Lebensmittelverschwendung: So eine Schande!

Etwa ein Drittel aller Lebensmittel landet im Müll. Zwei Milliarden Menschen könnten davon satt werden.

Von Elizabeth Royte
Foto von Brian Finke

Zusammenfassung: Weltweit werden täglich Tausende Tonnen Lebensmittel vernichtet, weil sie den ästhetischen Ansprüchen der Industrie nicht genügen oder weil schlicht zu viel produziert wurde. Gleichzeitig leiden fast 800 Millionen Menschen auf der Welt Hunger. Der Aktivist Tristram Stuart kämpft gegen diese Konsumkultur. Öffentliche Resteessen, neue Gesetzesentwürfe und Kampagnen um Lebensmittelvorschriften zu ändern gehören zu seinen Projekten gegen Verschwendung und Hunger.

Tristram Stuart hat 24 Stunden, um ein Festessen für 50 Personen auf die Beine zu stellen. Lebensmittel besorgen, das Menü vorbereiten, die Begrüßung der Gäste – und das alles in New York City. Und als wäre das nicht schwer genug, gibt es auch noch eine Vorgabe: Die Zutaten sollen Produkte sein, die sonst in der Tonne landen würden.

Auf einer Farm in New Jersey hat Stuart 30 Kilo gelbe, für den Verkauf als zu krumm befundene Krummhals-Kürbisse eingesackt und ist damit in die Stadt zurückgerast. In Greenwich Village stürzt er nun in eine Bäckerei und spult mit seinem vornehmen englischen Akzent seinen Zehn-Sekunden-Spruch herunter: „Ich leite eine Initiative gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und organisiere für morgen ein Festessen mit Lebensmitteln, die nicht verkauft oder gespendet werden. Haben Sie Brot übrig, das wir verwenden können?“ Die Bäckerei hat keines, aber als Trost gibt ihm die Verkäuferin zwei zerbrochene Schokokekse.

Stuart springt wieder ins Auto. Nächster Halt: Wochenmarkt auf dem Union Square. An einem Stand wickelt ein Koch Fisch in Briocheteig und schneidet Halbkreise aus. „Bekomme ich die Ecken?“, fragt Stuart und setzt ein charmantes Lächeln auf. Der Koch lehnt ab, er will die Teigreste selbst aufbrauchen. Unbeirrt treibt Stuart weiter über den Markt, sagt seinen Spruch auf und erbeutet schließlich aussortierte Rote-Bete-Blätter, Weizengras und Äpfel.

18 Stunden später sitzen einige Köche, Experten für Lebensmittelverwertung und Aktivisten zusammen und fachsimpeln. Starköchin Celia Lam hat aus den Resten ein Mahl geschaffen: Kürbistempura, Rüben- und Tofuklößchen und spiralisierte Zucchininudeln. Stuart selbst hat kaum Hand angelegt, aber ohne ein einziges Meeting hat er auf wundersame Weise ein halbes Dutzend Menschen dazu gebracht, sich ein Menü aus den gesammelten Zutaten auszudenken, das Essen vorzubereiten, zu kochen, zu servieren und anschließend die Küche sauber zu machen. All das nur für die Chance, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten im internationalen Kampf gegen Lebensmittelverschwendung zu treffen: ihn.

Essen wegzuwerfen gilt in allen Kulturen als unethisch, schließlich leiden weltweit fast 800 Millionen Menschen an Hunger. Gleichzeitig werden nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen genießbare Lebensmittel – etwa ein Drittel der Weltproduktion – entweder gar nicht erst geerntet oder später in den Müll geworfen. Mehr als genug, um jeden Hungernden zweimal satt zu bekommen. Was läuft da schief?

Tristram Stuart hat 24 Stunden, um ein Festessen für 50 Personen auf die Beine zu stellen. Lebensmittel esorgen, das Menü vorbereiten, die Begrüßung der Gäste – und das alles in New York City. Und als wäre das nicht schwer genug, gibt es auch noch eine Vorgabe: Die Zutaten sollen Produkte sein, die sonst in der Tonne landen würden.

