Mission Corona-Impfstoff

Auf der Suche nach der Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 gelten etablierte Verfahren inzwischen als wenig erfolgsversprechend. Darum sind moderne Impfstoff-Plattformen die schnellste Lösung.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 30. März 2020, 10:09 MESZ, Aktualisiert am 2. Dez. 2020, 10:49 MEZ
Auf der Suche nach dem Corona-Impfstoff

Die Zahl der Covid-19-Infizierten steigt weltweit wieder. Deshalb suchen Forscher international nach einem geeigneten Impfstoff gegen das Virus.

Foto von Alernon77, Stock.adobe.com

Weil das Virus Sars-CoV-2 die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann, sind weltweit über 225 Unternehmen und Forschungsinstitute auf der Suche nach dem passenden Impfstoff. Dabei setzen einige Projekte auf die zeitintensive, klassische Impfstoffentwicklung. Andere Unternehmen, wie CureVac oder BioNTec/Pfizer aus Deutschland, nutzen neue Technologien um den Entwicklungsprozess zu beschleunigen. Als erstes Land der Welt erteilte Großbritannien nun dem mRNA-Impfstoff BNT162b2 von BioNTech und Pfizer eine Notfallzulassung, erste Impfungen sollen bereits kommende Woche durchgeführt werden. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA will bis spätestens 29. Dezember über eine Zulassungsempfehlung für das Vakzin entscheiden.

Erbinformation des Virus

Vor der Entwicklung eines Impfstoffes steht die genaue Kenntnis des Virus. Bei dem Coronavirus handelt es sich laut Prof. Eberhard Hildt, Leiter der Abteilung Virologie am Paul-Ehrlich-Institut (PEI), „um einen neuartigen Erreger, der aus Patienten die in Wuhan eine schwere Atemwegsinfektion erlitten, isoliert worden ist. Die komplette Erbinformation des Virus wurde sehr schnell charakterisiert. Die Analyse zeigte, dass es sich um ein recht eng mit dem SARS-Virus verwandtes Virus handelt.“

Eine Kernaufgabe des Paul-Ehrlich-Instituts ist die Zulassung und Überprüfung von Impfstoffen. „Grundsätzlich ist die Entwicklung und Zulassung eines Impfstoffs durchaus ein langwieriger Prozess, weil wir am Ende sicherstellen wollen, dass ein gleichermaßen wirksamer, wie sicherer Impfstoff auf den Markt kommt“, erklärt Prof. Eberhard Hildt. Die schnelle Charakterisierung des Virus und Forschungserkenntnisse zu vorangegangenen Epidemien, haben den Entwicklungsprozess bereits deutlich beschleunigt. „Wir wissen aus Arbeiten mit verwandten Viren, wie zum Beispiel dem MERS- Coronavirus, dass es im Bereich der Oberflächenproteine dieser Coronaviren - und damit auch des aktuellen Corona-Virus - sehr konservierte Bereiche gibt. Das sind Bereiche, die weitgehend unveränderlich sind. Das könnten Zielstrukturen sein, die nach einer Impfung vom Immunsystem erkannt werden, und dann dazu verwendet werden, die Infektion zu hemmen und eine weitere Ausbreitung des Viruses zu verhindern. Wir müssen natürlich klar sagen, dass wir trotzdem bei dem neuartigen Coronavirus am Anfang stehen. Aber es ist an vielen Stellen wirklich sehr schnell reagiert worden, und die Entwicklung hat begonnen. So dass wir jetzt auf die ersten Ergebnisse zunächst aus dem Labor, der präklinischen Phase, warten müssen, die dann im Rahmen klinischer Prüfungen verifiziert und weiter ausgebaut werden müssen“. Die Zielstruktur im Fall von SARS-CoV-2  ist das Spike Protein, das als bindendes Oberflächenprotein entschlüsselt wurde.

Die Wissenschaftler konnten das Erbgut des SARS-CoV-2- Virus schnell entschlüsseln. Damit war der Startschuss für die Entwicklung eines Impfstoffes gefallen.
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Impfstoff Entwicklung: Welches Verfahren passt?

Kennt man das Erbgut des Virus, entscheidet man sich für eine Richtung der Immunisierung. Will man mit klassischen Impfmethoden die natürliche Immunität imitieren und eine aktive Immunisierung aufbauen, also mit ungefährlichen Erregerbausteinen dem Immunsystem eine Infektion vortäuschen und es damit zur selbstständigen Bildung von Antikörpern und Gedächtniszellen motiveren? Oder möchte man einen schnellen Schutz durch passive Immunität hervorrufen, indem Erkrankte Antikörper injiziert bekommen? Oder setzt man auf die moderne Technik und Impfstoffplattformen - die mit Blick auf den Corona-Virus vielversprechendste Option für Experten.

Etablierte Verfahren: aktivierende Immunisierung 

Die traditionellen Impfstoffe aktivierender Immunisierung kann man in zwei Gruppen einteilen: Lebendimpfstoffe und Totimpfstoffe. Erstere enthalten abgeschwächte, vermehrungsfähige Erreger in geringen Mengen, die eine Krankheit nicht auslösen, aber das Immunsystem aktivieren. Bei Totimpfstoffen regen inaktivierte Erreger, deren gereinigten Bestandteile, oder rekombinant hergestellte Erregerbausteine, das Immunsystem an. Beide Impfstoffe werden, häufig in mehreren Teilimpfungen, Gesunden injiziert. Dem Körper wird eine Infektion vorgetäuscht, er bildet Antikörper und Gedächtniszellen, damit das Immunsystem im Ernstfall vorbereitet ist. Ziel aktiver Impfungen ist der Aufbau eines langfristig wirksamen Schutzes. Bei SARS-CoV-2 forschen beispielsweise die Impfstoff-Projekte von Novavax, Greffex und der University of Queensland an Totimpfstoffen mit Virusproteinen.

