Bio-Gras? Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit beim Cannabis-Anbau

Lange litt die Industrie unter ihrem schlechten Ruf und einem Mangel an fundierter Forschung. Nun findet sie neue Möglichkeiten im Bereich der Nachhaltigkeit.

Von Austa Somvichian-Clausen
Veröffentlicht am 27. Okt. 2017, 09:42 MESZ, Aktualisiert am 15. Feb. 2021, 09:58 MEZ
Marihuanapflanzen werden zum Verkauf geerntet – allerdings nur in Staaten, welche die Pflanze zum medizinischen und/oder privaten Gebrauch legalisiert haben.
Foto von Lynn Johnson, National Geographic Creative

Beim Anbau von Marihuana verbraucht eine Fläche von etwa 30 x 30 Zentimetern in den USA etwa viermal so viel Energie wie dieselbe Fläche in einem Krankenhaus, achtmal so viel wie in einem Gewerbegebäude und zwanzigmal so viel wie in einem Zentrum für Religionsausübung. Die Zahlen stammen aus einer Studie des Lewis and Clark College.

Immer mehr Menschen in der wachstumsstarken Cannabis-Industrie versuchen jedoch, ihre Ökobilanz in allen Bereichen von Strom über Wasser bis zu Pestiziden zu verbessern. Dennoch befindet sich nun eine Industrie, die bis 2021 vermutlich 20,2 Milliarden Dollar Gewinn verbuchen wird, aufgrund mangelnder Forschung und Regulierungen in einer schwierigen Situation.

2015 hatten nicht einmal die Hälfte aller Bundesstaaten der USA Marihuana für die medizinische Verwendung legalisiert. Mittlerweile ist die Substanz als Arzneimittel in 29 Staaten und dem District of Columbia legal.

Trotz dieser Verbreitung ist ein Satz, den die National Geographic-Chefredakteurin Susan Goldberg 2015 schrieb, noch immer aktuell: „Die Spaltung zwischen dem Unwillen einiger Staaten, Marihuana zu regulieren, zu verkaufen und zu besteuern, und dem Widerwillen der Regierung, Forschung für den [wissenschaftlichen] Fortschritt zu ermöglichen, sorgt dafür, dass immer mehr Menschen das Wissen fehlt, sachkundige und wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen.“

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WISSENSCHAFTLER GESUCHT

Der Mangel an Informationen zeigt sich im Testverfahren für Cannabis, das verglichen mit denen für Nahrungsmittel oder verschreibungspflichtige Medikamente eher nachlässig ist. Erzeuger von Marihuana testen weniger als 0,01 Prozent ihrer Pflanzen auf Wirkstärke und Keimwachstum. Nur wenige Einrichtungen entscheiden sich freiwillig für umfangreichere Tests, die sie als unnötige finanzielle Ausgabe betrachten.

Im Cannabis-freundlichen Colorado besagt die Regel für die „Prozessvalidierung“, dass eine Anbauanlage ihren Wachstumsprozess überprüfen kann, indem sie mit je einer Woche Abstand eine einzige Probe aus einer von sechs geernteten Chargen entnimmt. Dementsprechend müssen sie nicht mal ein Jahr lang testen.

Eine erneute Prüfung wird nur fällig, wenn die Anlage ihren Anbauprozess verändert – also zum Beispiel neue Nährstoffe zuführt oder eine weniger effiziente Beleuchtung austauscht.

„Aktuell gibt es Labore, die die Proben manipulieren, um die THC-Konzentration zu erhöhen“, sagt ein Laborbesitzer, der nicht namentlich genannt werden wollte.

„Durch die begrenzten Tests und den verzweifelten Wunsch, den Kunden zufriedenzustellen, haben die Labore viel von ihrem Wert verloren“, sagte der Besitzer. „Zum Beispiel weiß der Staat, dass ein Ehemann eine Extraktionsanlage besitzt und seine Ehefrau das Testlabor, aber man unternimmt nichts dagegen. Für medizinische Tests scheint das aber einen Interessenkonflikt darzustellen.“

Dieselbe Quelle erklärte auch, dass sich diese Probleme lösen ließen, wenn man Cannabis von einem legalen Standpunkt aus eher wie ein Nahrungsmittel oder ein typisches Arzneimittel behandeln würde. Dann müsste circa ein Prozent des hergestellten Produkts getestet werden.

