Riesige Fettberge verstopfen die weltweiten Abwassersysteme

Berge aus Fett und Müll verstopfen Toiletten, führen zu Rohrbrüchen und werden mitunter gar illegal als Speiseöl verwendet.

Von Erika Engelhaupt
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:46 MEZ
Kanalreiniger mit Fettberg
Ein Mitarbeiter der Abwasserkanalreinigung hält einen kleinen Fettberg, London, Dezember 2014.
Foto von Adrian Dennis, AFP, Getty Images

Irgendwo gießt vielleicht jemand fettigen Bratensaft die Küchenspüle runter. Ein paar Straßen weiter spült jemand ein Stück feuchtes Toilettenpapier runter. Wenn sich beides in einem engen, dunklen Abwasserrohr trifft, ist das die Geburt eines Baby-Fettbergs.

Schließlich sammelt sich noch mehr Fett und Öl an der Masse, die zu einem riesigen, stinkenden Pfropfen heranwächst. Wenn sie groß genug werden, können Fettberge ganze Abwasserrohre komplett verstopfen, sodass das Abwasser auf die Straße gedrückt wird. Als 2013 schließlich ein 15 Tonnen schwerer Fettberg aus dem Londoner Borough Kingston entfernt wurde, waren schon etliche Toiletten in der Nachbarschaft übergelaufen.

Fettberge sind eine Geißel der Kanalisation, und sowohl sie selbst als auch die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung sind gewachsen. London, Belfast, Denver und Melbourne sind nur ein paar der Weltmetropolen, die in den letzten Jahren riesige Fettberge in ihren Abwassersystemen entdeckt haben.

BELIEBT

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    Kanalarbeiter in London entdeckten diesen Fettberg, der sich unter der Whitechapel Road über mindestens einen Häuserblock erstreckte
    Foto von Thames Water

    Als der Kingston-Fettberg von der Größe eines Busses entdeckt wurde, erzählte ein Dienstvorsitzender von Thames Water der BBC: „Wir vermuten, dass es der Größte in der britischen Geschichte ist.“ Innerhalb von zwei Jahren brachte ein noch größerer Fettberg die einen Meter breiten Abwasserrohre im Londoner Viertel Chelsea zum Bersten. In diesem Sommer entfernte North Ireland Water „ein paar hundert Tonnen“ Fett und Müll aus einem Fettberg unter einer Reihe von Fast-Food-Restaurants in Belfast.

    Die Fettberge sind überraschend hart. Laut Thames Water ist ihre Beseitigung vergleichbar mit dem Entfernen von Betonbrocken.
    Foto von Thames Water

    Das Problem ist nicht nur widerlich, es ist auch eine finanzielle Belastung. In New York City ist Fett für 71 Prozent der Rückstaus in der Kanalisation verantwortlich, wie einem Bericht von 2016 zu entnehmen ist. Die Stadt gab innerhalb von fünf Jahren 18 Millionen Dollar für die Bekämpfung von Fettbergen aus. Auch kleinere Städte sind nicht sicher. Ft. Wayne im US-Bundesstaat Indiana hat eine halbe Million Dollar pro Jahr ausgegeben, um das Fett aus den Abwasserkanälen zu beseitigen.  

    Aus den USA und dem Vereinigten Königreich gibt es die meisten Berichte über Fettberge, sagt der Ingenieur Thomas Wallace vom University College Dublin, der sich mit der Entsorgung von Fett beschäftigt. Beide Länder produzieren nicht nur Fettbergzutaten in Hülle und Fülle, sondern kranken auch an veralteten Abwassersystemen, die dem Ansturm des Fetts und Mülls der wachsenden Bevölkerung nicht gewachsen sind.

    KAMPF DEN FETTBERGEN

    Die Verstopfung ist dabei ein Problem, das so alt ist wie Abwassersysteme. Schon die alten Römer schickten Berichten zufolge Sklaven in ihre Abwasserkanäle, um diese zu säubern. Aber die gewaltigen Fettberge der Neuzeit entstehen durch moderne Erfindungen.

    Sie fingen vermutlich klein an, als die Städte und die Abfallprodukte der Lebensmittelzubereitung im Industriezeitalter wuchsen. 1884 patentierte Nathaniel Whiting aus San Francisco den ersten Fettfang, um „Stoffe zu fangen, die dazu neigen, Abwasserrohre zu verstopfen“.

    Das grundlegende Design von Whiting kommt auch heute noch zum Einsatz: Das Abwasser läuft durch einen Kasten, in dem sich das Fett oben absetzt und so herausgefiltert wird. Irgendwann muss das Fett dann abgeschöpft und entsorgt werden.