Auf einer Farm in New Jersey hat Stuart 30 Kilo gelbe, für den Verkauf als zu krumm befundene Krummhals-Kürbisse eingesackt und ist damit in die Stadt zurückgerast. In Greenwich Village stürzt er nun in eine Bäckerei und spult mit seinem vornehmen englischen Akzent seinen Zehn-Sekunden-Spruch herunter: „Ich leite eine Initiative gegen die Verschwendung von Lebensmitteln und organisiere für morgen ein Festessen mit Lebensmitteln, die nicht verkauft oder gespendet werden. Haben Sie Brot übrig, das wir verwenden können?“ Die Bäckerei hat keines, aber als Trost gibt ihm die Verkäuferin zwei zerbrochene Schokokekse.

Stuart springt wieder ins Auto. Nächster Halt: Wochenmarkt auf dem Union Square. An einem Stand wickelt ein Koch Fisch in Briocheteig und schneidet Halbkreise aus. „Bekomme ich die Ecken?“, fragt Stuart und setzt ein charmantes Lächeln auf. Der Koch lehnt ab, er will die Teigreste selbst aufbrauchen. Unbeirrt treibt Stuart weiter über den Markt, sagt seinen Spruch auf und erbeutet schließlich aussortierte Rote-Bete-Blätter, Weizengras und Äpfel.

18 Stunden später sitzen einige Köche, Experten für Lebensmittelverwertung und Aktivisten zusammen und fachsimpeln. Starköchin Celia Lam hat aus den Resten ein Mahl geschaffen: Kürbistempura, Rüben- und Tofuklößchen und spiralisierte Zucchininudeln. Stuart selbst hat kaum Hand angelegt, aber ohne ein einziges Meeting hat er auf wundersame Weise ein halbes Dutzend Menschen dazu gebracht, sich ein Menü aus den gesammelten Zutaten auszudenken, das Essen vorzubereiten, zu kochen, zu servieren und anschließend die Küche sauber zu machen. All das nur für die Chance, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten im internationalen Kampf gegen Lebensmittelverschwendung zu treffen: ihn.

Essen wegzuwerfen gilt in allen Kulturen als unethisch, schließlich leiden weltweit fast 800 Millionen Menschen an Hunger. Gleichzeitig werden nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen genießbare Lebensmittel – etwa ein Drittel der Weltproduktion – entweder gar nicht erst geerntet oder später in den Müll geworfen. Mehr als genug, um jeden Hungernden zweimal satt zu bekommen. Was läuft da schief?

Um dagegen anzukämpfen, rast Stuart um die Welt. Kurz nach seinem Besuch in New York sitzt er in Huaral, einem Bauerndorf 80 Kilometer nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima, bei einem Glas frisch gepressten Satsumasaft und befragt einen Mann namens Luis Garibaldi, den größten Mandarinenproduzenten des Landes:

„Wie viel exportieren Sie? Wie viel müssen sie zurücknehmen? Warum? Was passiert mit dem Ausschuss?“ 70 Prozent, sagt Garibaldi, exportiere er in die Europäische Union und nach Nordamerika. Die restlichen 30 Prozent der Früchte haben nicht die richtige Größe, Farbe oder Süße, oder sie haben Schönheitsfehler, Kratzer, Sonnenschäden, sind von Pilzen oder Spinnen befallen. Diese aussortierte Ware geht zum größten Teil an kleine Märkte in Peru.

Am Ende des Interviews steht für Stuart die Erkenntnis: Die Standards der Großhändler für das Aussehen der Fruchte sind sehr streng – bis das Angebot sinkt. Dann nehmen die Händler auch die nicht ganz perfekten Exemplare. „Aber kaufen die Verbraucher diese Ware auch?“

Garibaldi nickt.

