Ohne Insekten könnte die Menschheit aussterben

Es gibt 1,4 Milliarden Insekten pro Person auf der Welt – und wir brauchen (fast) alle davon.

Von Simon Worrall
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:39 MEZ
Biene auf Blüte
Honigbienen sind von entscheidender Bedeutung für den Anbau von Mandeln, Wassermelonen und anderen Feldfrüchten.
Foto von Anand Varma, National Geographic Creative

Auf jeden von uns kommen 1,4 Milliarden Insekten. Obwohl man in vielen Fällen ein Mikroskop bräuchte, um sie zu sehen, sind Insekten diejenigen, „die am Hebel der Welt sitzen“, sagt David MacNeal, Autor des Buches „Bugged“. Sie machen alles für uns: Sie ernähren uns, räumen unseren Dreck weg und generieren allein für die Wirtschaft der USA 57 Milliarden Dollar.

Mittlerweile sind allerdings viele Arten vom Aussterben bedroht. Als sich National Geographic in Los Angeles mit MacNeal unterhielt, erklärte er, warum das Insektensterben katastrophal für das Leben auf der Erde wäre und warum eine genetisch veränderte Biene ganze Bienenstöcke – und unsere Nahrungsvorräte– retten könnte.

Courtesy St Martin's Press

Ich glaube, genau wie ich sehen die meisten Menschen Insekten als, na ja, Insekten an – als lästige kleine Viecher, die uns stechen und uns unser Picknick verderben. Warum sind Sie so fasziniert von ihnen?

Einzeln sind Insekten nicht unfassbar spannend, sofern man sich nicht auf Bodenlevel begibt oder durch ein Mikroskop ihre Komplexität betrachtet. Aber sie sind die unsichtbare Kraft, die auf der ganzen Welt wirkt, um sie am Laufen zu halten.

Die Mandeln aus Kalifornien und die Wassermelonen aus Florida gäbe es nicht ohne die Bienen. Insekten führen dem Boden außerdem wieder Nährstoffe zu. Wenn es sie nicht gäbe, wäre die Menge an Verwesung und Fäulnis überall furchtbar.

Wir bemerken diese Leistungen oft gar nicht, da Insekten so klein sind und wir sie oft nur als lästig betrachten. Aber sie sind es, die am Hebel der Welt sitzen.

Sie deuten an, dass Insekten Arbeit im Wert von Milliarden Dollar für uns machen. Erklären Sie das mal.

Mace Vaughan und John Losey, zwei Entomologen, haben detailliert analysiert, welchen Beitrag Insekten zur US-Wirtschaft leisten. Sie haben herausgefunden, dass es etwa 57 Milliarden Dollar sind – Bestäubung nicht eingeschlossen. Der Großteil des Betrags kommt durch Wildtiere zustande, da Insekten die Grundlage der Nahrungskette für Fische, Vögel und manche Säugetiere darstellen. Nützlinge steuern eine weitere halbe Milliarde bei. Außerdem gibt es keine Möglichkeit abzuschätzen, wie viel es kosten würde, Leichen zu verwerten oder Pflanzenmaterial zu zersetzen.

Sie sagen, dass 2.086 Insektenarten von etwa 3.071 verschiedenen ethnischen Gruppen in etwa 130 Ländern gegessen werden. Was sind ein paar Ihrer persönlichen Highlights aus dieser Speisekarte und welche Erfahrungen haben Sie in Japan gemacht?

[Lacht] Wenn man nach Mexiko geht, verkaufen sie Chapulines – Heuschrecken – in braunen Papiertüten mit Gewürzen. Auf Borneo essen sie Reiskäfer, gemischt mit Chili und Salz. Die werden dann in hohlen Bambusstäben gekocht. Raupen sind in Afrika sehr beliebt und eine super Quelle für Zink, Kalzium, Eisen und Kalium. Auf Sardinien und Korsika isst man Casu Marzu – einen Käse, der Maden enthält.

In Japan war ich in drei Restaurants in Tokio und Shinjuku. Als erstes gab es diese Raupen der Motte Omphisa fuscidentalis. Denen konnte man ansehen, dass sie schon eine Weile lang tot waren. Die blieben mir in der Kehle stecken. [Lacht] Ich habe einen Schluck Bier gebraucht, um sie runterzuspülen.

Das nächste Lokal, in das wir gingen, hatte ein Sammelsurium an Insektenarten. Eine davon war diese Heuschrecke, die Reisblätter frisst. Sie wurde mit Soja gekocht und hatte so eine tolle Glasur. Und weil sie Reisblätter frisst, hat man beim Essen erst so ein Knuspern und dann einen ganz klar pflanzlichen Geschmack, der ganz einzigartig ist. Ich habe noch nie so eine Zutat gegessen.

