100 praktische Wege zur Umkehr des Klimawandels

Einige davon sind weithin bekannt: erneuerbare Energien, weniger Fleischverzehr. Aber ein paar wissen auch zu überraschen.

Von Simon Worrall
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:38 MEZ
Gebäude mit begrünten Dächern
Gebäude mit begrünten Dächern wie dieses in Stuttgart verbrauchen nicht so viel Energie und stoßen weniger Treibhausgase aus.
Foto von Diane Cook und Len Jenshel, National Geographic Creative

In einer Zeit, in der die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels angegriffen werden und viele Menschen des Themas langsam müde werden, gab es im letzten Monat erfreuliche Nachrichten: Innerhalb einer Woche seines Erscheinungsdatums schaffte es ein Buch über den Klimawandel an die Spitze der Bestsellerliste der „New York Times“.

Drawdown: The Most Comprehensive Plan Ever Proposed to Reverse Global Warming“ (dt. Drawdown: Der umfassendste Plan, der je vorgeschlagen wurde, um die globale Erwärmung umzukehren) wurde vom Umweltschützer Paul Hawken herausgegeben. Es ist das erste Buch über Umweltschutz seit Elizabeths Kolberts „Vor uns die Sintflut – Depeschen von der Klimafront“ aus dem Jahr 2006, das ein solch erfolgreiches Debüt hinlegte.

Kolberts Buch warnte vor einer Katastrophe – Hawkins‘ Buch versucht, sie zu verhindern. „Drawdown“ bietet 100 Lösungsansätze für die Umkehr der globalen Erwärmung und brachte zu diesem Zweck Geologen, Agrarwissenschaftler, Klimatologen, Biologen, Botaniker, Ökonomen, Finanzanalysten, Architekten, Nichtregierungsorganisationen, Aktivisten und andere Experten zusammen.

Einband des Buches „Drawdown: The Most Comprehensive Plan Ever Proposed to Reverse Global Warming“.
Foto von Penguin Random House

National Geographic traf sich mit Hawken in seinem Zuhause in San Francisco. Dort erklärte er, warum der Klimawandel ein Geschenk und kein Fluch ist, warum die Stärkung von Frauen und Mädchen die beste Lösung ist und welche Rolle Moschusochsen, Rentiere und Wölfe spielen.

Beginnen wir mit einer Definition. Was bedeutet „Drawdown“? Und wie unterscheidet es sich von andere Methoden zur Bekämpfung der globalen Erwärmung?

Die Idee für das Projekt Drawdown geht auf das Jahr 2001 zurück. Es hatte nie einen Versuch gegeben, die 100 bedeutendsten Lösungen für die globale Erwärmung auszuarbeiten, zu bemessen und Modelle dafür zu erstellen. Es gab eine gewisse Tendenz, eine Patentlösung für das Problem zu finden, eine Suche nach der einen großen Lösung: einen archimedischen Hebel. Wenn man den einfach nur finden und betätigen würde, dann würden wir dieses Problem lösen und die Emissionen stabilisieren.

Das ist aber einfach nicht wahr. Wir alle haben es wieder und wieder gehört: Wenn wir auf Wind-, Solar- und erneuerbare Energie umsteigen – und vielleicht auf elektrische Fahrzeuge und Speicher –, Abholzung verhindern und weniger Fleisch verzehren, bekommen wir einen Freifahrtschein ins 22. Jahrhundert.

Diese Lösungen sind essentiell für die Minderung des Klimawandels, ich will also in keiner Weise ihre Bedeutung kleinreden. Ich sage nur, dass eine ganze Menge hervorragender und wichtiger Lösungen oft unerwähnt bleiben. Darum haben wir uns 100 unterschiedliche Strategien angesehen.

BELIEBT

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    Michael Pollan, der Autor und Aktivist, sagte einmal, die größte Frage hinsichtlich des Klimawandels, die wir uns stellen müssten, sei: „Warum sich Sorgen machen?“ Haben Sie eine Antwort für uns?

    Ich betrachte das als Geschenk, nicht als Fluch. „Warum sich Sorgen machen?“ bedeutet, dass das Spiel aus ist. Ich sehe es aber so, dass es gerade erst begonnen hat. Es ist eine andere Sichtweise. Der Klimawandel ist ein Feedback. Jedes System, das dieses Feedback nicht einbezieht, ist dumm und wird versagen und sterben. Wir haben hier Feedback und das eröffnet uns einen Weg in eine viel bessere Welt als jene, in der wir jetzt leben.

