Klimawandel: Diese Arten gibt es in 50 Jahren nicht mehr in Deutschland

Bereits in einem halben Jahrhundert könnte die Erderwärmung die Fauna und Flora Deutschlands drastisch verändert haben. Zwei Experten stellen eine besorgniserregende Prognose.

Von Viktoria Schütze
Veröffentlicht am 14. Sept. 2022, 12:19 MESZ
Toter Fisch in ausgetrocknetem Flussbett

Der Klimawandel bedroht Pflanzen und Tiere.

Foto von stock.adobe.com/sofirinaja

Bedrohlich, zerstörerisch und real – der Klimawandel auf unserem Planeten ist in vollem Gange. Das beweisen verschiedene wissenschaftliche Daten: So gilt das Jahrzehnt zwischen 2011 und 2020 als das wärmste jemals gemessene. Neunzehn der zwanzig heißesten Jahre seit dem Aufzeichnungsbeginn 1881 kamen nach dem Jahr 2000. Das berichtet das Europäische Parlament. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die globale Durchschnittstemperatur um ein Grad Celsius erhöht. Steigt sie auf über zwei Grad an, so heißt es in dem Bericht, sei „ein gefährlicher Schwellenwert mit katastrophalen Folgen für Klima und Umwelt“ erreicht. Für Deutschland sprechen wir aktuell bereits von einer Erwärmung um 1,6 Grad.

Der UN-Klimarat (IPCC) bestätigt in einem Sonderbericht von 2018, dass die Intensität der Sonneneinwirkung nicht allein für diese starke Erwärmung verantwortlich sein kann. Die Experten sehen den Menschen und seine Aktivitäten als die eigentliche Ursache für die steigenden Temperaturen.

In Deutschland verändert der Klimawandel die Pflanzen- und Tierwelt so maßgeblich, dass wir eines feststellen müssen: Bereits in 50 Jahren wird vieles ganz anders sein als heute. National Geographic hat zwei Experten gefragt, wie sich die Fauna und Flora Deutschlands im nächsten halben Jahrhundert aufgrund der Erderwärmung verändern und welche heimischen Tiere und Pflanzen für immer verschwinden werden.

Wie der Klimawandel die Natur Deutschlands verändert

Stefan Klotz ist pensionierter Gastmitarbeiter des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und war zuvor Leiter des Departments Biozönoseforschung und des Themenbereichs Ökosysteme der Zukunft selbiger Einrichtung. Er räumt ein, dass nicht der Klimawandel allein den Lebensraum von Pflanzen und Tieren zerstöre. Es sei allem voran die Landnutzung durch den Menschen, die viele Arten bedrohe. Schließlich seien - optimistisch geschätzt - gerade mal ein bis maximal zwei Prozent der Fläche Deutschlands wirklich naturnah und vom Menschen weder bewirtschaftet noch bebaut. Diese Landnutzung führe zu erheblichen Einbußen bei natürlichen und halbnatürlichen Lebensräumen wie Wäldern, extensivem Grünland, Trocken- und Halbtrockenrasen. „Der Klimawandel kommt da eben noch oben drauf und macht es Tieren und Pflanzen, die auf Wasser angewiesen sind, zusätzlich schwer“, erklärt Klotz.

Stefan Klotz ist der ehemalige Leiter des Departments Biozönoseforschung Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

Foto von André Kuenzelmann

Das bestätigt auch Albert Wotke. Er ist Biologe mit den Schwerpunkten Geobotanik, Zoologie und Ökologie. Außerdem ist er Programmleiter für Flächennaturschutz in Deutschland beim WWF. „In 50 Jahren werden wir uns denken, was war das 2022 für ein kühler Sommer. Temperaturen um 40 Grad zu dieser Jahreszeit werden normal sein.“ Er weist darauf hin, dass Flüsse dann aufgrund der Hitze und Dürren zu versiegen drohten. Waldbrände, Tornados und Starkregen würden in Zukunft noch mehr als heute eine Gefahr für Tiere und Pflanzen darstellen.