Laut dem Gesetz für kontrollierte Substanzen aus dem Jahr 1970 gilt Marihuana aber weiterhin als sogenannte „Schedule I Drug“ – also als eine Substanz, die nicht als Arzneimittel zugelassen ist. Das macht es für Wissenschaftler an Universitäten und anderen Institutionen schwierig, die Erlaubnis für Forschungen und Tests zu erhalten. Weitere Drogen in dieser Kategorie sind Heroin, Peyote und Ecstasy.

2017 reichten zwei Mitglieder des Repräsentantenhauses in Florida eine Gesetzesvorlage ein, um Marihuana zu einer „Schedule III Drug“ zu erklären. Damit wäre es in derselben Kategorie wie Hydrocodon oder Ketamin.

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    JETZT AUCH BIO?

    Der Mangel an Cannabis-Tests erschwert auch Qualitätskontrollen. Einige professionelle Anbauer tun aber trotzdem ihr Möglichstes.

    Amy Andrle und ihr Mann John betreiben zusammen eine Ausgabestelle namens L‘Eagle Services, wo sie hochwertige Cannabis-Erzeugnisse herstellen. Andrle ist in Denver in Colorado ansässig – dem Staat, in dem es mehr Marihuanaapotheken gibt als Starbucks- und McDonalds-Filialen zusammen.

    Sie ist außerdem ein Gründungsmitglied der Organic Cannabis Association und sagt, dass L‘Eagle ausschließlich „100 Prozent sauberes Cannabis“ anbietet. Aber da die angebauten Pflanzen auf Bundesebene nicht legal sind, können die Anbauer auch kein offizielles Bio-Zertifikat vom Landwirtschaftsministerium bekommen, wie es zum Beispiel Geflügel oder Mais bekommen.

    Das macht es schwer für Anbauer wie Andrle, ihren Kunden den Unterschied zu vermitteln. „Es gibt kein echtes, nationales, universelles Siegel für die Bio-Zertifizierung. So was existiert im Moment nicht“, sagt Andrle.

    Aber genau das versucht die Organic Cannabis Association zu entwickeln.

    „Wir wollen das [Zertifikat] auf nationaler Ebene anwenden, weil so viele Bundesstaaten auf den Zug aufgesprungen sind, den Marihuanaanbau für medizinische Zwecke zu legalisieren“, erzählt sie. „Ohne Bio-Standards und Bio-Zertifizierung hat der Konsument keine Möglichkeit, den Unterschied zu erkennen.“

    Andrle möchte das Kaufverhalten der Leute ändern – dafür fängt sie mit der Art und Weise an, wie die Menschen Marihuana wahrnehmen. Sie hofft, dass sie einigen der früheren Stigmen ein Ende machen kann. Und die Zielgruppe, die sie anziehen möchte?

    „Leute, die sich vollwertig ernähren“, sagt sie.

    Sie hofft, dass Cannabis-Konsumenten anfangen werden, genauso über diese Produkte zu denken wie über Fleisch oder Gemüse. „Jedes Produkt hat ein eigenes Label, nach dem die Leute suchen“, erklärt Andrle. „Bei Fisch sucht man nach wild gefangenem, bei Gemüse sucht man nach pestizidfreiem Anbau. Man sucht nach Hühnern aus Freilandhaltung oder deren Eiern. So ein Label gibt es aktuell nicht für Cannabis, und das wollen wir entwickeln. Ich glaube, dass Konsumenten anfangen werden, [beim Kauf] nach diesen Kriterien zu suchen.“

    Nutzhanf, der nicht psychoaktiv ist, wird in einem bewässerten Feld östlich von Denver angebaut – diskret verborgen hinter mehreren Reihen Mais.
    Foto von Lynn Johnson, National Geographic Creative

    Anfang Juni fusionierte die Organic Cannabis Association mit der ebenfalls gemeinnützigen Ethical Cannabis Alliance. Daraus bildete sich dann der Cannabis Certification Council (CCC), der hofft, Cannabis-Produkte unabhängig mit den Zertifikaten „biologischer Anbau“ und „faire Herstellung“ auszeichnen zu können.

    „Wir befinden uns momentan in einer ungewöhnlichen Phase, in der die Cannabis-Industrie nicht staatlich beaufsichtigt wird“, sagt Ashley Preece, die zur geschäftsführenden Direktorin des CCC ernannt wurde. „Es gibt fast ein Dutzend Organisationen, die versucht haben, kommerzielle Standards zu schaffen. Aber keine von ihnen hat das auf ethische Weise geschafft.“

    Laut Preece wird sich der CCC an den Richtlinien des US-Landwirtschaftsministeriums und den europäischen Bio-Standards orientieren. Die so entwickelten Richtlinien werden dann zusammen mit einem technischen Beratungsgremium nochmals überprüft. Danach startet ein nationales Pilotprogramm.