    Das ist kein Rückschritt und kein Weg in eine Zukunft, die uns nicht gefällt. Eigentlich führt er in eine viel bessere Zukunft: Sie ist sauberer, gesünder, bietet mehr Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und mehr Leben auf dem Planeten. Der Klimawandel bietet uns die Möglichkeit, uns selbst ganz neu zu betrachten, unsere Beziehungen zueinander und zu allen Lebewesen auf dem Planeten. Das kann ganz außergewöhnlich sein in Hinblick auf unser Vorstellungsvermögen, unsere Innovationsgabe, Kreativität und hinsichtlich der Durchbrüche im menschlichen Denken.

    Präsident Trump schnitt kürzlich das Thema einer globalen Regelung zur Familienplanung an. Erklären Sie uns, inwiefern auch dieser Aspekt starke, negative Auswirkungen auf den Klimawandel haben kann.

    Damit hat er eigentlich nur seine Ignoranz gezeigt und seine Unterstützer aus dem rechten Flügel zufriedengestellt. Ich denke schon, dass das gewisse Auswirkungen haben wird, aber keine großen. Die Vorstellung, dass die USA allmächtig sind, ist eine amerikanische Illusion.

    Was die Familienplanung angeht, haben die Vereinten Nationen drei Prognosen für 2050 erstellt: hoch, mittel und niedrig. Die höchste liegt bei 10,8 Milliarden, die mittlere bei 9,7 Milliarden. Der Unterschied zwischen der hohen und der mittleren Bevölkerungsprognose ist auf die Familienplanung zurückzuführen. Da gibt es zwei Wege. Einer liegt darin, den Mädchen aus jenen Ländern Bildung zu ermöglichen, in denen sie in der fünften oder sechsten Klasse aus der Schule genommen und verheiratet werden. Das kann kulturelle, religiöse oder andere Gründe haben. Diese Mädchen haben tendenziell fünf oder mehr Kinder. Wenn es einem Mädchen aber gestattet wird, bis zur neunten oder zehnten Klasse weiter zur Schule zu gehen, dann sinkt ihre Reproduktionsrate auf zwei Kinder. Darum ist die Stärkung von Mädchen und Frauen die beste Lösung für die globale Erwärmung.

    Fahrradständer wie dieser in Kopenhagen können in Dänemark ganz schön überfüllt sein. Dort werden 18 Prozent der innerörtlichen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt.
    Foto von Jason Edwards, National Geographic Creative

    Atomenergie ist eine eher kontroverse Wahl als Lösung für den Klimawandel. Aber China lässt einen neuen Vorwärtstrend erkennen – ironischerweise mit einer Technologie, die in den USA entwickelt und dann zurückgestellt wurde.

    Flüssigsalzreaktoren wurden in den 1950ern erstmals im Oak Ridge National Laboratory entwickelt. Ich weiß nicht, warum wir das Konzept verworfen haben. Aber ich weiß, dass die Chinesen es nun aufgegabelt haben. [Lacht] Die Atomenergieindustrie in Europa und den USA ist quasi zum Erliegen gekommen. Die im Bau befindlichen Kraftwerke sind völlig überteuert, niemand will sie finanzieren, niemand will sie versichern außer die Regierungen selbst.

    Aber in China und in Asien generell ist das nicht der Fall. Die Chinesen bauen diese Kraftwerke für deutlich weniger Geld in viel kürzerer Zeit. Das sind kleine Sicherheitsreaktoren, die man abschalten kann, ohne dass jemand vor Ort ist. Die Bauzeiten sind kürzer. Viele Leute protestierten, weil wir das mit aufgenommen haben, und ich glaube auch nicht, dass es bisher langfristige Lösungen für die Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Plutoniumlagerung gibt. Aber einige der neuen Reaktoren haben definitiv eine ganz andere Bedeutung [als die alten].

    Auch Architektur spielt zunehmend eine Rolle bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung. Erzählen Sie uns etwas über „Cool Roofs“.

