihre Kollegen in ihrer Studie, die am Dienstag in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienen ist.

Diese Müllansammlung ist sogar noch verstörender, wenn man bedenkt, dass Henderson zum UNESCO-Welterbe und zu einem der weltweit größten Meeresschutzgebiete gehört. Die Webseite der UNESCO beschreibt Henderson als „Juwel“ und als „eines der weltweit besten verbliebenen Beispiele eines Korallenatolls“, das „praktisch von Menschen unberührt“ ist.

Henderson ist eine der vier Inseln der Pitcairn-Gruppe – eine Ansammlung kleiner Inseln, auf deren Namenspatron die Nachfahren der Meuterer von der HMS Bounty wohnen. Die Bewohner Pitcairns, von denen es mittlerweile nur noch 42 gibt, nutzen Henderson als idyllischen Zufluchtsort, um dem Alltag auf Pitcairn zu entfliehen. Neben den benachbarten Pitcairnern, gelegentlichen Wissenschaftlern oder Touristenbooten von den Gambierinseln finden sich auf Henderson nur vier Landvogelarten, zehn Pflanzenarten und eine große Kolonie von Meeresvögeln.

Lavers, eine Wissenschaftlerin von der Universität von Tasmanien in Australien, und ihr Co-Autor Alexander Bond, ein Naturschutzbiologe, kamen 2015 für einen dreimonatigen Aufenthalt nach Henderson. Sie maßen die Dichte des Mülls und sammelten fast 55.000 Müllstücke auf, von denen etwa 100 ihrem Ursprungsland zugeordnet werden konnten. Die Analyse des Duos ließ darauf schließen, dass sich etwa 18 Tonnen Plastik an und auf der Insel angesammelt hatten. Das verschaffte Henderson die höchste Dichte an Plastikmüll auf der ganzen Welt – zumindest bis jetzt.

Jenna Jambeck, eine Professorin für Umweltingenieurswesen an der Universität von Georgia, war eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die die Menge des Ozeanmülls in einem globalen Ausmaß erfasst hat. Sie war nicht überrascht davon, dass Lavers und Bond Plastik in solchen Massen auf Henderson entdeckt haben. Jambecks Studie von 2015 schlussfolgerte, dass jedes Jahr acht Millionen Tonnen Müll ins Meer wandern – genug, um pro 30 Zentimeter Küstenlinie auf der ganzen Erde fünf Einkaufstüten zu füllen.

„Einer der eindringlichsten Momente meiner Feldarbeit war es, als ich auf den Kanaren war und sah, wie mit jeder Welle Mikroplastik ans Ufer geschwemmt wurde“, sagt sie. „Ich hatte diesen überwältigenden Moment von ‚Was tun wir?‘ Es ist, als würde das Meer uns unser Plastik wieder entgegenspucken. Ich verstehe also, dass es schockierend ist, am Strand von Henderson zu stehen und das zu sehen.“

Die Henderson-Studie reiht sich in frühere Entdeckungen über Mikroplastik an abgeschiedenen Orten ein, zum Beispiel tief im Meeresboden oder im arktischen Meereis. Der Fund von Plastik an solchen Orten trifft bei vielen einen empfindlichen Nerv.

„Die Leute sind immer erstaunt, wenn sie Müll an Stränden von Inseln finden, die doch eigentlich als abgelegenes Paradies gelten. Es passt nicht in unsere mentale Weltanschauung, und das mag auch der Grund dafür sein, warum es weiterhin so schockiert“, sagt Enric Sala, ein Meereswissenschaftler, der 2012 eine Expedition von National Geographic zu den Pitcairn-Inseln angeführt hat, inklusive Henderson. „Es gibt keine abgelegenen Inseln mehr. Wir haben den Ozean in eine Plastiksuppe verwandelt.“

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