Wie ein Schwamm: Sieht so die Zukunft der urbanen Wasserversorgung aus?

Starkregen und Dürreperioden wechseln sich ab und belasten die Großstädte. Die Kanalisation ist überfordert, während die Grünflächen verdursten. Das Schwammstadt-Prinzip soll Abhilfe schaffen - auch in Berlin.

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 4. Okt. 2023, 14:37 MESZ
Der Potsdamer Platz ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie man die Maßnahmen in eine große Stadt integrieren ...

Der Potsdamer Platz ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie man die Maßnahmen in eine große Stadt integrieren kann. 

Foto von Berliner Wasserbetriebe

Regenwasser wird in vielen Innenstadtbereichen über die Abwasserkanäle abtransportiert und aus den Städten geleitet. Dabei wird das Wasser in den Städten gebraucht: Die Böden sind trocken, Bäume, Pflanzen und die gesamte Vegetation leiden, die Städte heizen sich auf. Würde Wasser an Ort und Stelle versickern und verdunsten, würden nicht nur die Böden genährt, sondern auch die Luft gekühlt. 

Die Umsetzung ist jedoch nicht so einfach: Städte bestehen zu einem Großteil aus Stein und Beton – Straßen, Radwege, Bürgersteige, Häuser. Platz für Grünflächen und Natur sind rar. Wie also schafft man es, das Stadtleben und Natur zu verbinden? Die Schwammstadt soll die Lösung sein.

In vielen Städten wird das Schwammstadt-Prinzip stellenweise schon umgesetzt, so auch in Berlin. Dr. Darla Nickel, Chefin der Regenwasseragentur Berlin, klärt mit ihrem Team über das Konzept auf, unterstützt und begleitet Prozesse und steht für Austausch und Wissenstransfer zur Verfügung. Als Angebot des Landes wird die Regenwasseragentur durch die Senatsumweltverwaltung und die Berliner Wasserbetriebe vertreten.

Die enorme Versiegelung stellt die Städte vor ein Problem

„Das größte Problem ist die extreme Versiegelung in den Städten. Wasser kann nicht ausreichend in den Boden gelangen und fließt stattdessen über die Kanalisation ab oder verursacht Überflutungen“, erklärt Dr. Nickel. „Durch extremen Starkregen und entgegengesetzt lange Dürrephasen, die durch den Klimawandel noch weiter zunehmen werden, brauchen wir noch dringender eine Lösung dafür.“ Fließt zu viel Regenwasser in die Abwasserkanäle, laufen diese voll, denn die Kanalisation kann diese Mengen nicht mehr fassen. Dann läuft mit Abwasser vermischtes Regenwasser auf die Straßen und sammelt sich in Senken wie Unterführungen. Um den Druck in den Kanälen zu reduzieren, wird der Kanal in solchen Situationen notentwässert. Dadurch fließt das Gemisch aus Regenwasser und Abwasser in die Oberflächengewässer und richtet dort enormen Schaden an: Gewässer kippen, Fische sterben, Sauerstoff wird aufgezehrt. Dieses Szenario spielt sich in Berlin circa 30 Tage im Jahr ab. 

Dachbegrünungen sind eine Form der Maßnahmen. Sie lassen Wasser in verdunsten und senken so die Temperaturen in der aufgeheizten Stadt. 

Foto von Berliner Wasserbetriebe

In einer Schwammstadt gibt es verschiedene Möglichkeiten und Maßnahmen

Schwammstädte sollen für dieses und weitere Probleme Abhilfe schaffen. Mithilfe verschiedener mehr oder weniger technischer Maßnahmen soll Regenwasser gespeichert werden – direkt in der Stadt. Mithilfe von Dach- oder Fassadenbegrünungen, Entsiegelung von Flächen, und mithilfe von Versickerungsanlagen kann das Wasser vor Ort bleiben und den natürlichen Wasserhaushalt unterstützen, der oft stark gestört ist. Auch kann Regenwasser in künstlichen Gewässern gespeichert oder als Trinkwasserersatz genutzt werden, z.B. für die Bewässerung oder auch für die Toilettenspülung. „Der Potsdamer Platz in Berlin ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass selbst in einem stark genutzten, innerstädtischen Quartier die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung mit einem Maßnahmenmix gelingen kann“, erzählt Dr. Darla Nickel. Dort funktionieren nämlich Dach- und Fassadenbegrünung, Regenwassernutzung, Verdunstungsbeete und künstliche Wasserflächen miteinander. Und das alles schon seit Ende der 90er Jahre. 