    „Erzeuger und Verarbeiter werden dann die Möglichkeit haben, sich von der Konkurrenz abzuheben, die keinen zusätzlichen Aufwand für eine ethische Herstellung von Cannabis betreibt. Zusätzlich wird das Zertifikat den Kunden die Sicherheit bieten, dass die Produkte, die sie konsumieren, sicher und einwandfrei sind und ihre Region unterstützen“, so Preece.

    In Washington State, wo Marihuana legalisiert wurde, bereiten eine Frau und ihre Enkelinnen die Erde für ein Familienunternehmen vor, das Cremes und Salben auf Cannabis-Basis herstellt.
    Foto von Lynn Johnson, National Geographic Creative

    WEGWEISENDE ENERGIEEFFIZIENZ

    2012 stimmte eine Mehrheit in Colorado und Washington für eine Gesetzesänderung, die Marihuana legalisierte. Seitdem suchen Anbauer nach innovativen Methoden, ihre oft beträchtlichen Energiekosten zu senken. Eine Studie aus dem Jahr 2012 fand heraus, dass der Indoor-Anbau von medizinischem Marihuana für etwa drei Prozent des gesamten Energieverbrauchs von Kalifornien verantwortlich war. Seitdem hat sich die Anbaufläche rasant vergrößert.

    Siobhan Danger Darwish baut seit über 15 Jahren Cannabis in Humboldt County in Kalifornien an. Die Farm namens Blessed Coast Farms, die sie und ihr Mann betreiben, erhielt im Juni 2016 eine Genehmigung für den kommerziellen Anbau von Cannabis – die erste offizielle Genehmigung dieser Art in dem Bundesstaat.

    Darwish sagt, dass sie keine künstlichen Dünger oder Pestizide benutzt und ihren Wasserverbrauch sorgsam überwacht.

    „Wir glauben, dass sich Nachhaltigkeit auch auf einen hohen Maßstab für das eigene Verhalten erstreckt. Wir arbeiten dafür, der Gemeinde zu zeigen, dass die aufkommende legale Cannabis-Industrie ihren Beitrag für die Gesellschaft leistet und ihr nicht etwa etwas wegnimmt“, sagt Darwish.

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    Die Legalisierung von Cannabis bedeutet auch, dass sich ländliche Farmer wie Darwish nicht mehr in den Bergen verstecken müssen, um ihre Pflanzen zu züchten. Das hat auch zur Folge, dass die bewaldeten Gebiete nicht mehr so stark fragmentiert werden und die Anbauer mehr Verantwortung für ihren Anbau und das Endprodukt gewährleisten müssen. Zudem reduziert der Anbau im Freien den Energiebedarf beträchtlich, da nicht mehr für künstliches Licht gesorgt werden muss.

    Für Indoor-Anbauer wie Andrle ist Nachhaltigkeit sogar noch technischer – und mitunter auch kostspieliger. L‘Eagle Services bringen ihre Systeme für Heizung, Lüftung und Klima alle zwölf bis 18 Monate auf den neuesten Stand. Laut Andrle ist das die Momentane Innovationsgeschwindigkeit in der Industrie.

    Für Pflanzen in der Vorwachstumsphase werden LED-Lampen benutzt, die allerdings noch kein effizienter Beleuchtungsersatz für den „Blumenraum“ sind, wo die Pflanzen ihre Knospen ausbilden und geerntet werden. Durch den Austausch ihrer Standardbeleuchtung mit LEDs im größten Teil ihrer Lagerhalle konnte sie den Energieverbrauch bereits um 70 Prozent senken.

    Sie und andere Indoor-Anbauer in Denver mieten ihre Lagerhallen von der Stadt. Die einst verlassenen und verfallenen Gebäude werden nun zu florierenden Unternehmen, die neues Leben und neue Jobs in ihre Viertel bringen. Die konstanten Renovierungsmaßnahmen an den Gebäuden zahlen sie aus eigener Tasche.

    „Die Cannabis-Industrie nahm im Grunde 2009 ihren Anfang. Das heißt, dass vorher keine Forschung und keinerlei Innovation auf legalem Weg möglich war“, sagt Andrle. „Die Tatsache, dass wir so weit gekommen sind, ist ein Beleg für die harte Arbeit und das Durchsetzungsvermögen der Menschen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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