Von der Kloake zum Naturparadies: Über den gelungenen Umbau der Emscher

Mit der Industrialisierung wurde die Emscher zur Kloake des Ruhrgebiets. Heute ist sie frei von Abwasser und die Artenvielfalt kehrt zurück.

Von Marius Rautenberg
Veröffentlicht am 5. Mai 2022, 15:00 MESZ
Das Bild zeigt die Emscher in Dortmund-Deusen. An dieser Stelle ist sie bereits weitgehend renaturiert.

Das Bild zeigt die Emscher in Dortmund-Deusen. An dieser Stelle ist sie bereits weitgehend renaturiert.

Foto von Emschergenossenschaft

Man muss sie wohl schon von weitem gerochen habe. Mit Fäkalien, Chemikalien und Rückständen aus dem Bergbau luden die Ufer der Emscher über hundert Jahre lang nicht gerade zu einem Spaziergang ein. Als dreckigster Fluss Deutschlands galt sie gar. Ihre Quelle entspringt bei Holzwickede, dann durchquert die Emscher das Ruhrgebiet von Ost nach West bis zur Mündung in den Rhein bei Dinslaken. Nachdem es Ende des 19. Jahrhunderts zu Seuchen mit hunderten Toten kam, ordnete das Land Preußen die Gründung der Emschergenossenschaft an. Bergbau, Industrie und Kommunen wurden zu einer Mitgliedschaft verpflichtet, mit dem Auftrag, sich um die Abwassersituation zu kümmern.

Da der Bergbau die Böden absacken ließ, war der Bau unterirdischer Kanäle kaum möglich. Eine oberirdische Abwasserentsorgung war nötig. Kurzerhand kanalisierte man die Emscher, begradigte und betonierte sie und ließ die gesammelten Industrieabwässer des Ruhrgebiets hineinfließen. Bis 1928 gelangten sie ungefiltert in den Rhein und von dort ins Meer, dann entstand das erste Klärwerk bei Bottrop. Doch bis die Emscher wieder ein sauberes Gewässer werden durfte, musste erst mal der Kohlebergbau an Bedeutung verlieren. Nachdem die Gefahr von absackenden Böden gebannt war, diskutierte man in den späten 1980ern Konzepte für den Strukturwandel. Ein Baustein sollte die Renaturierung der Emscher werden.

Karte: Der Verlauf der Emscher und ihrer Nebenflüsse. In rot: Der unterirdisch verlaufende 51 Kilometer lange Abwasserkanal, der parallel zum Hauptlauf der Emscher angelegt wurde. Gelb: der Hauptkanal, der parallel des Emscher-Oberlaufes in Dortmund verläuft. Er mündet in die Kläranlage Dortmund-Deusen.

Foto von Emschergenossenschaft

​Das Abwassersystem: ein entscheidender Schritt zur Emscher-Renaturierung

1991 wurde der Umbau des Emscher-Systems beschlossen. 9 Milliarden D-Mark sollte er kosten, damit innerhalb von 30 Jahren aus der Abwasser-Kloake wieder ein sauberer Fluss wird. Ab 1992 baute man parallel zu den Emscher-Gewässern ein über 430 Kilometer langes Abwassersystem mit einem zentralen unterirdischen Sammler von 51 Kilometern Länge und einem Innendurchmesser von 2,80 Meter. Hinzu kamen dezentrale, moderne Großklärwerke und mehrere Pumpwerke – unter anderem Deutschlands größte Schmutzwasserhebeanlage in Oberhausen. Dank dieser Maßnahmen fließt mittlerweile kein ungeklärtes Abwasser mehr direkt in die Emscher. Ihr Umbau wurde Ende 2021 abgeschlossen. Damit blieb man im geplanten Zeitrahmen und auch das Budget wurde am Ende mit 5,5 Milliarden Euro weitgehend eingehalten.

Nach und nach wurden die Betoneinfassungen, welche die Emscher in ein gerades Flussbett zwängten, ausgebaggert. Professor Uli Paetzel, Vorstand der Emschergenossenschaft, erklärt dazu: „Wo es möglich ist, verschaffen wir den Gewässern wieder mehr Platz, lassen sie mäandern und überlassen sie der Natur, die sich in der Regel den neuen Freiraum sehr schnell zurückerobert.“ Eine Initialbepflanzung gebe es keine, das schaffe die Umwelt von allein.

Damit ist jedoch nur ein erster entscheidender Schritt getan. Nachdem der Fluss vollkommen tot war, b rauchte es weitere Maßnahmen, um ihn der Natur wieder zugänglich zu machen. Während 170 Kilometer Haupt- und Nebenfluss bereits in den letzten zehn Jahren renaturiert wurden, steht dies an anderen Stellen erst noch an.

BELIEBT

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    Der zentrale Kanal zur Entsorgung der Abwässer führt parallel zur Emscher 51 Kilometer von Dortmund nach Dinslaken. Das gesamte unterirdische Abwassersystem umfasst rund 430 Kilometer Kanalisation im gesamten Ruhrgebiet. Die Abwässer von 2,2 Millionen Menschen werden somit geklärt.

