Äquinoktium: Was ist eigentlich die Tag-und-Nacht-Gleiche?

Die Tag-und-Nacht-Gleiche hängt mit dem Wechsel der Jahreszeiten zusammen, aber sorgt jedes Jahr wieder für Missverständnisse.

Von Rachel A. Becker

Dass es Jahreszeiten gibt, ist jedem bekannt. Aber wodurch sie entstehen, ist eine Frage, bei deren Beantwortung viele Menschen regelmäßig in eine kleine Falle tappen. Oft hört man, dass es auf der Erde kälter wird, wenn sie sich weiter von der Sonne entfernt, und wärmer, wenn sie näher an den Stern herankommt. Schließlich ist die Umlaufbahn unseres Planeten um die Sonne kein perfekter Kreis, sondern eher eine Ellipse. Die Schlussfolgerung aus dieser Tatsache ist jedoch falsch.

„Der Erdorbit weicht [nur] zu drei Prozent von einem Kreis ab“, erklärt Jay Holberg, ein wissenschaftlicher Forscher am Mond- und Planetenlabor der Universität von Arizona. „Im nördlichen Winter – im Dezember – ist die Sonne der Erde eigentlich am nächsten und im Sommer ist sie am weitesten entfernt.“

Wissen kompakt: Tag-und-Nacht-Gleiche

Wenn es also nicht die unterschiedliche Entfernung zur Sonne ist, die uns die Jahreszeiten beschert, was dann?

Es ist alles eine Frage der Neigung. Die Erdachse ist relativ zur Sonne gesehen nicht gerade, sondern steht in einem leicht schrägen Winkel von etwa 23,5 Grad.

Während sich die Erde um die Sonne dreht, bleibt dieser Winkel erhalten, weshalb das Licht der Sonne nicht direkt auf die komplette Erdoberfläche trifft. Wenn die nördliche Hemisphäre der Sonne zugeneigt ist, treffen uns ihre Strahlen direkt und sorgen für sommerliche Hitze und längere Tage.

Gleichzeitig ist die südliche Hemisphäre von der Sonne weggeneigt, weshalb sie die Lichtstrahlen nur in einem schrägen Winkel auffängt. Während dieser Zeit herrschen dort die kühleren, kürzeren Wintertage.

Nur zweimal im Jahr wird die Erde gleichmäßig in das Licht der Sonne getaucht – nämlich zu den Tag-und-Nacht-Gleichen.

„Das hat mit der Menge an Licht pro Quadratzentimeter zu tun, die man abbekommt“, sagt Dan Milisavljevic vom Harvard-Smithsonian-Zentrum für Astrophysik. „Wenn das Licht in einem Winkel auftrifft, wird es nicht so warm sein.“

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    Wenn die Luft also morgens kühl durch die Straßen weht, das Laub unter den Füßen knistert und im Supermarkt die Weihnachtsschokolade neben den Halloween-Artikeln steht, kann man sich bei der Erdachse bedanken, nicht bei der Erdumlaufbahn. Für alle, die dem Ende des Sommers nachtrauern, hilft hingegen vielleicht ein Urlaub in Äquatornähe.

    TAG UND NACHT

    Die Sonnenwenden im Juni und Dezember markieren den längsten und den kürzesten Tag des Jahres. Das Wort Äquinoktium, das hingegen die Tag-und-Nacht-Gleiche bezeichnet, kommt aus dem Lateinischen und lässt sich grob mit „gleiche Nacht“ übersetzen.

    „Das kommt nah ran, aber ist eben nicht exakt. Tatsächlich gibt es in einigen Fällen Unterschiede von einigen Minuten“, sagt Milisavljevic.

    Der Tag wird tatsächlich ein wenig länger als die Nacht erscheinen. Diese Diskrepanz erklärt sich teils durch eine optische Täuschung. Die Erdatmosphäre beugt das Licht, weshalb es aussieht, als befände sich die Sonne noch über dem Horizont, obwohl sie bereits untergegangen ist.

    Zudem ist die Tageslänge auf der Erde nicht überall gleich. Sie verändert sich mit der Entfernung zum Äquator – deshalb gibt es an den Polen im Sommer endlose Tage und im Winter ganze Monate der Nacht.

    „Das Äquinoktium wird als Zeitpunkt eines Ereignisses definiert. Es findet nicht wirklich statt, wenn der Tag und die Nacht gleich lang sind, obwohl wir das denken. Eigentlich ist es der Zeitpunkt, zu dem die Sonne 12:00 Uhr mittags Ortszeit genau über dem Äquator steht“, sagt Matthew Holman, ein Astrophysiker von der Universität Harvard.

