Auf der Suche nach der ersten deutschen Astronautin

Elf deutsche Männer waren im All – aber noch keine Frau. Das kann nicht sein, dachte sich Raumfahrt- ingenieurin Claudia Kessler und gründete die Initiative „Die Astronautin“.

Von Kathrin Fromm
bilder von Markus Gloger, Die Astronautin
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:40 MEZ
Training bei „Die Astronautin“
Schwerelosigkeit erleben beim Parabelflug: Für Insa Thiele-Eich (links) und Nicola Baumann (rechts) ein Schritt in Richtung Weltraum. Claudia Kessler (Mitte) will mit ihrer Initiative „Die Astronautin“ die erste deutsche Frau ins All schicken.
Foto von Markus Gloger, Die Astronautin

Die Idee: Eine Deutsche im All
Claudia Kessler hat einen Traum: die erste deutsche Astronautin ins All zu schicken. Bald. Noch vor 2020 soll sie für eine Forschungsmission zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Elf deutsche Männer waren bislang im Weltraum – aber noch keine Frau. „Die Idee kam mir während der Mission von Alexander Gerst vor drei Jahren. Da gab es einen riesigen Rummel, gerade in den sozialen Medien“, sagt Kessler. Sie ist studierte Raumfahrtingenieurin, leitet seit mehr als zehn Jahren die deutsche Niederlassung von HE Space, einem Personaldienstleister für die Raumfahrt, und hat das Netzwerk Women in Aerospace Europe mit aufgebaut. Kontakte sind genug da. Also redet Kessler mit Kollegen und Bekannten über die Idee, gründet eine Facebook-Gruppe und startet schließlich die private Initiative „Die Astronautin“.

Die Bewerbungsphase: 408 Kandidatinnen melden sich
Der Aufruf geht an deutschen Unis, an denen man etwas mit Raumfahrt studieren kann, und an spezialisierte Jobbörsen. Auch das Medieninteresse ist groß. Als die Frist am 30. April 2016 endet, haben sich 408 Kandidatinnen beworben – aus den unterschiedlichsten Bereichen: Viele Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen sind darunter, aber auch Pilotinnen und Medizinerinnen. „Es war mir wichtig, zu zeigen, wie viele tolle Frauen es gibt. Das hat funktioniert!“, betont Kessler. Neben einem Motivationsschreiben und ihrem Lebenslauf müssen die Bewerberinnen auch ein Video von sich mitschicken. „Damit wir uns ein besseres Bild machen können“, sagt Kessler. „Ist das auch eine, die sich hinstellen und Leuten etwas erklären kann? Denn darauf kommt es an. Als Astronaut ist man eine Person des öffentlichen Lebens“

“Es war mir wichtig, zu zeigen, wie viele tolle Frauen es gibt.”

Claudia Kessler, Raumfahrtingenieurin

Die Auswahlrunden:
Jede Menge Tests

Im ersten Schritt werden 250 Frauen ausgewählt. Sie alle erhalten einen Fragebogen. Darin geht es um sportliche Hobbys, aber auch darum, wie lange sie bereit sind, von ihrer Familie getrennt zu leben. 150 bleiben übrig. Auf sie warten Interviews am Telefon oder per Skype. 90 werden im September 2016 nach Berlin zu einem Vorstellungstag eingeladen. Spontan müssen die Frauen vor der Kamera Fragen beantworten, etwa: Warum ist Raumfahrt wichtig? Welche neue Forschung könnte man da oben im All machen? Es folgen psychologische und medizinische Tests. Als Partner dafür gewinnt Claudia Kessler das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR). Einen Tag lang beantworten alle verbliebenen Kandidatinnen am Hamburger Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin Fragen am Computer. Es geht um Konzentrations- und Merkfähigkeit ebenso wie um räumliches Denken. 30 Frauen kommen weiter. Zwei Tage lang werden bei Übungen in einem Assessment-Center Teamfähigkeit und Stressresistenz getestet. Jetzt sind nur noch acht im Rennen. Je vier Tage dauert für jede von ihnen die medizinische Untersuchung beim DLR in Köln. Die Bewerberinnen werden buchstäblich auf Herz und Nieren geprüft. Ausdauer, Augen, Kreislaufsystem – alles.

Das Finale: Zwei Frauen setzen sich durch
Sechs Frauen schaffen es in die Endrunde und müssen sich am 19. April an der TU München noch einem weiteren Interview stellen: Ihnen gegenüber sitzt ein vierköpfiges Auswahlkomitee unter der Leitung von Ulrich Walter, einem ehemaligen Astronauten und Professor für Raumfahrttechnik. Die Fragen richten sich nach dem Schema früherer Astronauten-Auswahlrunden, etwa bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Schließlich setzen sich zwei Frauen durch: Nicola Baumann, Eurofighter-Pilotin aus Köln, und Insa Thiele-Eich, Meteorologin aus Bonn.

Die Ausbildung: Das erstes Training
Zur Einführung sind die beiden Frauen mit Claudia Kessler Mitte August für eine Woche nach Moskau geflogen, haben sich im Kosmonauten-Trainingszentrum ein Bodenmodell der ISS und die Sojuskapsel angeschaut, einen Parabelflug absolviert und einen Zentrifugen-Test hinter sich gebracht. „Die beiden erhalten eine maßgeschneiderte Ausbildung, schließlich bringt jede andere Voraussetzungen mit. Eine von ihnen fliegt Eurofighter, da braucht sie keinen Pilotenschein“, sagt Kessler. Gerade stellt ein ehemaliger Astronautentrainer der ESA die theoretischen Unterlagen zusammen, etwa zu den technischen Instrumenten in einer Raumstation. Wann der nächste Praxisblock folgt, ist noch nicht klar. Das Wichtigste im Moment: Sponsoren finden. Etwa 50 Millionen Euro werden die Ausbildung und der Ausflug ins All kosten, schätzt Kessler und sagt: „Es ist noch ein weiter Weg, aber ich bin optimistisch und davon überzeugt, dass es gelingen wird, auch wenn es nicht einfach wird.“ Ihr Traum von der ersten deutschen Astronautin im All soll Wirklichkeit werden. 

Mehr über neue Weltrauminitiativen steht in der Titelgeschichte "Reiseziel Mond" in der Ausgabe 9/2017 von National Geographic. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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