Im Vergleich zu anderen produziert seine Firma Fundo Maria Luisa sogar relativ wenig Ausschuss, dank ihres Repräsentanten in Großbritannien, der die ankommende Ware inspiziert und mit den Käufern verhandelt, wenn diese die Lieferung mit zuweilen fadenscheinigen Begründungen ablehnen wollen. Oft schieben die Großhändler kosmetische Gründe vor, um eigene Fehlprognosen oder unerwartete Umsatzeinbrüche auszugleichen, sagt Garibaldi. Wenn sie sich durchsetzen, bleibt dem Erzeuger oft nichts anderes übrig, als die Früchte wegzuwerfen.

Stuart rast weiter. 300 Kilometer weiter südlich, in der Region Ica, trifft er einen Landwirt, der jährlich Millionen Stangen Spargel auf den Feldern stehen lässt, weil sie für den Export entweder zu dünn oder zu krumm oder ihre Spitzen einen Tick zu weit geöffnet sind. Ein anderer Obstbauer erzählt, dass er jährlich mehr als tausend Tonnen Tangelos, eine Kreuzung aus Grapefruit und Mandarine, und hundert Tonnen Grapefruit in eine Sandgrube kippt – wegen winziger Schönheitsfehler.

Sicherlich haben Großabnehmer immer schon auf Qualität geachtet, aber seit einigen Jahren sind die Obst- und Gemüseabteilungen vieler Läden zur Bühne für landwirtschaftliche Schönheitswettbewerbe mutiert. Die Händler sagen, sie würden auf die Wünsche der Kunden reagieren. Diese erwarteten eben Ware mit Idealmaßen und gutem Aussehen: glänzende, runde Äpfel, gerade Spargelstangen.

„Nur wenn es gut aussieht, kaufen die Kunden“, bestätigt Rick Stein, Vizepräsident am Food Marketing Institute. Ein kleiner Teil von dem, was im Laden nicht verkauft wurde, kommt sozialen Einrichtungen zugute, manchmal wird die „zweite Wahl“ für frische Mitnehmmahlzeiten oder für die Salatbar im Supermarkt zerkleinert. Der größte Teil aber wird weder gespendet noch weiterverwertet. Sondern weggeworfen.

Und selbst wenn manche Großhändler in den USA und der EU „hässliches“ Obst und Gemüse billiger abgäben, sei das zwar prima, aber noch lieber wäre ihm, „die Qualitätsvorgaben würden gelockert“, sagt Stuart.

Sieben Tage lang läuft er in Peru auf Farmen und in Packhallen herum, erhebt Daten und kostet Ausschussware. Zwischen seinen Terminen zwängt er sich auf den Rücksitz seines vollgepackten Autos und bearbeitet die Tastatur seines Computers: Seine nächste Forschungsreise muss organisiert werden, die Leiterin des Verbandes der peruanischen Tafeln hat ihn zu einem Drink eingeladen, ein Lebensmittelretter aus Santiago de Chile bittet um ein Treffen.

Stuart ist übernächtigt, unrasiert und manchmal auch verkatert – in einem fremden Land sollte man immer probieren, was dort so alles zu Alkohol vergoren wird. Im dichtesten Verkehr verabredet er über das Handy ein Treffen mit einem peruanischen Kongressabgeordneten; der kämpft gegen Steuergesetze, die die Vernichtung von überschüssigen Esswaren profitabler machen als das Spenden.

Während der Fahrt auf einer kurvigen Serpentinenstraße überarbeitet Stuart einen Gesetzentwurf gegen Nahrungsmittelverschwendung für das britische Parlament und tippt ein Unterstützungsschreiben für die Ausweitung der Kompetenzen von Vermittlern zwischen Lebensmittelmärkten und Produzenten. Als Nächstes mailt er Kollegen den Vorschlag, eine „Disco Soup“ zu organisieren – ein fröhliches Gemeinschaftsessen, zubereitet aus geretteten Lebensmitteln. Für 50 bis 100 Personen. Es soll in drei Tagen in Lima stattfinden.

