Im Kampf gegen resistente Keime

Die Weltgesundheitsorganisation hat Antibiotikaresistenzen zu einer der größten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts erklärt. Eine Forscherin im Saarland nimmt den Kampf gegen die Krankheitserreger auf.

Von Andrea Henke
Veröffentlicht am 22. Jan. 2019, 17:00 MEZ
Screening von Fragmenten zur Wirkstoffgewinnung
Die Bindetasche eines Proteins gebunden mit einem Naturstoff dient als Ausgangspunkt für die Suche nach kleinen synthetischen Molekülen. Den Naturstoff sieht man hier in gelb, rot und blau: Gelb steht für Kohlenstoff, rot für Sauerstoff und blau für Stickstoff. Die farbigen Gitterkugeln bezeichnen Eigenschaften, die der Wirkstoff haben sollte.
Foto von Helmholtz Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland

Jedes Jahr sterben weltweit Hunderttausende an multiresistenten Bakterien. In Deutschland erliegen etwa 15 000 Patienten Krankenhausinfektionen; 1000 bis 4000 dieser Infektionen sind durch multiresistente Keime verursacht. Die Zahlen sind geschätzt, die Dunkelziffer ist vermutlich höher. Weltweit suchen Forscher deshalb nach neuen Wirkstoffen – häufig in der Natur, denn dort produzieren Bakterien antibiotische Substanzen, um sich gegen feindliche Bakterien zu verteidigen. Anna Hirsch vom Helmholtz Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und ihr Team setzen anders an.

Frau Hirsch, Sie verfolgen in Ihrer Abteilung am HIPS einen „synthetischen Ansatz zur Wirkstoffentwicklung und Optimierung“, um neue Antibiotika erforschen. Was bedeutet das?

Wirkstoffe sind die Moleküle, die der Patient in Form einer Pille schluckt, oder die im Hustensaft sind. Wir entwickeln diese Moleküle in der frühen Phase selbst. Der Vorteil ist, dass synthetische Moleküle in der Regel sehr viel kleiner als Naturstoffe und nicht so komplex aufgebaut sind. Man kann sie daher leichter kontrollieren und anpassen. Man gerät bei der Forschung nicht so schnell in Sackgassen und muss von vorn beginnen.

Wie entwickelt man Moleküle?

In enger Zusammenarbeit mit Biologen sucht man sich bestimmte Drug-Targets aus. Das sind Biomoleküle eines Erregers – zum Beispiel Streptococcus pneumoniae, der Lungenentzündungen hervorrufen kann –, an die ein Wirkstoff binden kann. Bei uns sind das immer Proteine, von denen wir wissen, dass sie bei der betreffenden Infektion eine wichtige Rolle spielen, aber im Idealfall im Menschen so nicht vorkommen. Wenn man diese Proteine in ihrer Funktion hemmt, tut man nur dem Erreger etwas an, nicht aber dem Patienten.

Wie heften sich die Wirkstoffe an die Proteine?

Es gibt eine große Datenbank mit dreidimensionalen Aufnahmen der sogenannten Röntgenkristallstruktur vieler Proteine. Proteine haben kleine Taschen oder Vertiefungen, die man in den Kristallstrukturen sehr gut erkennen kann und in die die Wirkstoffe passen könnten. Aber nicht nur die Form, auch die Eigenschaften der Tasche müssen passen. Einer unserer Ansätze ist das de novo-Design: Wir versuchen komplett neue Moleküle zu schaffen, die in eine bestimmte Tasche des Proteins passen sollen. Das ist der rationalste Ansatz, aber sehr anspruchsvoll: Es kann zum Beispiel sein, dass das Protein flexibler ist und sich anders verhält, als man es von seiner Kristallstruktur erwarten könnte. Dann fängt man von vorne an.

Was macht man in solch einem Fall?

Das ist Computerarbeit, Screening: Man setzt den Rechner auf Datenbanken an, in denen bereits erfasste Moleküle gesammelt sind. Dort sucht er unter Millionen von Molekülen und passt diese sozusagen in das Target – eine Tasche des Proteins – ein, wie einen Schlüssel ins Schlüsselloch. Das geht so lange, bis das richtige Molekül gefunden ist, der Hit. Meistens sind die Fundstücke aus der Datenbank aber nicht der Wirkstoff selbst, sondern nur Startpunkte. Sie müssen noch optimiert werden.

Verfolgen Sie noch weitere Ansätze?

Es gibt noch einen dritten, neuen und vielversprechenden Ansatz: die „fragmentbasierte Wirkstoffentwicklung“, die in der Pharmaindustrie großen Anklang gefunden hat. Man testet dort mehrere hundert Fragmente, kleine Molekülchen. Im Idealfall bekommt man schon beim ersten Treffer eine Vorstellung, wie ein Fragment an das Protein binden könnte. Darauf basierend kann man sofort erkennen, wo man noch optimieren und an welchen Stellen das Fragment noch wachsen könnte, um die Wechselwirkung mit dem Protein zu verbessern. Nach und nach wächst dann ein größeres Wirkstoffmolekül heran.

