Wildnis oder Öl?

Das Arctic National Wildlife Refuge in Alaska soll für Ölbohrungen freigegeben werden – eine Bedrohung für die einzigartige Landschaft.

Von Joel K. Bourne, Jr.
bilder von Florian Schulz
Veröffentlicht am 24. Aug. 2018, 06:00 MESZ
Alaska Moschusochsen
Vor der Kulisse der Sadlerochit Mountains streifen zwei Moschusochsen durch eine 
vom Menschen unberührte Landschaft. Das Arctic National Wildlife Refuge ist eine der wildesten Regionen der Erde.
Foto von Florian Schulz

Seit Jahrtausenden dient die Küstenebene des Artic National Wildlife Refuge Karibuherden und Zugvögeln als Rückzugsort für den Sommer. Im Winter ist das nördlichste Naturschutzgebiet der USA ein Refugium für Eisbären und ihre Jungen. Für die Inupiat, die Ureinwohner Nordalaskas, ist es das ganze Jahr ein Jagdrevier. Vermutlich lagern im Boden dieses arktischen Paradieses aber auch etwa 7,7 Milliarden Barrel Öl – und genau das ist das Problem.

„Anfang der Siebzigerjahre kam ich zum ersten Mal hierher. Es gab nichts als ungezähmte Natur“, sagt Pat Valkenburg, der früher als Biologe für das Alaska Department of Fish and Game arbeitete. Als das 1960 ausgewiesene Reservat im Jahr 1980 auf 78000 Quadratkilometer erweitert werden sollte, erlebten die USA gerade die zweite Ölkrise in nicht einmal zehn Jahren. Deshalb verschob der US-Kongress die Entscheidung über das Schicksal von 6000 Quadratkilometern Küstenebene, das potenziell ölreiche 1002-Gebiet. Und seither wird darüber gestritten.

In Alaska gibt es keine Mehrwert- und keine Einkommensteuer. Die Öl- und Gasindustrie finanziert 90 Prozent des Staatshaushalts, zuzüglich einer jährlichen Dividende von mehr als 1000 Dollar pro Bewohner. Die Einnahmen stammen hauptsächlich aus der Besteuerung des Öls, das durch die Trans-Alaska-Pipeline geleitet wird. Sie verbindet das Ölfeld an der Prudhoe Bay im Norden mit dem eisfreien Hafen Valdez im Süden. Seit dem Absturz des Ölpreises 2014 verzeichnet der Bundesstaat Haushaltsdefizite in Milliardenhöhe. Noch schwerer wiegt, dass die Ölmenge, die durch die Pipeline fließt, seit 1988 kontinuierlich zurückgeht. Nach Schätzungen der für Energiefragen zuständigen Behörde der USA von 2012 wird die Pipeline bei niedrig bleibenden Ölpreisen bis 2026 stillgelegt werden.

„Wenn die Pipeline geschlossen wird, trocknet Alaska aus“, sagt ein Erdöl-Geologe, der sein ganzes Berufsleben dort verbracht hat. Mehr als ein Drittel der 300000 Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft hängt von Öl und Gas ab.

Ende 2017 gelang es Alaskas republikanischer Senatorin Lisa Murkowski, eine Bohrgenehmigung in das vom Kongress verabschiedete Steuergesetzpaket hineinzuschmuggeln. Gebohrt werde zwar noch lange nicht, sagen Experten. Doch die US-Regierung will schon jetzt zwei Gebiete über jeweils mindestens 1600 Quadratkilometer Fläche dafür verpachten – so wie es das neue Gesetz vorsieht. Westlich des Arctic National Wildlife Refuge liegt das sogenannte National Petroleum Reserve-Alaska: Seit einigen Jahren ist es zusammen mit weiteren angrenzenden Gebieten vollständig für die Exploration freigegeben. Laut neuesten Erkenntnissen lassen sich hier schätzungsweise 8,7 Milliarden Barrel Öl fördern.

Der Fotograf Florian Schulz wuchs in Süddeutschland auf und träumte schon als kleiner Junge von der arktischen Wildnis. „Das ist eine der letzten wirklich wilden Landschaften“, sagt er. „Man blickt hier zurück in eine Zeit, als noch Mammuts umherstreiften.“ In den vergangenen vier Jahren hat er das Arctic National Wildlife Refuge erkundet: ein intaktes Ökosystem von der Taiga im Süden über die Klippen und Bergwiesen der Brooks Range bis zur hügeligen Tundra, die zur Beaufortsee hin abflacht. Nur ein paar verstreute Hütten zeugen von der Präsenz des Menschen.

Der krasse Gegensatz dazu findet sich jenseits der Grenze des Schutzgebiets am Canning River: Point Thomson heißt das neue Gasfeld von ExxonMobil mit einer Schotterfläche, blauen Stahlbauten und weißen Stahltanks, Docks, einer Landebahn und etwa 18 Kilometer Schotterstraßen. Eine Pipeline schlängelt sich nach Westen in Richtung des fernen braunen Dunstes, der ständig über Prudhoe Bay liegt, dem industriellen Zentrum der North Slope.

Zwei völlig verschiedene Welten, nur durch einen Fluss getrennt. Wer vor ein paar Jahren über das Arctic National Wildlife Refuge flog, konnte Gruppen von gelbbraunen Karibus beobachten, die sich bald zu verstreuten Herden zusammenfanden. Hinter dem schneebedeckten Massiv des Mount Michelson drängten sich Zehntausende Karibus eins nach dem anderen in die Enge des Tals hinein. Eine Szene, wie es sie seit Jahrtausenden gibt.

Inzwischen hat die Porcupine-Karibu-Herde die Rekordgröße von 218000 Tieren erreicht; mehr als die Hälfte der weiblichen Tiere bringt im Schutzgebiet ihre Jungen zur Welt. Bei den Eisbären ist das leider ganz anders: Die Population in der südlichen Beaufortsee hat sich zwischen 2000 und 2010 um 40 Prozent verringert. Die Bären bringen weniger Junge zur Welt, von denen mehr sterben. Da sich die Arktis erwärmt und das Meereis dünner wird, müssen mehr Eisbären ihre Geburtshöhlen an Land bauen. Die hiesige Küstenebene ist in Alaska der beste Ort dafür.

Niemand weiß genau, wie viel Öl unter der Ebene lagert oder wie sich Bohrungen auf die Wildtiere auswirken würden – aber auswirken werden sie sich auf jeden Fall. Steven Amstrup von der Schutzorganisation Polar Bears International erklärt:  „Wir wissen doch, wie wir die Eisbären retten können. Indem wir aufhören, Öl zu verbrennen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen, sind alle Bestimmungen, die wir erlassen, bedeutungslos.“

Zukünftige Generationen müssen die Frage beantworten: Was ist ihnen in Nordalaska am wichtigsten? Ein paar Barrel Öl mehr? Oder ein einzigartiges Refugium? „Eines ist sicher“, sagt Amstrup: „Wo gebohrt wird, gibt es keine Wildnis mehr.“

Dieser Artikel wurde gekürzt und bearbeitet. Den vollständigen Artikel lesen Sie in der September-Ausgabe des National Geographic Magazins. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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