    FESTE ZUM ÄQUINOKTIUM

    Viele Völker in der Geschichte der Menschheit haben die Tage der Sonnenwenden und der Tag-und-Nacht-Gleichen als bedeutende Ereignisse gefeiert. Aber kaum jemand hat das auf so spektakuläre Weise getan wie die alten Maya. Sie erbauten El Castillo, eine Stufenpyramide in Chichén Itzá in Mexiko. (Lesenswert: Archäologen suchen in alter Pyramide nach Spuren der Maya-Unterwelt) Zu den Tag-und-Nacht-Gleichen scheint es durch die Architektur des Gebäudes so, als würde sich eine Schlange aus Licht die Stufen der Pyramide hinunterschlängeln.

    „Wenn man an der Ecke des Gebäudes steht, mit dem Sonnenuntergang zu seiner Rechten, und dann nach links blickt, sieht der beleuchtete Teil [der Pyramide], der nicht im Schatten liegt, wie eine Schlange aus“, sagt der Anthropologe James Fox, der in Chichén Itzá gearbeitet hat.

    Zweimal im Jahr findet ein kleines Lichtspektakel auf der Maya-Pyramide in Chichén Itzá statt, wenn sich eine Schlange aus Sonnenlicht die Pyramide hinabschlängelt.
    Foto von Israel Leal, Associated Press

    Das schlängelnde Licht verbindet die Skulptur eines Schlangenkopfes am Fuße des Gebäudes mit ihrem Schwanzende an der Spitze der Pyramide. „Wenn das keinen Eindruck macht“, sagt Fox, „dann tut es gar nichts.“

    Laut Anthony Aveni, einem Professor der Colgate Universität, gibt es eine Legende, die besagt, dass zur Tag-und-Nacht-Gleiche eine alte gefiederte Gottheit vom Himmel herabsteigt. Heutzutage zieht das Spektakel ein großes Publikum an, das hofft, einen Blick auf die Lichtschlange werfen zu können, die sich den Tempel hinabschlängelt.

    Obwohl es keinen Zweifel gibt, dass die Maya Monumente erbaut haben, um den Wechsel der Jahreszeiten einzufangen, gibt es noch keine eindeutigen archäologischen Beweise dafür, dass um dieses Gebäude herum Rituale stattfanden.

    „Manchmal ist es sehr schwierig, die Wahrheit von der Romantik der Steine zu trennen. Das ist etwas, nach dem man in den archäologischen Befunden und Legenden suchen muss“, sagt Aveni.

    NICHT VON DIESER WELT

    Ob mit oder ohne kulturelle Bedeutung auf der Erde – diese Konstellation ist etwas, das wir mit den restlichen Planeten unseres Sonnensystems teilen, auf denen ebenfalls Tag-und-Nacht-Gleichen stattfinden. Ein Sonderfall ist dabei der Merkur, der ungefähr senkrecht zur Sonne steht.

    „Das Äquinoktium findet statt, wenn die Sonne über den Äquator zieht, aber sie ist [auf dem Merkur] eigentlich immer über dem Äquator“, sagt Matthew Holman.

    Die Raumsonde Cassini machte diese Aufnahme des Saturn anderthalb Tage nach dessen Äquinoktium. Da der Saturn 30 Jahre für einen Umlauf um die Sonne benötigt, finden seine Tag-und-Nacht-Gleichen alle 15 Jahre statt.
    Foto von NASA, JPL

    Wenn wir uns also auf einem anderen Planeten ansiedeln würden, welche Tag-und-Nacht-Gleiche würde uns am ehesten an unser Zuhause erinnern?

    „Das kommt darauf an, ob man Jahreszeiten mag“, sagt Holman. „Wenn man gern Jahreszeiten hätte, sollte man wahrscheinlich nach einer schwach geneigten Achse suchen, damit es etwas Abwechslung gibt.“

    Der Mars sieht in dieser Hinsicht ziemlich gut aus. Seine Neigung ist nur etwa anderthalb Grad stärker als die der Erdachse, und seine polaren Eiskappen (die aus Trockeneis bestehen) schmelzen und gefrieren mit den Jahreszeiten, genau wie unsere.

    Uranus wäre vermutlich die schlechteste Wahl. Sein Neigungswinkel ist größer als 90 Grad. Relativ zur Sonne gesehen liegt er praktisch auf der Seite, während er seine 84 Jahre dauernden Umläufe um die Sonne macht. Das heißt, dass Sommer und Winter dort jeweils 42 Jahre dauern.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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