„Ich überlasse dem Klimawandel nicht kampflos das Feld“
Der Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo begrünt die Sahelzone und gibt Menschen dort eine Lebensperspektive.
Herr Rinaudo, Sie haben für Ihre Wiederaufforstungsprojekte vor Kurzem den Alternativen Nobelpreis bekommen. Wie viele Bäume haben Sie in Ihrem Leben gepflanzt?
Um die 5000. Anfang der Achtzigerjahre kam ich nach Maradi im Süden von Niger, um für die christliche Organisation Serving in Mission ein Projekt gegen die Landverödung zu übernehmen. Eine der Hauptursachen für Missernten in der Sahelzone ist die Erosion der Felder. Es gibt oft starken Wind, der Sand begräbt die Saat, und Triebe der Feldfrüchte knicken ab. Ich verteilte Setzlinge an Bauern in zwölf Dörfern. Die daraus wachsenden Bäume sollten ihre Felder vor Erosion schützen. Leider ging der Großteil unserer Setzlinge ein.
Was passierte dann?
Nach zwei Jahren war ich kurz davor aufzugeben. Doch während einer Fahrt durch die karge Landschaft wurde ich auf Sprösslinge aufmerksam, die wie Grasbüschel aussahen. Es waren Triebe geschlagener Bäume. Solche Wurzeln gibt es zu Millionen in der gesamten Sahelzone.
In dieser Trockenzone gab es mal Wald?
Er reichte einst wohl vom Senegal bis nach Somalia. Doch er bekam Lücken. Die Menschen fällten Bäume, um Landwirtschaft zu betreiben, und die wachsende Bevölkerung brauchte immer mehr Feuerholz. So wurde das Land immer trockener. Noch schlimmer wurde es, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die französische Kolonialverwaltung den Menschen eintrichterte: „Bäume behindern moderne Pflüge, also fällt sie.“ Nach der Unabhängigkeit 1960 übernahmen Bauern und Behörden diese Haltung. Bis in die Achtzigerjahre hinein wurde fast der komplette Baumbestand abgeholzt.
Sie überzeugten Bauern, auf ihren Feldern wieder Bäume aus alten Wurzeln zu ziehen. Wie funktioniert das?
Man lässt die Stümpfe austreiben und die Triebe wachsen, anstatt sie wie üblich gleich abzuschneiden und an Tiere zu verfüttern oder zu verfeuern. Vom zweiten Jahr an werden die Bäume so gestutzt, dass kein Busch, sondern eine Krone entsteht, die einen leichten Schatten wirft. Das kann man nebenher während der Feldarbeit erledigen.
Wie schnell wachsen die Bäume?
Bis zu zwei Meter pro Jahr. Nach fünf Jahren kann bereits ein richtig großer Baum gewachsen sein. Oft ist es der Gao. Er führt dem Boden Stickstoff zu, das ist Dünger für den Acker. Auch sein Laub macht den Boden fruchtbarer. Gao produziert überdies nahrhafte Samen, die die Bauern in der Trockenzeit an ihre Ziegen verfüttern. Viele afrikanische Akazienarten liefern hingegen sehr gutes Feuerholz, und die Samen enthalten Tannin – damit kann man Leder gerben. Ziziphusarten bringen essbare Früchte hervor, die auf dem Markt verkauft werden, was das Einkommen der Menschen verbessert.
Wie wirken sich die Bäume auf das lokale Klima aus?
Schon wenn nur 40 oder 50 auf der Größe eines Fußballfelds wachsen, reduziert ihr Schatten die Lufttemperatur um zehn Grad, und die Bodentemperatur noch mehr. Es gibt außerdem immer mehr Studien, die belegen, dass es in Gegenden, in denen Bäume stehen, häufiger regnet als anderswo. Vor allem schützen Baumgruppen und selbst einzelne Bäume den Boden vor Erosion. Jeder Bauer entscheidet selbst, wie und in welcher Anordnung er sie wachsen lässt. Je mehr Gestaltungsspielraum die Menschen haben, umso eher lassen sie sich von diesem neuen Weg überzeugen.
Vertrauten die Bauern Ihnen von Beginn an?
Im Gegenteil, sie hatten Angst um ihre Ernte und nannten mich den „verrückten weißen Bauern“. Menschen in patriarchalischen Gesellschaften wehren sich meist, wenn man an ihren Traditionen rührt. Manchmal führt auch die pure Armut zu Streit. Wenn du kein Feuerholz hast, und dein Nachbar zieht Bäume auf seinem Acker, bedienst du dich eben. Teils wurden auch Tiere von Bauern gestohlen, die es wagten, die neue Methode auszuprobieren, und es wurde Feuer gelegt, um ihre Arbeit zu zerstören.
Wie haben Sie die Menschen überzeugt?
