Insekten als Nahrungsmittel: Die Proteinquelle der Zukunft?

Im November 2021 wurde in der EU die Europäische Wanderheuschrecke als zweites Insekt als Nahrungsmittel zugelassen. Experten erklären, warum Insekten künftig eine wichtige Proteinquelle sein können und wie es um die deutsche Insektenproduktion steht.

Von Julia Kainz
Veröffentlicht am 4. Jan. 2022, 10:05 MEZ
Insekten als Nahrungsmittel

Insekten stellen neben Pflanzen und in-Vitro Fleisch eine alternative Proteinquelle zu Fleisch dar.

Foto von Elena Schweitzer-stock.adobe.com

Insekten – die einen sehen in ihnen nützliche Helfer, die anderen unangenehme Störenfriede. Als eines dürften Insekten aber wohl nur von den wenigsten Deutschen gesehen werden: Nahrungsmittel. Anders Florian Berendt und Melanie Christians. Der Agraringenieur und die Lebensmitteltechnologin haben in Bremen ihre eigene Insektenfarm namens EntoSus gegründet, in der sie Heimchen – so werden Hausgrillen auch genannt – züchten. Die Heimchen schlüpfen in der Farm und werden dort vier bis sechs Wochen lang in mit Eierkartons ausgestatteten Boxen gehalten. Während ein Teil der Grillen wieder in die Reproduktion geht und Eier legt, wird der Rest weiterverarbeitet und als Snacks verkauft.

„Weltweit ernähren sich mehr als zwei Milliarden Menschen von Insekten“, sagt Berendt. Doch in Deutschland klingt das für viele wohl eher nach einer Mutprobe als nach einem massentauglichen Ernährungsstil. Wie in den meisten Industriestaaten ist hier Fleisch die beliebteste Proteinquelle. 68,6 Kilogramm davon verzehrt ein Bürger eines entwickelten Landes im Jahr durchschnittlich, weltweit werden jährlich 320 Millionen Tonnen Fleisch konsumiert. Das geht aus dem Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung hervor. Doch neben ethischen Fragen zur Massentierhaltung bringt dieser hohe Fleischkonsum auch globale Probleme mit sich.

Warum können Insekten die Proteinquelle der Zukunft sein und Fleisch nicht?

Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge gehen 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Haltung und Verarbeitung von Nutztieren zurück. Außerdem ist der Platz- und Ressourcenbedarf von Fleisch zu hoch, um die wachsende Weltbevölkerung in Zukunft mit Nahrung zu versorgen. Daher müssen sich alternative Proteinquellen etablieren. Hier kommen die Insekten ins Spiel. Für die Produktion von 100 Gramm eines verzehrfertigen insektenbasierten Produkts fallen einem Bericht des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2019 zufolge 0,15 Kilogramm CO2-Äquivalente an. Das sind dreimal weniger als bei derselben Menge Geflügelfleisch und 20 mal weniger als bei Rindfleisch. Außerdem benötigen Insekten weniger Platz und Futtermittel als andere Nutztiere. „Da Insekten wechselwarme Tiere sind, brauchen sie keine Energie zur Wärmeerzeugung und können Nährstoffe viel besser nutzen“, erklärt Berendt. Für die Produktion von 100 Gramm verzehrfähiger Insektenmasse werden 0,15 Quadratmeter Land benötigt, für die gleiche Masse Hühnerfleisch mehr als doppelt so viel.

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    Berendt erntet aus einer Box mit einem Volumen von 700 Litern – darin leben etwa 75.000 Grillen – bis zu 15 Kilogramm Grillen im Monat. Da die Boxen in Hochregalen gelagert werden können, sei das Platzangebot „relativ unbegrenzt“, sagt er. Von Massentierhaltung könne man hier aber nicht sprechen: „Der Unterschied ist, dass Insekten dieses Zusammensein gerne mögen“, klärt er auf.

    Parameter wie Treibhausgase und Platzbedarf sind variabel. EntoSus bezieht seine Futtermittel zum Beispiel zu 60 Prozent aus Restposten von Bio-Supermärkten und Bäckereien. Somit wird für Berendts Grillen kaum Ackerfläche benötigt. Und da bei ihm Zucht und Verarbeitung der Insekten an einem Ort stattfinden, entstehen keine Treibhausgasemissionen beim Transport.