Dem Aufruf folgt gleich eine Serie von motivierenden Anrufen: „Meinst du, wir könnten ... Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ...“ Eine völlig verrückte Idee, diese „Diskosuppe“, vor allem wenn man bedenkt, dass Stuart fünf Stunden von Lima entfernt ist, noch einen Termin auf einer kolumbianischen Bananenplantage absolvieren wird, und er bisher weder einen Speisesaal noch eine Küche, weder ein Budget noch Lebensmittel hat. Aber er hat oft bewiesen, dass es gelingen kann. Mit Beharrlichkeit, Ideenreichtum und seiner besonderen Art, Menschen zu motivieren. Und mit der Überzeugung, dass Essen zu wertvoll ist, um es wegzuwerfen.

Tristram Stuart, 38, wurde als jüngster von drei Söhnen in London geboren. Mit 14 Jahren zog er zu seinem Vater ins ländliche East Sussex. Gegenüber dem Haus der Familie, auf der anderen Seite des Tals, lag das frühere Anwesen seiner Großeltern, ein weites Stück Land, das im Zweiten Weltkrieg genügend Farmarbeiter hatte, um eine eigene Cricket-Mannschaft gegen die der Dorfbewohner aufstellen zu können. Stuarts Vater Simon hat seinem Jüngsten viel über die Farm erzählt.

Simon Stuart war auch ein exzellenter Naturkenner. „Weil wir sowieso nie all das Würden lernen können, was er wusste, haben wir Kinder uns spezialisiert“, erinnert sich Tristram. „Der eine Bruder interessierte sich für Vögel, der andere für Libellen. Und ich für Pilze.“ Am Abend vor dem New Yorker Festmahl aß er eine 22-Dollar-Pizza mit „wilden“ Pilzen und beschwerte sich beim Kellner. „Ihre Speisekarte ist Betrug. Ich sammle selbst Pilze. Ich weiß, wie wilde Pilze aussehen, und diese hier sind keine.“

Stuarts Vater bewirtschaftete einen großen Gemüsegarten; der Sohn schaffte schon als Teenager Schweine und Hühner an. Der Vater bekam den Mist zum Düngen, der Sohn die Gemüseabfälle zum Verfüttern. „Ich hatte Eier und Fleisch, mit meinen Frettchen fing ich Hasen, und ich schoss auch Wild“, erzählt er. Bald verkaufte er den Eltern seiner Mitschüler Schweinefleisch und Eier, aber er merkte, dass der Kauf des Tierfutters ihn mehr kostete, als er einnahm. Also führte er eine Abfallsammelrunde ein. In den Läden der Umgebung und in der Schulkantine holte er missgebildete Kartoffeln und altbackene Kuchen und Kekse. Damit fütterte er die Sau Gudrun – und staunte zugleich, wie viel Essbares weggeworfen wird.

Nach der Schule jobbte er auf einer Rinderfarm in Frankreich und begann schließlich, an der Universität Cambridge englische Literatur zu studieren. Dort lernte er den Alltag abseits des ländlichen Ökolebens kennen. Das Mensaessen wurde „ohne irgendeinen Gedanken an Nachhaltigkeit“ zubereitet, wie er sagt.

Mit Gleichgesinnten suchte er einen anderen Weg. Er ernährte sich von Lebensmitteln, die er aus den Müllcontainern hinter Supermärkten holte. Er trank Apfelwein, selbst gekeltert aus aufgesammelten Früchten, aß gegrilltes Hirn, Milzrouladen und knusprige Schweineohren und lernte den Geschmack der Schnecken aus den Gärten seiner Freunde schätzen.

Stuart wusste: Allein die Tatsache, dass privilegierte Studenten Frischkäse-Becher aus Mülltonnen fischten, würde Aufsehen erregen. Bis zum Jahr 2002, mittlerweile lebte er in London, hatte er mit seinen Aktionen für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, dass er an einer TV-Dokumentation über die Verschwendung von Lebensmitteln mitarbeitete. Aktivisten aus der ganzen Welt kontaktierten ihn, um gemeinsame Projekte zu starten.