Schwammstadt-Projekt: Zahlreiche Maßnahmen müssen zusammengreifen

Eine Stadt zur Schwammstadt umzubauen ist eine enorme Aufgabe. „Wir müssen die gesamte Stadtoberfläche neu denken. Natürlich können wir nicht alle Straßen aufreißen - es geht darum, Stadtumbau und Maßnahmen zum Regenwassermanagement gemeinsam umzusetzen“, meint Dr. Nickel. „Alles, was in Berlin neu oder umgebaut wird, stellt ein Gelegenheitsfenster dar, die Prinzipien der Schwammstadt anzuwenden - nach dem Huckepack-Prinzip.“ Auch als Privatperson oder Hauseigentümer könne man umbauen. Mal mit mehr, mal mit weniger Genehmigungen, die klar festgelegt sind. 

Jede einzelne Maßnahme hat eigene Vorteile und eine eigene zeitliche Komponente: Regenwasser auf Dach- oder Fassadenbegrünungen verdunstet innerhalb von Tagen, im Oberboden wird der Regen von Bäumen aufgenommen, über die er verdunstet. So kann die Stadt herunterkühlen. Sickert das Wasser tiefer in den Boden, trägt es zu einer langfristigen Speicherung und auch Grundwasserneubildung bei. Für einen Erfolg brauche es all diese Maßnahmen, sagt Dr. Nickel. Auch viele kleinere in der Stadt verteilt, denn auf eine gewisse Flächengröße komme es an. „Erste Hinweise zeigen, dass bereits 20 bis 25 Prozent Regenwasser, das nicht mehr über den Kanal entwässert wird – man nennt das auch Abkopplung vom Kanal – einen spürbaren Beitrag zur Reduktion der Mischwasserüberläufe bei Starkregen leisten würden“.

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    Der Potsdamer Platz ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie man die Maßnahmen in eine große Stadt integrieren kann. 

    Foto von Berliner Wasserbetriebe

    Trotz der Komplexität des Themas ist sich die Chefin der Regenwasseragentur Berlin sicher, „dass der Wandel stattfinden wird. Doch er wird Zeit brauchen. Es ist ein Marathon, kein Sprint“. Die größte Herausforderung sei es, die Flächen zu gewinnen. Dr. Darla Nickel möchte multifunktional denken und einer Fläche mehrere Nutzungsarten zuschreiben. So könne man die Schwammstadt mit der Zeit über die Stadt ausweiten. 

    Eine grün-blaue Infrastruktur: Das Schwammstadt-Konzept ist zukunftsweisend

    Solche Flächen der Schwammstadt müssen gepflegt werden, wenn sie langfristig funktionieren sollen. „Nicht zuletzt muss stets die Qualität des Regenwassers im Zuge der Maßnahmenplanung berücksichtigt werden, denn Regenwasser, z.B. von stark befahrenen Straßen kann sehr verschmutzt sein.“ 

    Trotz aller Herausforderungen zeigt sich das Prinzip der grün-blauen Infrastruktur zielführend und zukunftsweisend. Andere Städte setzen die „Sponge City“ ebenfalls erfolgreich um: So hat man beispielweise in Amsterdam, New York und Sydney schon sehr gute Erfahrungen gemacht und versucht deshalb, das Konzept auf möglichst viele Städte und Bereiche umzusetzen – gegen Überschwemmungen und für das Stadtklima. 

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