    Florian Berendt hält seine Heimchen in großen Boxen, die mit Eierkartons ausgestattet sind und in Regalen gelagert werden.

    Foto von EntoSus

    Insekten als neuartige Lebensmittel in Europa

    Mehr als 2.100 Insektenarten sind für den Menschen essbar. In der Europäischen Union sind seit 2021 zwei davon als Nahrungsmittel zugelassen: der Mehlwurm und die Europäische Wanderheuschrecke.

    Insekten werden in der EU als neuartige Lebensmittel gesehen. Wie Laura Schiel vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Freiburg erklärt, handelt es sich dabei um Lebensmittel, „die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.“ Gemäß der Novel-Food Verordnung, die im Januar 2018 in Kraft trat, sollten diese Lebensmittel auf Antrag des Herstellers einer Sicherheitsprüfung der European Food Safety Authority (EFSA) unterzogen und von der Europäischen Kommission zugelassen werden. Die Bedingungen für den Verkauf der Speiseinsekten werden dabei genau definiert, sagt Schiel. So dürfe der Mehlwurm zum Beispiel nur getrocknet als Ganzes oder in Pulverform verkauft werden. In verarbeiteten Produkten sind dabei die Höchstgehalte streng geregelt. Kekse dürfen beispielsweise je 100 Gramm maximal zehn Gramm Mehlwurm-Mehl enthalten.

    Weil Zulassungen, die unter Datenschutz gestellt werden, in den ersten fünf Jahren nur für den Antragsteller gelten, gibt es für viele Insektenspezies mehrere Anträge. So wurde zum Beispiel bereits ein weiterer Mehlwurm-Antrag von der EFSA als sicher bewertet, ebenso der erste Heimchen-Antrag. Diese Anträge warten Schiel zufolge nur noch auf den abschließenden Rechtsakt und werden wohl bald zugelassen.

    Obwohl es bislang nur zwei Zulassungen gibt, dürfen in der EU sieben verschiedene Insekten verkauft werden. Neben Mehlwurm und Europäischer Wanderheuschrecke sind das Heimchen, Buffalowurm, Kurzflügelgrille, Honigbienen-Drohnenbrut und schwarze Soldatenfliegenlarve. Diese Insekten waren schon vor der neuen Novel-Food Verordnung im Verkehr und dürfen bis zur Zulassung übergangsweise weiter verkauft werden, solange rechtzeitig ein Antrag gestellt wurde. Allerdings können Länder und Bundesländer individuell entscheiden, welche der sieben Spezies für sie in die Übergangsregelung fallen, erklärt Schiel. Gerade bei der Honigbienen-Drohnenbrut und schwarzen Soldatenfliegenlarve könne es hier Unterschiede geben. Florian Berendt verkauft seine Grillen ebenfalls auf Basis der Übergangsregelung. Er ist Teil eines Verband-Antrags, der sich aktuell bei der EFSA in der Risikoanalyse befindet.

    Sind Insekten gesund für den Menschen?

    Insekten sind reich an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen wie Magnesium und Phosphor. Außerdem enthalten sie die Vitamine B2 und B12 und alle essenziellen Aminosäuren. Wie Berendt erklärt, gibt es von Spezies zu Spezies Unterschiede bei den Inhaltsstoffen: „Die Grille hat zum Beispiel einen hohen Eisen- und Kalziumgehalt, der Mehlwurm einen hohen Methioningehalt.“ Auch der Anteil an Fett, Kohlehydraten und Proteinen ist von Art zu Art verschieden. Generell können Insekten aber mit Fleisch mithalten: Im frischen Zustand enthalten sowohl Fleisch als auch Grille etwa 20 Prozent Protein, sagt Berendt. Getrocknet seien es bei der Grille zwischen 50 und 70 Prozent. „Sämtliche Stoffe, die im Fleisch enthalten sind, kann man auch durch Insekten aufnehmen“, so der Grillen-Züchter.