Aber es war klar: Um wirksam etwas unternehmen zu können, brauchte er mehr Fakten, er musste genau wissen, wo und aus welchen Gründen Nahrungsmittel auf dem Weg vom Acker auf den Teller verloren gehen. So entstand sein Buch „Für die Tonne“ (Verlag Artemis & Winkler), in dem er die Ursachen der weltweiten Lebensmittelverschwendung und deren ökologische Auswirkungen anprangert.

Doch einige Zehntausend Leser reichten Stuart nicht, er wollte Millionen Menschen für seine Sache gewinnen. „Deshalb gründete ich Die Speisung der 5000 “, sagt er. Ein Projekt nach dem Vorbild des Neuen Testaments. Im Buch Johannes 6,12 befiehlt Jesus: „Sammelt die übrigen Brocken, dass nichts umkommt.“

Stuarts Speisung startete 2009 und wurde zu seinem Vorzeigeprojekt: ein kostenloses öffentliches Festmahl, komplett aus übrig gebliebenen Lebensmitteln. Diese Gemeinschaftsessen hat er mittlerweile schon in mehr als 30 Städten organisiert, es wurde viel darüber geschrieben. Man nimmt das Thema nun öffentlich wahr. Und auch ihn. Seine scharfe Kritik an der Lebensmittelindustrie und an der Einkaufspolitik der Großhändler „nerve“ die Angegriffenen, sagt er. „Und das soll es ja auch.“

„Wenn Stuart redet, will man einfach mitmachen“, sagt Dana Gunders, Spezialistin für das Thema Lebensmittelverschwendung bei der amerikanischen Umweltschutzorganisation Natural Resources Defense Council. „Mit seiner Leidenschaft stachelt er andere nicht nur an, er hält sie auch bei der Sache.“

Aber er überzeugt nicht nur durch Worte. Stuart nutzt jede Gelegenheit, um zu essen, was andere verschmähen. Ein Tier besteht ja nicht nur aus Steak und Schnitzel. An seinem ersten Morgen in Peru isst er zum Frühstück ein Gericht aus geronnenem Hühnerblut. „Das kannte ich noch nicht.“ Zu Mittag schlemmt er Meerschweinchen. Am zweiten Tag bestellt er Innereien vom Rind, am dritten Tag Zunge.

„Wir können es uns einfach nicht erlauben, nur die besten Stücke zu essen und den Rest wegzuwerfen“, sagt er. Schon gar nicht angesichts der Herausforderung, dass wir bis zum Jahr 2050 mehr als neun Milliarden Menschen satt bekommen müssen. Wobei die Landwirtschaft schon heute eine der größten Belastungen für unseren Planeten ist.

70 Prozent des Trinkwasserverbrauchs der Erde gehen auf ihr Konto, 80 Prozent der Abholzung tropischer und subtropischer Wälder und bis zu 35 Prozent der vom Menschen erzeugten Treibhausgase. Das Bevölkerungswachstum und die neue Vorliebe für Fleisch und Milchprodukte in den Schwellenländern

wird die Bilanz noch verschlechtern. Es sei denn, die Menschen würden weniger Fleisch und Milchprodukte essen und weniger Nahrungspflanzen für Biosprit anbauen.

Stuart weiß, dass sich solche Verhaltensänderungen nur in winzigen Schritten vollziehen. Lockerzulassen passt jedoch nicht zu seinem Charakter. Wenn ein Gemüseproduzent in Peru, der jährlich 1,5 Millionen Kilo nicht ganz perfekte Zwiebeln auf den Müll kippt, mit den Schultern zuckt und sagt: „Ich kann die Regeln nicht ändern“, antwortet Stuart: „Aber ich.“

Vor drei Jahren reiste er eine Woche durch Kenia, wo die Vereinten Nationen zum Thema Lebensmittelverschwendung tagten. Dabei traf er einen Farmer, der sich wegen der europäischen Schönheitskriterien gezwungen sah, jede Woche 40 Tonnen grüne Bohnen, Brokkoli, Erbsen und Stangenbohnen zu entsorgen – genug Essen für 250.000 Menschen.

