Vermeintlich vegetarischer Dinosaurier fraß wohl auch Fleisch

Die sägemesserartigen Kauwerkzeuge im Kiefer des Dinos sehen verdächtig wie die Zähne von Carnivoren aus.

Von John Pickrell
Veröffentlicht am 22. Nov. 2018, 14:24 MEZ

Der etwa viereinhalb Meter lange zweibeinige Pachycephalosaurus mit der großen Schädelwölbung lebte zu Zeiten von Tyrannosaurus und Triceratops und gehörte wohl zu den bekanntesten Vertretern jener Zeit. Oft werden die Tiere in Büchern und Filmen als harmlose Pflanzenfresser dargestellt. Die Entdeckung eines neuen Schädels mit den bislang am vollständigsten erhaltenen Kieferknochen und Zähnen verdutzte Wissenschaftler, als der Fund im Oktober bei einem Treffen der Society of Vertebrate Paleontology in Albuquerque in New Mexico vorgestellt wurde.

Der halbstarke Pachycephalosaurus hatte – ebenso wie all seine bekannten Verwandten – im hinteren Kieferbereich breite Mahlzähne, die dazu dienten, Früchte, Samen und zähe Blätter oder Gräser zu zerkleinern.

Im vorderen Kieferbereich, der zuvor noch bei keinem Fossil der Art gefunden wurde, befanden sich hingegen scharfe, dreieckige Zähne, die eher denen von Fleischfressern wie dem Tyrannosaurus oder Velociraptoren ähneln. Aufgrund der wenigen und unvollständigen Fossilien lässt sich aber nicht sagen, ob diese Zähne nur ein temporäres Merkmal waren, das die Tiere im Erwachsenenalter verloren.

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Aber schon der Umstand, dass der Pachycephalosaurus solche Zähne überhaupt in einem Stadium seiner Entwicklung aufwies, sei schon faszinierend, kommentierte der Paläontologe Steve Brusatte von der University of Edinburgh, der den Vortrag in Albuquerque besucht hatte.

„Ich habe 15 Jahre lang [fleischfressende] Theropoden erforscht. Ich bin mir sicher, wenn mir jemand so einen Zahn geben würde, würde ich sagen, dass es ein Theropodenzahn ist“, erzählte er. „Er hatte eine Kombination aus einem Schnabel und diesen sehr scharfen, gezackten Zähnen, die Steakmessern ähneln. [...] Er muss irgendeine Art von Fleisch gefressen haben. Warum sollte er sonst Steakmesser in seinem Maul haben?“

Fossil-Irrtum

Der Fund wurde von Mark Goodwin vom Paläontologischen Museum der University of California in Berkeley vorgestellt. Zusammen mit David Evans vom Royal Ontario Museum im kanadischen Toronto hat er in den letzten Jahren viele neue Pachycephalosaurus-Exemplare ausgegraben und untersucht.

Goodwins Forschungen hatten zuletzt 2009 eine Kontroverse ausgelöst, als er – mittlerweile weithin anerkannte – Beweise dafür vorgelegt hatte, dass es sich bei zwei Dinosaurierarten, die in der Hell Creek Formation der USA gefunden wurden, gar nicht um eigene Arten, sondern um juvenile Formen des Pachycephalosaurus handelt. Diese Jungtiere, die zuvor als die Arten Stygimoloch und Dracorex galten, unterschieden sich körperlich deutlich von ausgewachsenen Exemplaren. Ihr Kopf war mit kleinen Beulen und Hörnern übersät, wies aber noch nicht die große Schädelwölbung erwachsener Pachycephalosaurier auf – daher die ursprüngliche Verwirrung bei der Bestimmung der Art.

BELIEBT

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    Eine Illustration zeigt, wie der junge Pachycephalosaurus zu Lebzeiten ausgesehen haben könnte. Auffällig sind der Kopfschmuck des Tieres sowie die Beulen und Verdickungen an der gesamten Schädeloberseite.
    Foto von Illustration by Kari Scannella

    Der bemerkenswert vollständige neue Schädel eines Jungtiers wurde im Osten des US-Bundesstaats Montana entdeckt und ging als Spende an das Royal Ontario Museum. Er ist vermutlich etwa 66 bis 68 Millionen Jahre alt. Damit stammt er aus der späten Kreide, kurz vor dem Asteroideneinschlag, der das Ende der nicht flugfähigen Dinosaurier einläutete. Der Schädel gehört zu einem von 71 größtenteils nur bruchstückhaften Fossilien, die Goodwin und Evans untersuchen, um ein besseres Verständnis für die Entwicklungsphasen des Pachycephalosaurus zu erhalten.