    Allergien und andere Risiken beim Verzehr von Insekten

    Von Insekten gehen kaum gesundheitliche Risiken für den Menschen aus. Parasiten seien in geschlossenen Zuchtstationen nicht üblich, heißt es von der Verbraucherzentrale Hamburg. Demnach seien auch Zoonosen unwahrscheinlich, wobei noch relativ wenig über Insekten-Krankheiten bekannt sei. Nur, wer gegen Meeresfrüchte, Schalentiere und Hausstaubmilben allergisch ist, sollte die kleinen Tiere nicht essen. Außerdem ist wichtig, dass Insekten nicht roh gegessen werden. Vor dem Verzehr müssen sie erhitzt werden, um alle Bakterien abzutöten. In der Regel geschieht das schon in der Verarbeitung. Ist das nicht der Fall, muss es einen entsprechenden Hinweis auf der Verpackung geben.

    Laura Schiel prüft im CVUA Freiburg Insekten-Produkte auf dem Markt. Ihr zufolge wurde bislang nur eine mikrobiologische Gefahr bei Lebensmitteln aus Insekten gefunden: ein sporenbildendes Bakterium, dessen Toxin beim Menschen zu Erbrechen und Durchfall führen kann. „Da handelte es sich aber um eine Spezies, die in Deutschland gar nicht in den Verkehr gebracht werden darf“, erklärt Schiel. „Alle Spezies, die in die Übergangsregelung fallen, waren bisher mikrobiologisch unauffällig.“

    Richtige Haltung und Ernährung sind wichtig, damit Insekten für den Verzehr unbedenklich sind.

    Foto von EntoSus

    Standards in der Insektenhaltung fehlen noch

    Gesundheitliche Risiken hängen von der Haltung der Tiere ab. So ist es laut Berendt wichtig, dass alle Kontaktmaterialien – Futter und Boxen – „unbedenklich”, also frei von Schadstoffen, sind. Insekten sollten daher nur mit pflanzlichen Produkten ernährt werden, nicht mit tierischen Erzeugnissen oder gar Abfällen.

    Bei der Insektenzucht gelten bisher allgemeine Hygieneregeln für die Lebensmittelproduktion, spezielle Haltungsstandards gibt es kaum. Diese wären aber nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für das Tierwohl wichtig. „Es müssen zum Beispiel Temperatur und Luftfeuchtigkeit angemessen sein“, sagt Berendt. Die Insekten brauchen Rückzugsorte durch Strukturelemente wie Eierkartons und müssen gesund ernährt werden. „Da wird sicherlich noch viel Forschung passieren, um Standards festzulegen“, so Berendt. Denn jede Insektenart hat andere Ansprüche.

    Auch die Tötung der Tiere muss geregelt werden. Es gibt drei verschiedene Vorgehensweisen: die Tiere einfrieren, blanchieren – also kochen – oder durch Hitze austrocknen lassen. Vor allem Letzteres ist Berendt zufolge aber „ziemlich qualvoll“, da es länger dauert, bis die Tiere tot sind. Er betäubt seine Grillen durch Kälte und blanchiert sie anschließend direkt. Das ist seiner Ansicht nach am tierfreundlichsten. „Sie kommen ins Wasser und sind sofort tot“, sagt er.

    Insekten als Nahrungsmittel in Deutschland

    Lebensmittel aus Insekten sind in Deutschland noch Nischenprodukte. Deutsche Insektenfarmen sind Berendt zufolge „an zwei Händen abzuzählen“. Der Großteil der Hersteller aus Europa importiere eher aus Regionen wie Südostasien oder Kanada. Doch aktuell fehlen nicht nur die Insektenfarmen in Deutschland, auch an der Kundenakzeptanz müsse man noch arbeiten, sagt Laura Schiel: „Das fängt mit dem Preis an, aber man muss auch mehr aufklären und es normaler machen, dass man Insekten essen kann.“ Verarbeitete Insektenprodukte wie Nudeln, Burger oder Proteinriegel könnten dabei helfen, den Ekel zu überwinden. Berendt ist optimistisch: Er konnte in den vergangenen Jahren eine steigende Akzeptanz beobachten. Gerade bei der jungen Generation gebe es ein Umdenken, sagt er. Wichtig sei, dass „viel darüber gesprochen wird und es mehr Produkte gibt.“ Gerade größere Firmen müssten sich seiner Ansicht nach an die kleinen Tiere „herantrauen“. Berendt sieht Insekten als massentauglichen Ersatz zu Fleisch und sogar Fisch: „Ich glaube nicht, dass die Frage ist, ob - sondern wann.“

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