    Cool Roofs sind Dächer, die entweder die Wärme reflektieren, so wie weiße Dächer, oder es sind begrünte Dächer mit belaubten und immergrünen Pflanzen. Beide Arten nutzen unterschiedliche Mechanismen, um die Gebäude darunter zu kühlen. Weiße Dächer sind besonders geeignet für tropische Gebiete oder Gegenden mit hoher Strahlung.

    Wenn man nach Los Angeles fliegt, sieht man zunehmend mehr weiße Dächer. Es ist im Grunde eine sehr einfache Methode. Begrünte Dächer kann man überall anlegen, ob nun in den Tropen oder in gemäßigten Klimazonen. Sie haben phänomenale Dämmeigenschaften. Die sind in Deutschland, Kanada, den USA und Großbritannien sehr verbreitet.

    Selbstfahrende Autos wie diese im Uber Advanced Technologies Center in Pittsburgh in Pennsylvania, USA, könnten die Menschen dazu bewegen, vom Besitz eines eigenen Autos abzusehen.
    Foto von Angelo Merendino, AFP, Getty Images

    In Dänemark werden 18 Prozent der innerörtlichen Fahrten mit dem Fahrrad unternommen. In den Niederlanden sind es 27 Prozent. In den USA liegt diese Zahl aber nur bei einem Prozent. Wie kann man Amerikaner überzeugen, ihre vier Räder gegen zwei zu tauschen? Und welchen Effekt hätte das auf die globale Erwärmung?

    Die USA sind ein Land, das Autos liebt. Die Städte und Straßen dort sind so gestaltet, dass es für Fahrradfahrer gefährlich auf den Straßen ist. Darum ist es einer der gefährlichsten Orte für Fahrräder.

    Wenn man aber Infrastruktur für Fahrräder anlegt, werden die Leute sie auch benutzen, selbst im Norden. Da muss man sich nur Dänemark ansehen. Der Satz „Bau es und sie werden kommen“ trifft auf Fahrräder zu. Wenn die Leute eine Fahrradspur sehen, dann ist das eine Einladung und sie werden das dann selbst mal ausprobieren.

    Das kann sich im großen Stil auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken, aber auch auf die Gigatonnenzahl von CO2, die wir bis 2050 reduzieren müssen. Die Gesamtkosten sind negativ verglichen mit dem Bau von mehr Straßen und Massenverkehrsmitteln. Das ist eine Win-Win-Strategie für die Städte hinsichtlich der Stadthaushalte, der Gesundheit und der Reduzierung von Verkehr und Verschmutzung.

    Wir alle lieben das Reisen, aber weltweit erzeugten Flüge im Jahr 2015 insgesamt 781 Millionen Tonnen CO2. Wie kann man diese gigantische Zahl senken?

    Der Flugverkehr ist für zwei oder drei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich und alle großen Flugunternehmen arbeiten an Lösungen. Sie müssen aber 30 Jahre vorausdenken. Es braucht viel Zeit, ein neues Flugzeug zu entwerfen und es auf Sicherheit zu testen. Das liegt an der außergewöhnlich sorgfältigen technischen Planung und Umsetzung.

    Es gibt eine ganze Reihe neuer Technologien, die im Labor und in Testflugzeugen zur Anwendung kommen. Das fängt bei der Form der Flugzeugrümpfe an und geht bis zur Platzierung der Triebwerke am hinteren Ende des Flugzeugs, um Gewicht zu sparen. Die Deutschen arbeiten gerade an etwas, das sich später Abstieg nennt. Die Art, wie Flugzeuge auf Flughäfen ein- oder ausgewiesen werden, oder die Taxis auf den Landebahnen tragen ebenfalls signifikant zu den CO2-Emissionen bei. Was man aktuell sehen kann, sind operative Änderungen bei Abflug und Landung, die den Kraftstoffverbrauch um zehn bis 30 Prozent senken können.

    Flugunternehmen sprechen auch über Designs für Flugzeuge, die elektrisch oder mit Biokraftstoff fliegen. Das wäre eine völlig andere Beförderungsart. Sie wäre sehr leise und würde 40 bis 50 Prozent der Energie einsparen, die ein Flugzeug momentan verbraucht. Das ist ein großes Innovationsfeld. Ich würde da nur geduldig sein, weil es eben viel Zeit braucht.