Während der schlimmen Hungersnot 1984 hatten viele nichts mehr zu verlieren. Serving in Mission knüpfte die Nahrungsmittelhilfe damals an Bedingungen: Wer Lebensmittel wollte, musste 40 Bäume pro Hektar wachsen lassen. Wir haben die jeden Monat gezählt. Am Ende der Hungersnot hatten die Bauern in der Maradi-Region eine halbe Million Bäume herangezogen.
Und als die Dürre vorüber war?
Fällten die meisten Bauern die Bäume wieder. Aber eine Minderheit, vielleicht ein Viertel, ließ sie stehen. Sie hatten gesehen, dass die Bäume immerhin keinen negativen Einfluss auf die Ernte hatten. Im Gegenteil: Sie fuhren selbst in Dürrejahren mehr ein als ihre Nachbarn. Die Bäume düngen nicht nur, sie ziehen auch Wasser aus der Tiefe und geben es nachts über die Wurzeln an die Pflanzen in der Umgebung ab. Der Erfolg sprach sich herum. Je mehr Bäume es gab, umso weniger tief mussten die Dorfbrunnen gebohrt werden. Die Frauen mussten nicht mehr kilometerweit laufen, um Wasser zu holen. Dank der Entwicklungshilfeorganisation World Vision konnte ich die Methode in 24 weiteren Ländern etablieren, überwiegend in Afrika.
Kann Wiederaufforstung den Menschen helfen, in ihrer Heimat zu bleiben?
Definitiv. In Niger hat sich die Nahrungsmittelproduktion durch 200 Millionen neue Bäume um eine halbe Million Tonnen pro Jahr erhöht.
Wie groß ist die baumbestandene Ackerfläche in Niger heute?
Durch Satellitenfotos wissen wir, dass auf einer Fläche so groß wie Irland rund 40 Bäume pro Hektar wachsen. Zu Beginn der Achtzigerjahre waren es maximal vier Bäume. Dennoch ist Luft nach oben – man könnte bis zu hundert Bäume pro Hektar stehen lassen und hätte trotzdem ausreichend Fläche für Feldfrüchte. Wir arbeiten an einer App, mit der Bauern über einfache Tablets die GPS-Daten eines jeden Baumes eingeben können, die Art, das Alter und so weiter. Mein Traum ist es, eine globale Live- Schnittstelle zu entwickeln, über die Bauern sich weltweit austauschen und den Fortschritt mithilfe von GPS-Daten und Satellitenfotos sehen können.
Wie leben die Menschen in Niger?
Es ist weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt. In den Städten sieht man einen einfachen, aber westlichen Lebensstil. Auf dem Land ist das anders – ein Smartphone hat dort kaum jemand, und es gehen weniger Kinder zur Schule. Als wir 1981 ankamen, lebten dort die meisten Menschen in Strohhütten. Dank der besseren Ernten können es sich mehr Menschen leisten, Häuser aus Ziegeln zu bauen und ihre Kinder zur Schule zu schicken. Trotzdem herrscht in vielen Familien Armut, was vor allem am starken Bevölkerungswachstum liegt: 1960 lebten etwa vier Millionen Menschen in Niger, heute sind es rund 20 Millionen.
Sie meinen, die Entwicklungshilfe müsste mehr über Familienplanung informieren?
Genau, aber das Thema ist heikel, besonders in muslimisch geprägten Gegenden. Selbst die Regierung scheiterte, als sie 1984 während der großen Hungersnot versuchte, Verhütung zu fördern. Es gab so heftigen Widerstand von den religiösen Anführern, dass die Politiker das Thema fallen ließen.
Der niederländische Geograf Chris Reij vom World Resources Institute sagt, Sie hätten die wichtigste positive Umweltveränderung in Afrika der vergangenen hundert Jahre in Gang gebracht.
Na ja, erfunden habe ich diese Methode nicht. Schon vor Hunderten von Jahren wussten die Bauern von der positiven Wirkung der Bäume auf ihre Umwelt und die Ernte. Doch dieses Wissen ging durch die Einführung moderner Landwirtschaft verloren. Ich habe nur geholfen, es zurückzubringen. Inzwischen erfahre ich glücklicherweise immer mehr Unterstützung, weil es in den Regierungen vieler afrikanischer Länder ein größeres Bewusstsein für dieses Thema gibt. Das liegt auch daran, dass der Klimawandel für viele Menschen in Afrika bereits direkt spürbar ist. Die Abstände zwischen Dürreperioden werden immer kürzer.
Könnte Wiederaufforstung die weltweite Wüstenbildung und den Klimawandel eindämmen?
Ich bin optimistisch. Wir haben bereits bewiesen, dass es möglich ist, kostengünstig und in sehr kurzer Zeit verödete Landstriche zu begrünen. Wenn wir alle nur über den Zustand der Welt jammern, wird der Klimawandel uns mit Sicherheit umbringen. Aber ich werde nicht zu Hause sitzen und ihm kampflos das Feld überlassen.