Zahl ermordeter Umweltaktivisten stieg 2017 auf Rekordhoch

Im vergangenen Jahr wurden weltweit zahlreiche Aktivisten im Streit um Land und Umweltschutz ermordet.

Von Elaina Zachos
Veröffentlicht am 27. Juli 2018, 13:45 MESZ

Wie etliche andere Umweltaktivisten riskiert auch die Krankenschwester und Anthropologin Isela González jeden Tag ihr Leben.

„Einmal kam jemand außerhalb einer Gerichtsverhandlung auf mich zu und hat mir mit dem Tod gedroht, weil ich indigenen Gemeinden helfe“, erinnert sich González, die Geschäftsführerin der pro-indigenen NGO Alianza Sierra Madre. „Mit diesen Morden wollen sie nicht nur die Gemeinschaften der Ureinwohner in Angst und Schrecken versetzen, sondern auch [all jene, die ihnen helfen].“

Jedes Jahr ist das Leben zahlloser friedlicher Demonstranten gefährdet, die in Streitigkeiten um Land und Umweltschutz involviert sind. Einer aktuellen Studie zufolge starben 2017 mehr als 200 Menschen in diesem Kontext. Damit ist es das bisher tödlichste Jahr dieser Art.

„Das trifft mich auf einer moralischen und einer körperlichen Ebene“, sagt González. „Aber gleichzeitig [verspüre ich] den Wunsch nach Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die gefallenen Verteidiger, für deren Familien, und vor allem den Wunsch danach, dass so etwas nie wieder passiert. Diese Energie treibt einen dazu, weiterzuarbeiten.“

STEIGENDE OPFERZAHL

Laut der internationalen Umweltorganisation Global Witness starben im vergangenen Jahr 207 Umweltaktivisten. Damit übersteigt die Zahl sogar die traurige Bilanz des Jahres 2016.

Im Bereich der Landwirtschaft waren mit 46 getöteten Aktivisten die meisten Toten zu verzeichnen, gefolgt von der Öl- und Bergbauindustrie mit 40 Toten. 23 Todesfälle wurden mit Wilderei und Waldrodung in Verbindung gebracht.

Umweltaktivisten versammelten sich vor dem Weißen Haus in Washington, D.C., um auf die im Jahr 2016 erfolgte Ermordung der honduranischen Aktivistin Berta Cáceres aufmerksam zu machen, die gegen ein Staudamm-Projekt kämpfte.
Foto von Jahi Chikwendiu, THE WASHINGTON POST VIA GETTY IMAGES

„Unsere Statistik stellt nur die Spitze des Eisbergs dar“, sagt Ben Leather, der Chefermittler für die Studie und Aktivist bei Global Witness. „Da es bei der Meldung und Bestätigung der Todesfälle Schwierigkeiten gibt, sind die Zahlen mit Sicherheit höher.“

Global Witness verwendet Datensätze aus nationalen und internationalen Quellen, darunter Jahresberichte und andere öffentlich zugängliche Informationen. Die Organisation nimmt nur bestätigte Todesfälle in ihren eigenen Bericht auf und überprüft Informationen wie die Namen der Verstorbene und ihre Todesursache.

Leather zufolge ist die Dunkelziffer wohl auch deshalb höher, weil viele Todesfälle nicht gemeldet oder verzeichnet werden. Für Länder mit besonders eingeschränkter Meinungsfreiheit wie China, Russland und einigen Teilen Zentralasiens waren keine Zahlen vorhanden. Die Zahlen aus Afrika waren der Studie zufolge trügerisch niedrig – womöglich aufgrund nicht erfasster Morde.

Fast 60 Prozent der 207 Morde des letzten Jahres fanden in Lateinamerika statt. Dabei erwies sich Brasilien mit 57 Todesfällen als das tödlichste Land. Die Philippinen hatten mit 48 Morden die meisten Todesfälle in ganz Asien, und Mexikos Opferzahl verfünffachte sich von drei Morden im Jahr 2016 auf 15 Morde im letzten Jahr.