Wie testen Sie, ob die Moleküle durch die Zellwand in die Bakterien, die sie angreifen sollen, hineinkommen?

Das ist nicht so einfach. Was einfacher zu messen ist, ob die Wirkstoffmoleküle die Bakterien töten. Dafür beobachtet man das Wachstum der Bakterien in Anwesenheit der Moleküle – die ja irgendwann als Antibiotika oder Antiinfektiva eingesetzt werden sollen.

Man sagt, es ist keine Frage, ob sich Resistenzen entwickeln, sondern nur wann. Stimmt das?

Jedes Antibiotikum, das Bakterien tötet oder in ihrem Wachstum beeinträchtigt, wird früher oder später zu einer Resistenzentwicklung führen. Das ist eine Anpassungsreaktion der Bakterien auf den Selektionsdruck, den sie spüren. Es gibt eine neue Strategie, mit der wir versuchen, Bakterien nicht zu töten, sondern sie zu entwaffnen. Damit könnten sie normal weiter leben, wären aber für den Menschen nicht mehr gefährlich. Das ist ein spannender Ansatz, den wir auch in einigen Projekten verfolgen, er macht die biologische Testung aber komplizierter.

Wie lange arbeiten Sie in etwa an einem Wirkstoff?

Unser höchstes Ziel ist, dass das Wirkstoffmolekül in einem Tierversuch, dem sogenannten Infektionsmodell, eine bestimmte Aktivität zeigt. Wir haben hier am Helmholtz-Institut außergewöhnlich gute Bedingungen. Normalerweise ist es für akademische Gruppen sehr schwierig, bis zu einem Infektionsmodell zu gelangen. Bis dahin dauert es schon mehrere Jahre, in denen man ein paar hundert Moleküle synthetisiert und testet. Von denen muss nur eines zum Erfolg führen – aber die Chance, dass das klappt, ist sehr gering. In der Wirkstoffentwicklung ist es selten, dass ein Projekt zur Marktreife gelangt.

Haben Sie zur Zeit vielversprechende Moleküle, die kurz vor dem Tierversuch stehen?

Gegen Plasmodium falciparum, den Erreger für Malaria, und gegen Pseudomonas aeruginosa, einen schlimmen Krankenhauskeim, testen wir gerade sehr vielversprechende Moleküle im Infektionsmodell. Demnächst werden wir dort auch noch Moleküle gegen Streptococcus pneumoniae und Staphylococcus aureus testen. S. pneumoniae kann Lungen- aber auch Hirnhautentzündungen verursachen, beim S. aureus reicht die Bandbreite der Infektionen von Muskelerkrankungen bis zur tödlichen Sepsis.

Warum ziehen sich sehr viele Pharmafirmen aus der Antiinfektiva-Entwicklung zurück?

Das macht uns große Sorgen. Mit bakteriellen Infektionen lässt sich nicht genug Geld verdienen. Antibiotika setzt man spätestens nach einer Woche ab, Krebs- oder Bluthochdruckmittel braucht man hingegen ein Leben lang – da steckt einfach mehr Profit drin. Eigentlich bräuchte es für Antiinfektiva ein anderes Geschäftsmodell.

Wie könnte so ein Modell aussehen?

Ganz neu und für uns sehr erfreulich sind gemeinnützige Organisationen, die die Antiinfektiva-Forschung unterstützen. Die „Drugs for Neglected Diseases Initiative“, die sich bislang vor allem mit Tropenkrankheiten beschäftigt hat, hat zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation eine neue gemeinnützige Organisation gegründet, das „Global Antibiotic Research and Development Partnership“. Sie konzentriert sich nur auf die Antibiotikaentwicklung, da bakterielle Infektionen inzwischen quasi zu den vernachlässigten Krankheiten gehören.

Prof. Dr. Anna Hirsch, Leiterin der Abteilung Wirkstoffdesign und Optimierung am HIPS.
Foto von HIPS

Was muss passieren um den Wettlauf mit den Keimen nicht zu verlieren?

Man sollte angesichts der Dringlichkeit verschiedene Ansätze parallel verfolgen: Die Politik sollte die Patente auf Antiinfektiva verlängern, damit Pharmafirmen auch nach zwölf Jahren noch damit Geld verdienen können – auch das ist nämlich ein Grund, warum sie aus der Forschung aussteigen. Es sollten zudem sehr viel mehr staatliche Gelder in die Forschung fließen, in Verbundprojekte akademischer und industrieller Partner genauso, wie in alternative, gemeinnützige Modelle. Auch die unterschiedlichen Hygiene-Richtlinien in europäischen Krankenhäusern müssten verbessert und harmonisiert werden: Wie viel Zeit hat das Pflegepersonal pro Patient, um sich jedes Mal die Hände ordentlich zu desinfizieren, statt von einem Patienten zum anderen zu hetzen? Hier könnte man sich von den Ländern inspirieren lassen, die weniger Probleme mit der Entwicklung von antimikrobieller Resistenz haben.

Lesen Sie auch die Reportage "Im Wettlauf mit den Keimen" in Heft 1/2019 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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