Die Wespenlarven schmeckten wie die Sultaninen, die man im Couscous bekommt. Sie waren süß und machten beim Essen so ein kleines Platzgeräusch. Wenn Köche Insekten als eine Zutat voller Potenzial betrachten, kommen am Ende ganz fantastische Sachen dabei heraus.

BELIEBT

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    Wenn Menschen morgen aussterben würden, hätte das keinen allzu großen Effekt auf den Planeten. Aber das Aussterben der Insekten könnte verheerend sein. Erklären Sie uns, warum das so ist.

    Das Insektensterben ist eines der umfangreichsten Artensterben auf dem Planeten. Es ist deshalb so erschreckend, weil man es gar nicht bemerkt, bis es zu spät ist. Die Migrationsmuster verschieben sich durch das Klima, und Insekten bieten eine großartige Möglichkeit, das zu beobachten. In den 1960ern ging ein Sammler in die Antioch Dunes in Kalifornien und fing dort eine Reihe Käfer. Als Wissenschaftler Jahrzehnte später dorthin zurückkehrten, entdeckten sie, dass viele Arten verschwunden waren und mit ihnen die Wirtspflanzen. Diese Tiere sind auf Pflanzen und bestimmte Wettermuster und Temperaturen angewiesen. Das ist eine Anpassungsfähigkeit, die sie in den letzten 400 Millionen Jahren entwickelt haben.

    Vor 20 Jahren hätte man noch eine Milliarde Monarchfalter nach Mexiko ziehen sehen können. Die letzte Zählung belief sich auf 56,5 Millionen. Um dem Rückgang entgegenzuwirken, hat die Obama-Regierung in Zusammenarbeit mit dem Fish and Wildlife Service der USA einen Migrations-Highway von Texas bis nach Minnesota angelegt. Sie haben Seidenpflanzen angepflanzt, die Wirtspflanzen der Monarchfalter. Sie hoffen, diese 56,5 Millionen dadurch bis 2020 zu vervierfachen. Ich bin ein optimistischer Zyniker, daher glaube ich, dass uns die Insekten überleben werden, wenn wir den Planeten nicht völlig versaut haben.

    Früher wurden Blutegel in der Medizin genutzt. Erzählen Sie uns etwas darüber, wie Insekten heute eingesetzt werden, um uns zu heilen.

    In klinischen Studien an Menschen in den USA und Australien hat man sich sogenannte „Tumorfarbe“ angesehen – ein Gift des Gelben Mittelmeerskorpions, das sich wie ein Magnet an Tumore haftet. Die Biologen haben es mit fluoreszierenden Substanzen gemischt. Bei Operationen am Gehirn kann man den Tumor nun also sehen, anstatt sich auf MRI-Scans verlassen zu müssen. Die Hirnchirurgen können genau sehen, wo sie den Schnitt ansetzen müssen, damit sie also auch kein gesundes Gewebe entfernen. In manchen Fällen leuchten auch andere Teile des Gehirns auf, wo man einen Tumor vielleicht übersehen hätte. Das revolutioniert die Hirnchirurgie.

    Kakerlaken helfen Wissenschaftlern dabei, das Problem der Antibiotikaresistenz zu lösen. Sie lieben Scheiße! Sie leben in einigen der dreckigsten Bereiche überhaupt, obwohl sie selbst sehr sauber sind. Daher haben sie eine Resistenz gegen viele Infektionen entwickelt. Anstatt sich für neue Heilmittel also mit Pflanzen und Pilzen zu beschäftigen, fangen Wissenschaftler jetzt endlich damit an, sich Insekten anzusehen.

    Heuschrecken werden auf der ganzen Welt gegessen. In diesem Insekten-Dinner in Brooklyn werden sie frittiert serviert.
    Foto von Evan Sung, T​he New York Times, Redux

    E.O. Wilson hat Blattschneiderameisen als die „ultimativen Superorganismen der Erde“ bezeichnet. Was können Sie uns über diese erstaunlichen Tiere erzählen – und welche soziale Organisation der Ameisen kann uns etwas über unsere eigenen Gesellschaften verraten?