    Ein Abwassertechniker schaufelt 2014 Fett aus einem Londoner Abwasserkanal.
    Foto von Adrian Dennis, AFP, Getty Images

    In den USA verlangen viele Städte von Restaurants und Imbissen, dass sie Fettfänge installieren und diese reinigen. Mancherorts öffnen allerdings Diebe mit Schweißbrennern die Fettfänge und stehlen das alte Speiseöl, aus dem man Biokraftstoff machen kann.

    Auch in China wird das Fett aus der Kanalisation und aus Fettfängen illegal gestohlen, gesäubert – wenn auch nicht gründlich – und auf dem Schwarzmarkt als „Abflussöl“ (gutter oil) verkauft. In billigen Restaurants und bei Straßenimbissen wird mitunter sogar die Nahrung in solchem Abflussöl zubereitet.

    Im Vereinigten Königreich waren die Vorschriften für Fettfänge bisher lascher als in den USA, da viele Abwassersysteme wie Thams Water in London sich in Privatbesitz befinden und nicht die entsprechenden Ordnungsinstanzen haben, um denen Einsatz durchzusetzen. Stattdessen stellt der Versorger ein Team aus „Flushern“ an – Leute, die das Fett und andere Unannehmlichkeiten aus den Rohren schaufeln und sie so funktional halten.

    Daher passt es aber, dass die Bezeichnung „Fettberg“ von den Leuten stammt, die sich damit am besten auskennen: den Kanalarbeitern von Thames Water. Die Beschreibung ist jedenfalls bildhafter als das amerikanische Pendant FOG, das für fat, oil and grease steht, also Fett, Öl und Schmiere.

    KANALSEIFE UND GESANG

    Mit dem Wachsen der Fettberge haben Wissenschaftler auch mehr darüber erfahren, wie sie entstehen und wie man sie bekämpfen kann. Erst vor Kurzem fanden Forscher beispielsweise heraus, dass ein Großteil der Masse dieser Fettberge aus einer Art Seife besteht, die erst in den Abwasserkanälen entsteht.

    2011 berichteten Joel Ducoste von der North Carolina State Universität und sein Team, dass das Fett in den Kanälen durch Verseifung zu Seife werden kann, wenn Kalzium vorhanden ist. Das Team züchtete sogar Mini-Fettberge im Labor, die auf kalziumhaltigem Beton entstanden – ein Hinweis darauf, wie die Berge in manchen Kanälen so gigantisch werden können.

    In Städten, in denen sich Fettberge mittlerweile häufen, sind auch Feuchttücher und feuchtes Toilettenpapier ein großer Teil des Problems. Die Tücher, die für Babys und Erwachsene erhältlich sind, werden oft als „einfach runterspülbar“ angepriesen. Allerdings werden sie später wieder tonnenweise aus den Kanälen gefischt, da sie sich nicht annähernd so gut auflösen, wie viele Verbraucher vielleicht vermuten. Außerdem können die stabilen Tücher als ausgezeichnete Bausteine für Fettberge fungieren.

    Tom Curran vom University College Dublin hat nun als erster Wissenschaftler im Kampf gegen Fettberge ein Fulbright-Stipendium erhalten. Für sein Projekt wird Curran in Ducoste in North Carolina an der Kartierung von Fettberg-Hotspots arbeiten und Sensoren entwickeln, welche die Städte vor Fettbergen warnen, bevor sie groß genug werden, um die Rohre zu sprengen.

    Manche Städte betrachten die Fettberge sogar als Treibstoff. Immerhin hat Fett einen hohen Anteil an Kalorien und damit an Energie. Thames Water arbeitet mit einem Unternehmen für Biokraftstoff zusammen, um die Fettberge aus den Kanälen zu entfernen und zu Biodiesel zu verarbeiten.

    Laut Curran haben Kampagnen für die Sensibilisierung der Öffentlichkeit in einigen Städten schon zur Verringerung der Kanalverstopfungen geführt, indem sie den Leuten erklärt haben, was sie nicht die Toilette oder den Ausguss hinunterspülen sollten. „Es sind auch rechtliche Bestrebungen im Gange, was die Verwendung des Begriffs ‚runterspülbar‘ angeht“, sagt er.

    Die Städte zeigen sich auch kreativ, was ihre Nachrichten an die Öffentlichkeit angeht. Weihnachten sei oft eine besonders schlimme Fettberg-Zeit, so Thames Water, da das ganze Fett vom Weihnachtsbraten in den Ausguss gekippt wird.

    Und wie reagiert das Unternehmen darauf? Nicht mit Sternsingern, sondern mit Videos von „Kanalsingern“ – und einem Kanalarbeiter in einem Truthahnkostüm.

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