    China baut relativ kleine und preiswerte Atomreaktoren wie diesen in Changjiang. Es gibt jedoch weiterhin Bedenken über deren langfristige Sicherheit.
    Foto von VCG, Getty Images

    Gegen Ende ihres Buches beschreiben Sie ein paar futuristische Ideen, die schon bald Realität werden könnten. Erzählen Sie uns etwas über die Wiederherstellung der Mammutsteppe.

    Die Wiederherstellung der Mammutsteppe ist auf gewisse Weise mein Lieblingsbeispiel. Die Mammutsteppe ist eine subarktische Region, die sich einst von Alaska bis nach Kanada erstreckte, den ganzen Weg über Russland und Europa. Jetzt gibt es sie nur noch in Russland. Es war das größte Grasland der Welt. Aber vor 12.000 Jahren kamen dann die Menschen und rotteten all die Tiere aus.

    Jetzt versuchen die zwei Biologen Sergey Zimof und Alexander Sergeev, einen Pleistozän-Park zu erschaffen, um die Mammutsteppe wiederherzustellen. Dort werden Tiere angesiedelt, die es da ursprünglich gab, außer natürlich das Wollhaarmammut, das ausgestorben ist. Elche, Wölfe, Rentiere oder Moschusochsen fressen das abgestorbene Gras unter dem Schnee, indem sie den Schnee mit ihren Hörnern, Schnauzen oder Hufe beiseiteschieben. Dadurch senken sie die Bodentemperaturen in der Subarktis um etwa zwei Grad Celsius, wodurch sich der Permafrost in diesem Gebiet besser halten kann.

    Nichts ist futuristischer als ein Auto, das von allein fährt. Daher befinden sich Apple, Tesla und diverse andere Autobauer wie Ford im Rennen darum, ein solches Fahrzeug zu entwickeln. Das Problem ist nur, dass sie immer wieder Unfälle bauen. Gibt es eine Zukunft für autonome Fahrzeuge? Und welche Auswirkungen hätten sie auf den Klimawandel?

    Die ganze Mobilitätsthematik ist noch nicht entschieden. Brauchen wir wirklich ein 1,8 Tonnen schweres Auto, um eine 55 Kilogramm schwere Frau zum Supermarkt zu bringen? Ich glaube nicht. Es geht da um eine völlig andere Beziehung zwischen der Mobilität der Menschen und ihrer Unabhängigkeit hinsichtlich der Fahrzeuge. Da gehen die Meinungen auseinander. Aber wenn man es richtig anstellt, könnte man die Zahl der Autos auf der Straße oder in der Garage um 40 oder 60 Prozent reduzieren. Denn genau dort befinden sich die Autos die meiste Zeit über. Eigentlich werden sie nur zu vier Prozent der Zeit genutzt. Die anderen 96 Prozent stehen sie nur rum.

    Wir brauchen Mobilität immer als greifbare Option: Ich sage also zum Beispiel, ich brauche gerade ein Fahrzeug, etwas, das mich von A nach B bringt, und das kommt dann ganz schnell bei mir an und ist sicher. Wenn das in Zukunft weiterhin gegeben ist, dann können wir sagen, dass wir gar kein eigenes Auto mehr brauchen, speziell in einer städtischen Umgebung. Das kann nicht nur die Anzahl von Autos verringern, die auf der ganzen Welt produziert werden. Diese Fahrzeuge können dann auch elektrisch fahren und von erneuerbaren Energien wie Windenergie angetrieben werden.

    Das hätte auch einen großen Einfluss auf die Straßen, weil solche Autos kleiner sind und nicht dieselbe Art von Infrastruktur benötigen. Man spricht darüber, Straßen schmaler zu bauen und Städte wieder mehr auf Fußgänger auszurichten, mit mehr Platz für Fußwege und Cafébereiche. Das hat außerdem enormen Einfluss auf die Lautstärke, da diese Fahrzeuge sehr leise sind.

    Einige von ihnen haben Unfälle gebaut. Aber wir sollten die Zahl der Verkehrstoten nicht vergessen, die jedes Jahr durch die Fahrzeuge umkommen, die es schon gibt.

    Bei der aktuellen Innovationsgeschwindigkeit der Technologie habe ich keine Zweifel, dass man das erfolgreich zustande bringen kann.

    Das Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.

    Simon Worrall auf Twitter und seiner Homepage folgen.

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