    Wir haben früher gedacht, dass Ameisen eine klassenbasierte Struktur haben. Man hat die Arbeiterin, den Soldaten und die Königin, die über allen thront. Mittlerweile entdecken Entomologen aber, dass da viel in Selbstverwaltung passiert und dass die Ameisen in großer Geschwindigkeit miteinander kommunizieren. Da hat man Ameisen, die auf einer Ameisenstraße aneinander vorbeilaufen und sich mit ihren Fühlern antippen, wie Morsecode: „Hey, wir müssen hier entlang oder nach da zur Futtersuche.“

    Deborah Gordon macht ganz fantastische Untersuchungen an einer Ameisenart, die über die Blätter der Bäume klettert, auf denen sie wohnt. Sie hat herausgefunden, dass, wenn ein Blatt plötzlich abbricht, die Ameisen sich zusammenschließen und es reparieren. Sie benutzen dafür eine Art Algorithmus, mit dem sie rasant miteinander kommunizieren. Basierend darauf könnten wir Möglichkeiten untersuchen, wie man Systeme repariert oder Gehirne kartiert und Konnektivität erkennt. Zusammen mit Honigbienen gehören Ameisen zu den intelligentesten Lebewesen auf dem Planeten, neben Delfinen und Menschen.

    Bienen machen seit den Zeiten der alten Ägypter Honig für uns. Aktuell gibt es aber eine globale Krise durch das Bienensterben. Worin liegen die Ursachen? Und berichten Sie uns von der spannenden Arbeit in Großbritannien, die man mit „hygienischen Bienen“ macht.

    Das Bienensterben war der große Alarm, der Mitte der 2000er losging. Entomologen wussten schon seit der weltweiten Verbreitung der Varroamilbe in den 80ern und 90ern, dass es ein Problem mit den Bienen gibt. Aber was die Ursache angeht, die ist noch immer nicht geklärt. Viele Wissenschaftler finden gerade heraus, dass die Ursache vermutlich die ganze Zeit direkt vor ihrer Nase war: die Varroamilben und der Stress, den die Bienen durch den Transport ihrer Bienenstöcke über große Entfernungen erleiden. Das ist in den USA üblich für die Bestäubung, in Europa aber eher nicht. Ein Wissenschaftler beschrieb die Varroamilben so, als hätte man eine Ratte an seinem Körper, die einem das Leben entzieht.

    An der Universität von Sussex in England macht man unglaubliche Arbeit mit hygienischen Bienen. Naturgemäß würde die Evolution Bienen bevorzugen, die eine Varroaresistenz haben. In dem Labor in Sussex züchtet man also diese spezielle Eigenschaft mit Königinnen, die varroaresistent sind. Bienenzüchter in den USA und auf der ganzen Welt suchen sich diese varroaresistenten oder hygienischen Bienen.

    Die Populationen der Monarchfalter sind rückläufig und die Wissenschaftler können nicht herausfinden, was genau die Ursache ist.
    Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

    Sie beenden Ihre Reise auf der griechischen Insel Ikaria. Was hat Sie dort hingeführt? Und wie hat das Schreiben dieses Buches Ihr Leben verändert?

    Das ist eine gute Frage! Ich bin einfach ein dummer, neugieriger Mensch. [Lacht] Wenn ich irgendwas sehe, das mich interessiert, dann verfolge ich das bis zum Schluss. Als ich also von diesem speziellen Honig hörte, dem die örtlichen Dorfbewohner ihre Langlebigkeit zuschreiben – auf Ikaria leben die Menschen häufig bis in ihre späten 90er oder werden sogar über 100 –, war ich fasziniert. Es gibt da diesen Honig namens Reiki, der so dick wie Erdnussbutter ist und voller Vitamine und Nährstoffe. Natürlich gibt es noch andere Faktoren, die die Langlebigkeit der Inselbewohner erklären, zum Beispiel ihre Geselligkeit. Bei den jährlichen Feierlichkeiten zur Sommersonnenwende versammeln sie sich in ihren Dörfern, spielen Musik, trinken Wein und tanzen im Kreis und tanzen Arm in Arm im Kreis. Da ist einfach überall Liebe!

    Diese Reise war wirklich etwas Besonderes! Ich habe mich von diesem Trottel, der als Teenager mal fast eine ganze Dose Raid [Anm. d. Red.: ein Insektizid] auf eine Spinne gesprüht hat, zu jemandem gewandelt, der entdeckt, dass wir von diesen kleinen, unglaublichen Dingen umgeben sind. Jetzt laufe ich mit meinem Kopf Richtung Boden geneigt durch die Gegend. [Lacht] Ich habe gelernt, innezuhalten, zu beobachten und zu würdigen. Wir sind nur für kurze Zeit hier. Es ist also beruhigend, dass es etwas gibt, das uns um Millionen von Jahren überleben wird.

    Das Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.
    Simon Worrall auf Twitter und seiner Webseite folgen.

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