Eine weitere gefährliche Folge der „Erderhitzung“, wie Wotke den Klimawandel bevorzugt bezeichnet: Die Klimabedingungen verschieben sich in höher gelegene Lagen. „Tiere und Pflanzen müssen dann versuchen, nach oben auszuweichen. Und irgendwann ist jeder Berg zu Ende“, so der Biologe aus Berlin. Damit ist auch den Tieren, die wesentlich mobiler als Pflanzen sind und damit schneller auf Umwelteinflüsse reagieren können, schnell ein Ende gesetzt. Doch nicht nur das: Der Experte betont, dass niemals einfach einzelne Arten umwandern können. Tiere, Pflanzen und Pilze bilden ein einzigartiges Ökosystem. Einzelne Akteure könnten nicht ohne Weiteres den Standort wechseln, weil sie aufeinander angewiesen seien. „Unsere Alpenvegetation und unsere Alpentiere werden über kurz oder lang großflächig aussterben“, fasst Wotke zusammen.

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    Albert Wotke ist Biologe und Programmleiter für Flächen

    Foto von Sonja Ritter WWF

    Blick in die Zukunft: Diese Tiere und Pflanzen wird es in Deutschland nicht mehr geben

    „Die Jüngeren werden das noch miterleben“, sagt Albert Wotke. Er meint damit die Tatsache, dass in den nächsten 50 bis 100 Jahren fünf bis 30 Prozent aller bekannten heimischen Tier- und Pflanzenarten in Deutschland verschwunden sein werden. Es könne zwar sein, dass sie an einem anderen Ort auf der Welt noch einmal vorkommen, doch in Deutschland werde es diesen besagten Anteil nicht mehr geben, so Wotke.

    Der Experte erklärt, dass es wärmeliebende Arten künftig leichter haben würden als kälteliebende. Alpenschmetterlinge, wie der Alpenbläuling oder der Perlmuttfalter, könnten deshalb in einem halben Jahrhundert verschwunden sein. Die Futterpflanze ihrer Raupen, der Wiesenknöterich, schaffe es nämlich nicht, sich an die wärmeren Temperaturen anzupassen und werde ebenfalls verschwinden.

    Auch viele der sogenannten Langstreckenzieher (Zugvögel, die weit weg fliegen, wenn in Deutschland Winter herrscht) sind bedroht. Dazu gehört neben dem Kuckuck der Gartenrotschwanz oder der Trauerschnäpper. Der Kuckuck hat es beispielsweise schwer, da er zu spät zurückkehrt. Wenn er aus dem Süden zurück nach Deutschland kommt, sind durch die veränderten Temperaturen die Vögel, deren Nester er zur Eiablage nutzt, bereits mit dem Brutgeschäft fertig. Der Bestand des Kuckucks geht deshalb enorm zurück. „Vielleicht schafft er es, vielleicht nicht. Das können wir noch nicht sagen“, so Wotke.

    Dasselbe Schicksal könnte Hummeln ereilen. Schon jetzt leiden sie im Sommer: Ihr „Fell“ sorgt zwar dafür, dass sie ihm Frühling mitunter die ersten Bestäuber sind, die den noch kalten Temperaturen trotzen können. Doch an den sehr heißen Sommertagen überhitzen sie und verenden. „Auch Tierarten, die in Moor- und Feuchtgebieten leben, werden in 50 Jahren aussterben oder seltener werden“, sagt der Biologe Albert Wotke. Dazu gehört laut dem Experten der Moorfrosch, der Fadenmolch oder die Rotbauchunke. Dafür seien die schwindenden Wasserflächen verantwortlich.

    Doch auch die Bewohner der Süß- und Salzgewässer seien gefährdet. Es könnte sein, dass die Bachforelle, die auf sehr kaltes Wasser angewiesen ist, ausstirbt. Die heimische Miesmuschel werde von der Pazifischen Auster verdrängt, die sich durch die gestiegene Wassertemperatur jetzt im deutschen Meer vermehren könne.