Knapp ein Jahr später kehrte Stuart mit einem Kamerateam zurück. Er sah, dass die Farmer fast die Hälfte ihrer Ernte schon auf den Feldern und in den Lagern aussortierten. Die Produzenten von grünen Bohnen mussten zudem von jeder für den Verkauf bestimmten Schote noch Spitze und Stiel abschneiden. Und dann stornierten Großhändler auch noch oft in letzter Minute Bestellungen, ohne die Farmer zu entschädigen.

Nachdem Stuart Bilder der entsorgten Bohnenberge veröffentlicht und angeprangert hatte, dass die Großhändler ihre Kosten auf die machtlosen Erzeuger abwälzen, waren die Unternehmer in Großbritannien gesprächsbereit. Sie stimmten zu, die Kosten für stornierte Aufträge selbst zu tragen und die Bohnenverpackungen länger zu machen, sodass das Gemüse seit 2015 nur noch an einem Ende gekürzt werden muss. Bei gleicher Verkaufsmenge werden nun weniger Lebensmittel verschwendet und wird pro Kilo weniger Anbaufläche benötigt. „Tristram jammert nicht. Er erkennt ein Problem und unternimmt etwas dagegen“, sagt Clementine O’Connor, Referentin für nachhaltige Ernährung bei den Vereinten Nationen.

An einem Donnerstag im September stiefelt Stuart durch ein schlammiges Feld in Nordfrankreich. Er greift in einen Erdhaufen und zieht mehrere Kartoffeln heraus, die – weil zu klein – durch die Gabeln der Lesemaschine gefallen sind. Gemeinsam mit Helfern will er für die „Speisung der 5000“ am folgenden Sonntag auf dem Platz der Republik in Paris 500 Kilo Kartoffeln sammeln.

Am Freitag waschen Stuart und andere Freiwillige die Ausbeute in einem baufälligen, leer stehenden Haus. Mit nacktem Oberkörper steht Stuart in einem überfüllten, nach Schweiß und Marihuana riechenden Raum inmitten wummernder Musik und schimpft mit einer Frau, weil sie Zeit verschwendet, indem sie die Kartoffeln zweimal abbürstet. Die Frau fühlt sich gegängelt und beschimpft ihn: „Arschloch.“

„Das sagen alle zu mir!“, blafft Stuart zurück. Am Samstag ist Schnippelzeit. Hunderte von Freiwilligen würfeln binnen vier Stunden etwa 1800 Kilo Kartoffeln, Auberginen, Möhren und rote Paprika. Alles wird in große blaue Plastiksäcke gefüllt. Sonntag um fünf Uhr früh schüttet Peter O’Grady, der eigentlich eine Armenküche in London leitet, den Inhalt der Säcke in brusthohe Metalltanks, die auf Gasbrennern stehen.

Gegen Mittag wird es voll auf dem Platz der Republik. Menschen in Möhren- und Auberginenkostümen marschieren auf und rufen: „Verschwendet kein Gemüse!“ 6100 Gäste sind gekommen, die Küchenhelfer ziehen sich Handschuhe und Schürzen an. Um zwölf Uhr erscheint Stuart. Er dankt allen, die mitgeholfen haben, nennt Lebensmittelverschwendung einen Skandal, schlägt schließlich den Bogen von der Landwirtschaft zum Klimawandel und verlässt die Bühne mit einem lauten „Bon appétit “. Aktion gelungen, Botschaft angekommen.

Aus dem Englischen von Dr. Ina Pfitzner

 

(NG, Heft 3 / 2016, Seite(n) 106 bis 127)

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