    Foto von Emschergenossenschaft

    Viele Flächen überlässt man der Natur selbst. So gibt es in regelmäßigen Abständen große Auen, die „in einem Trittsteinkonzept wie an einer Perlenkette von Dortmund aus am Fluss angelegt sind“, so Paetzel. Diese Flächen sind ein wichtiger Bestandteil für den Hochwasserschutz, denn sie können teils mehr als 1 Million Kubikmeter Wasser speichern. Typischerweise stehen sie bis zu 50 Mal im Jahr unter Wasser. Damit bieten sie auch für Vögel und andere wassernahe Tiere wichtige Rückzugsräume.

    In den kommenden Jahren sollen zusätzliche Flächen genutzt werden, um vollständig auf regenerative Energie umzusteigen, etwa durch Windräder, Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie und Biogas. Uli Paetzel meint, dass es dabei durchaus zu einer Flächenkonkurrenz kommen kann zwischen naturbelassenen Räumen und der menschlichen Nutzung.

    ​Selbst vom Aussterben bedrohte Arten kehren zurück

    In den bereits renaturierten Gebieten hat man bereits über 1000 verschiedene Arten erfasst. Insekten, Schnecken, Muscheln, Krebse und auch vom Aussterben bedrohte Tiere wie Eisvögel oder Blauflügelige Prachtlibellen. „Wir sind davon überzeugt, dass Biodiversität und Artenvielfalt in einer solch dicht bebauten ehemaligen Industrieregion keinen Widerspruch darstellen, sondern funktionieren wird“, so Paetzel. Entlang der Emscher haben sich auch etwa 36 Bienenvölker angesiedelt.

    Während sich die Natur an vielen Stellen ihren Raum von alleine zurückholt, helfen die Planer an anderen Stellen nach: So versuchen sie Rotes Höhenvieh (eine Rinderart) anzusiedeln sowie Wildpferde, die bis ins 19. Jahrhundert hier heimisch waren und etwa das Stadtwappen von Herne bilden. Im Oberlauf der Boye, einem Nebenfluss der Emscher, fand man außerdem die Emscher-Groppe, ein Fisch, der über 120 Jahre lang genetisch isoliert in diesem Bereich überlebt hatte, während er in der restlichen Region ausgestorben war. Diesen setzte man in anderen Teilen der Emscher aus, um einen Grundbesatz an heimischen Fischen herzustellen.

    Doch für ein gesundes Gewässer-Ökosystem müssen die aus Kläranlagen zugeführten Abwasser besonders sauber sein. Bisher haben die Klärwerke der Region – wie die meisten in Deutschland – nur drei Reinigungsstufen. 80 Prozent des Emscher-Wassers bei Dortmund kommt aus der dortigen Kläranlage. Diese wird demnächst um eine vierte Reinigungsstufe erweitert, um auch Rückstände von Medikamenten oder Pflanzenschutzmitteln aus dem Wasser filtern zu können, welche einen Einfluss auf die Artenvielfalt und die Fruchtbarkeit von Fischen haben.

    Die Emscher wurde Anfang des 20. Jahrhunderts begradigt und in ein Betonbett gegossen wie hier im Norden von Essen. Mit der Renaturierung werden die Betonelemente herausgebaggert, damit sich der Fluss wieder freier entfalten kann.

    Foto von Arnoldius / Wikimedia Commons

    ​Ein Vorbild für andere Umweltschutzprojekte weltweit

    Auch wenn die Renaturierung der Emscher noch läuft, so ist ihr Umbau aus Sicht von Paetzel das „größte Klimaschutzprojekt, das je in Deutschland umgesetzt wurde“. Die Bachläufe in den dichten Städten hätten nun „einen enormen Frischluft- und Kühlungseffekt, anstatt einer stinkenden Wirkung – teilweise sogar zum ersten Mal nach rund 170 Jahren.“ Damit sei das Projekt auch Vorbild für viele andere Regionen. Paetzel berichtet von Kooperationen und Besuchen von Behörden und Vertretern von Wasserverbänden etwa aus Israel, Indien und China.

    Den Erfolg führt er auch auf den Einbezug der Bürger*innen von Anfang an zurück: „Partizipation hat beim Emscher-Umbau von Beginn an eine große Rolle gespielt. Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure haben nicht einfach nur geplant und gebaut, sondern wir haben immer auch die Bevölkerung miteinbezogen – als Flussbürger*innen, die die Renaturierung als ihre Errungenschaft betrachten. Sie haben den Emscher-Umbau mit über 400 Baustellen ohne große Klagen begleitet, weil sie bereits früh den nachhaltigen Sinn des Projektes erkannt haben.“ Entsprechend seien auch Naturschutzverbände und Landwirte stets beteiligt worden. So entstand auch eine weitere Idee: An zwei Weinbergen werden bereits Reben geerntet, in Zukunft will man bis zu 12.000 Flaschen Wein jährlich gewinnen.

    Die einstige Kloake des Ruhrgebiets blüht auf zu neuem Leben. Die Tourismuszahlen in der Region sind steigend. Rund 130 Kilometer Radwege sind an den Ufern der Emscher entstanden, mehr als 200 sollen es werden. Im BernePark in Bottrop, einer ehemaligen Kläranlage der Emschergenossenschaft kann man sogar in einer „Kanalröhre“ übernachten; „dasparkhotel“ ist ein Kunstwerk des Österreichers Andreas Strauss im Zuge der Emscherkunst-Ausstellung. Eine Reise ins Ruhrgebiet lohnt sich allemal, zur Erholung in der zurückgekehrten Natur, aber auch, um eine ökologische und technische Meisterleistung zu bestaunen.

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