    Bei dem Paläontologentreffen in Albuquerque offenbarte Goodwin noch eine weitere Erkenntnis aus der Forschung des Duos: Stil und Umfang des Pachycephalosaurus-Kopfschmucks schienen sich nicht nur während des Wachstums verändert zu haben, sondern auch während der zwei Millionen Jahre währenden Evolution der Tiere aus der Hell Creek Formation.

    Saisonale Ernährungsweise

    Goodwin zufolge war es auch für ihn eine große Überraschung, Zähne zu finden, die „in jeder Hinsicht wie Theropoden-Zähne aussehen“. Seinen Vermutungen nach waren die Tiere bei der Nahrungssuche womöglich opportunistisch und fraßen mindestens gelegentlich Fleisch. Eventuell passten sie sich an das jahreszeitlich verfügbare Nahrungsangebot an, ähnlich wie es heutige Bären tun.

    Brusatte vermutet, dass der Pachycephalosaurus womöglich generell ein Allesfresser war und sich von „Büschen, Farnen, aber auch von kleinen Säugetieren, Fröschen, Salamandern, Eidechsen und vielleicht sogar kleinen Dinosauriern“ ernährte.

    Um mit größerer Sicherheit auf die Essgewohnheiten der Tiere schließen zu können, werden allerdings noch weitere Untersuchungen notwendig sein. Dafür bieten sich vor allem zwei Möglichkeiten an: Eine davon ist eine Analyse der Kohlenstoffisotope im Zahnschmelz des Pachycephalosaurus. Diese chemische Signatur enthält Informationen über die Zusammensetzung der Nahrung des Tieres. Auch die zahlreichen winzigen Kerben und Kratzer auf den Zahnoberflächen zeugen von den täglichen Belastungsproben für die Kauwerkzeuge. Eine zweite Methode bestünde darin, sich die Bissspuren von anderen Fossilien aus der Hell Creek Formation anzusehen, um herauszufinden, ob ihre Form und Größe zu den neu entdeckten Zähnen passen.

    Eine solche Untersuchung könnte durchaus noch andere Wellen schlagen. Philip Currie, ein Paläontologe der kanadischen University of Alberta, würde gern diverse „Theropodenzähne“ erneut untersuchen, die im Laufe vieler Jahre einzeln in Gesteinsschichten aus der gleichen Epoche gefunden wurden. Im Lichte dieser neuen Entdeckung fragt er sich, ob diese mysteriösen Zähne in Wahrheit vielleicht zu Pachycephalosauriern gehören.

    Evans jedenfalls sieht das ebenso: „Wenn diese Zähne ohne einen dazugehörigen Kiefer gefunden wurden – was zweifelsfrei auf viele zutrifft –, dann kann man sie leicht mit den Zähnen fleischfressender Saurier verwechseln.“

    „Besonders verrückt ist, dass diese Zähne im Vorderkiefer womöglich zumindest teilweise durch einen Schnabel verstärkt wurden“, sagt Currie. „Für uns war es immer ein kleines Rätsel, was diese Tiere gefressen haben. Ich denke aber, die Zähne im hinteren Kieferbereich zeigen ganz deutlich, dass sie Pflanzenfresser waren. Die Frage ist, warum sie weiter vorn dann Fleischfresserzähne brauchten.“

    Die meisten Wissenschaftler stecken Dinosaurier gern in ordentliche Kategorien, erzählt Danny Anduza vom Museum für Paläontologie an der University of California, der selbst bei der Ausgrabung mehrerer Pachycephalosaurus-Fossilien mitgewirkt hat. „Diese Studie ist deshalb so spannend, weil die Autoren einige dieser Annahmen mit neuen Beweisen infrage stellen.“

    Außerdem verdeutliche sie, wie wichtig die Feldforschung nach wie vor ist. „Selbst nach all diesen Jahren kann die Entdeckung eines einzigen neuen Exemplars unser Bild einer gesamten Dinosauriergruppe verändern“, so Anduza. „Ich finde das ziemlich inspirierend. Das erinnert einen daran, dass man so oft wie möglich nach draußen gehen und immer schon über den nächsten Hügel blicken sollte.“

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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