Laut der Studie wurden 30 Morde mit dem Militär in Verbindung gebracht und 23 mit der Polizei. Gangs, Sicherheitsbeamte, Landeigentümer, Wilderer und andere nicht staatliche Akteure töteten mindestens 90 Menschen.

„Korruption ist da ein großes Problem“, so Leather. „Die Behörden, die die Rechte ihrer Aktivisten eigentlich verteidigen sollten, sind an diesen Angriffen beteiligt.“

Entgegen dem allgemeinen Trend der Studie zeigte Honduras eine positive Entwicklung. Das mittelamerikanische Land verzeichnete weniger Morde an Aktivisten als in vergangenen Jahren, allerdings wird die Zivilgesellschaft dort heutzutage mehr denn je unterdrückt.

„Es gibt eine ganze Reihe an Taktiken, um Aktivisten zum Schweigen zu bringen. Die Morde sind nur die extremste Form“, sagt Leather.

BELIEBT

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    Neben den Morden an Einzelpersonen gab es 2017 im Bereich Umweltaktivismus auch mehr Massenmorde als in irgendeinem anderen Jahr. In mindestens sieben Fällen wurden mehr als vier Aktivisten auf einmal getötet. Leather zufolge zeige das, dass die Täter dreister werden. In der Vergangenheit wurden die Morde oft nicht strafrechtlich verfolgt.

    „Der Bericht ist mehr als nur eine Sammlung von Daten“, sagt Leather. „Es geht um die weit verbreitete Kultur der Straflosigkeit, die die Gewalt zulässt.“

    HOFFNUNG FÜR DIE ZUKUNFT

    Trotz der Risiken kämpfen die Aktivisten weiter.

    „Ich mache weiter, weil das mein Job ist. Wenn ich diese Gemeinden alleinlassen und meine Arbeit aufgeben würde, wäre das so, als würde ich im Angesicht des Terrors und der Drohungen nachgeben“, sagt González. „Ja, natürlich habe ich große Angst. Aber alle Aktivisten haben auch Bewältigungsmechanismen. Wir bereiten uns auf so was vor. Ich denke, das ist eine Entscheidung, die man für sich und sein Leben trifft.“

    In vielen Bereichen können Käuferentscheidungen einen Einfluss haben, wie Global Witness berichtet. Die Konsumenten können an Unternehmen schreiben und ihnen sagen, sie sollen sicherstellen, dass die Einheimischen entlang der gesamten Lieferkette respektiert werden.

    Im Bereich Landwirtschaft ist vor allem Palmöl ein besonders umstrittenes Produkt. Ganze Wälder werden gerodet, um Anbauflächen für Palmölplantagen zu schaffen. Das essbare Öl wird in zahlreichen herkömmlichen Supermarktprodukten verwendet, von Schokolade über Margarine und Eiscreme bis hin zu Shampoo und Lippenstift.

    „Wenn man Produkte mit Palmöl kauft, kann man an die Hersteller schreiben und fragen, was sie tun, um dieses Problem zu bekämpfen“, empfiehlt Leather.

    Andere Feldfrüchte, um deren Anbauflächen oft Landstreitigkeiten entstehen, sind Kaffee, Zucker und Früchte wie Bananen und Ananas. Bergbau und Abholzung sind vor allem für Produkte im Bereich Elektronik und Möbel von Bedeutung.

    „Wenn wir diesen Trend umkehren wollen, muss noch viel mehr getan werden“, sagt Leather. „Menschen sollten nicht sterben oder bedroht werden, nur weil sie ihr Land und ihre Umwelt schützen wollen. Wenn wir Stellung beziehen, können wir unsere Regierungen und Unternehmen hoffentlich dazu bewegen, es uns gleichzutun.“

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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