    Wer sich in Deutschland ebenfalls weiter ausbreiten wird, ist beispielsweise der Bienenfresser. Der bunte Vogel, der ursprünglich aus Südeuropa stammt, ist aufgrund der erhöhten Temperaturen immer häufiger in ganz Deutschland anzutreffen. Auch die wärmeliebende Gottesanbeterin kommt schon jetzt häufig in Baden-Württemberg vor und breitet sich weiter nach Norden aus.

    Solche Beispiele kennt auch der Biodiversitätsforscher Stefan Klotz. So sei der Halsbandsittich eine ursprünglich australische Art, die bei normalen klimatischen Verhältnissen keine Chance in Deutschland hätte. „Wir haben beispielsweise im Rhein-Main-Gebiet heute stabile Populationen des Halsbandsittichs“, so Klotz.

    Doch der Experte weigert sich, genaue Aussagen darüber zu treffen, welche Arten künftig aus Deutschland verschwinden könnten. „Es wäre vermessen zu sagen, dass man genau weiß, was passiert. Zu viele verschiedene Faktoren spielen dafür eine Rolle, welche Tiere und Pflanzen in Deutschland in 50 Jahren noch leben werden.“

    Was Stefan Klotz hingegen als sicher ansehen kann: Bei mindestens 30 Prozent der Pflanzenarten werden wir extreme Populationsrückgänge zu verzeichnen haben. Ob dann noch Einzelvorkommen überleben, hänge dann von der Landnutzung und Existenz von Sonderstandorten und Artenhilfsprogrammen ab.

    Der Kuckuck könnte in Zukunft aussterben.

    Foto von stock.adobe.com/Risto

    Der Klimawandel ist zu schnell

    Das Hauptproblem der Erderwärmung ist, dass sie so schnell vonstattengeht. „Früher änderte sich das Klima über ein paar tausend Jahre hinweg. Heutzutage handelt es sich nur noch um Jahrzehnte“, verdeutlicht Albert Wotke. Er macht unter anderem die Erderhitzung dafür verantwortlich, dass wir uns aktuell im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte befinden.

    Zwar gibt es Schutzmechanismen, die Tiere und Pflanzen im Laufe der Evolution gegen die Hitze entwickeln könnten. Allerdings sind diese Entwicklungsprozesse langsamer als der Klimawandel. Sie haben so keine Chance, sich rechtzeitig anzupassen. Das führt dazu, dass die Anzahl der einzelnen Exemplare zurückgeht. „Kleinere Populationen können weniger Nachkommen produzieren. Und damit beschleunigt der Klimawandel das Aussterben der Arten“, erklärt Forscher Stefan Klotz.

    Eine weitere Schwierigkeit ist, dass wir kaum etwas tun können, um die Erhitzung der Erde in den nächsten Jahren aufzuhalten. Laut Albert Wotke habe es bis in 50 Jahren kaum eine Auswirkung, wenn wir sogar sofort aufhören würden, jegliches „CO2 in die Luft zu pusten.“ Das Klimasystem sei sehr träge. Ein Zurück vor der CO2-Verschmutzung durch den Menschen sei ohnehin nicht mehr möglich. „Wie früher wird es nie mehr werden“, hält der Experte fest, „es geht jetzt darum, wie schlimm es wird, denn die Erderhitzung ist in ein paar Jahrzehnten ja noch nicht zu Ende.“

    Deswegen ist es wichtig, schon heute zu handeln und innovative Lösungen zu entwickeln. Experte Stefan Klotz bringt einen möglichen Vorschlag: Seiner Meinung nach müssen wir auf eine multifunktionale Kulturlandschaft setzen. Diese muss nicht nur eine, sondern gleich mehrere Funktionen wie Klimaregulation, Kohlenstoffspeicher und Sicherung des Grundwassers erfüllen. „Wir dürfen nicht mehr separieren, hier wird angebaut und da wird produziert. Wir brauchen Flächen, die Schutz und Nutzung verbinden, die nach ökologischen Prinzipien bewirtschaftet werden“, fordert er.

    Zwar können die Auswirkungen des Klimawandels innerhalb der nächsten Jahrzehnte nicht mehr aufgehalten werden. Doch es liegt an uns, schon heute mit innovativen Ansätzen etwas dafür zu tun, dass unser Planet bewohnbar bleibt.

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