Die Erfolgschancen, mit den klassischen Methoden einen passenden Impfstoff gegen SARS-CoV-2 zu finden, schätzt das Paul-Ehrlich Institut gering ein: „Die bei den bisher zugelassenen Impfstoffen gut und erfolgreich etablierten Verfahren - inaktivierte Impfstoffe und abgeschwächte Lebendimpfstoffe - werden nach den Erkenntnissen, die bis jetzt schon gewonnen wurden, gegen SARS-CoV-2 keinen Erfolg haben. Zumindest keinen ausreichend guten.“

BELIEBT

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    Die erste Impfung wurde 1796 gegen Pocken hergestellt. Seitdem forschen Wissenschaftler an Impfstoffen gegen andere Infektionskrankheiten.
    Foto von National Cancer Institute/Unsplash.com

    Zeitintensive Herstellung

    Hinzu kommt, dass, auch wenn sich die Produktionsprozesse erheblich weiterentwickelt haben, die Herstellung aktivierender Impfstoffe nach wie vor sehr zeitintensiv ist. Für virale Impfstoffe, also auch für SARS-CoV-2, ist die Herstellung wesentlich komplexer, da sich Viren ausschließlich in Eukaryoten vermehren. Eukaryotische Zellsysteme sind die Grundbausteine von Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie besitzen einen Zellkern mit der enthaltenen DNA und verschiedene gleichartige zellulare Reaktionsräume, die Kompartimente, durch die verschiedene Stoffwechselreaktionen möglich werden. Als Wirtssysteme zur Anzucht der Erreger werden deshalb menschliche oder tierische Zellkultursysteme genutzt. In wenigen Fällen, wie bei Impfstoffen gegen Influenza, auch in embyonierten Hühnereiern.

    Zeit, die man in der aktuellen Corona-Pandemie, wie auch bei zukünftigen akuten Epidemien durch veränderte Viren, nicht hat, wie die Vorerfahrungen und Vorentwicklungen bei den MERS-Corona-Impfstoffen und dem  ersten SARS Ausbruch zeigen, erklärt Professor Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in dem Podcast „ÄrzteTag“ der Ärzte Zeitung: „Wir haben gelernt, dass es keinen Zweck hat, konventionelle Impfstoffkonzepte nach vorne zu bringen. Vor allem ist wirklich überhaupt keine Zeit aktivierende Lebendimpfstoffe zu entwickeln. Hier sind die neuen Impfstoffplattformen basierend auf RNA/DNA und Vektor die Mittel der Wahl, mit denen jetzt international unterschiedliche Projekte vorangetrieben werden.“ Das Paul-Ehrlich Institut ist als deutsches Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel auch zuständig für die Zulassung von Vakzinen, und steht den entwickelnden Firmen aktuell beratend zur Seite, sagt der Virologe Professor Dr. Eberhard Hildt: „Weil wir selber Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Impfstoffen gegen neuartige Erreger durchführen, bringen wir viel Expertise mit. Wir arbeiten an sogenannten Plattform-Technologien – einer Art Baukasten: Sie haben eine Grundstruktur, auf der die jeweiligen Antigene eines neuen Erregers fixiert werden. Dadurch kann man flexibel und schnell auf neuartige Erreger und damit verbundenen Herausforderungen reagieren“. Damit bringt das PEI hohe Kompetenzen in etablierten wie neuen Impfstoffkonzepten zur Entwicklung ein. Daneben ist die wissenschaftliche Beratung der Unternehmen ein wichtiges Element, wenn diese klinische Prüfungen planen.

    Etablierte Verfahren: Passive Immunisierung

    Für einen Pandemie-Ausbruch wie mit dem lebensbedrohlichen Erreger SARS-CoV-2 werden Impfstoffe schnell und auch in großer Menge gebraucht. Bei einigen Krankheiten lässt sich mit traditionellen, passiv wirkenden Impfstoffen ein schneller Schutz realisieren. Bei der passiven Immunisierung muss der Körper nicht erst selbst Antikörper bilden. Stattdessen werden Konzentrate fremder Antikörper (Hyperimmunplasma) oder antikörperhaltiges Plasma (Rekonvaleszentenplasma) von wieder genesenen, immunen Patienten injiziert. Die Antikörper können Erkrankte vor einem schweren Verlauf bewahren. Das läuft wie bei einer Art Blutspende: Die im Labor biologisch weiterverarbeiteten  Antikörper werden im präparierten Plasma gesundeter Patienten angereichert und dann kranken Patienten gespritzt. Eine prüfenswerte Option für den neuartigen Corona-Virus, auch wenn die Gewinnung der Plasmen mengenmäßig begrenzt ist, da nur Genesene als Spender in Frage kommen. Weshalb man in den letzten Jahren bereits an der Gewinnung von Tierseren geforscht hat. Erste Studien mit Covid-19-infizierten Affen haben gezeigt, dass durch genügend gebildete Antikörper eine neue Infektion verhindert werden kann. Zumindest für die Dauer der Pandemie, vielleicht auch darüber hinaus, wäre man immun. Hier gehen die Meinungen der Experten aber noch sehr auseinander.

    Impfstoffe, neu gedacht

    Bei einer verbesserten Methode wird für die Produktion nicht das ganze Serum verwendet, sondern nur der monoklonale Antikörper. Diese Proteine erfüllen eine sehr wichtige Effektorfunktion im Immunsystem, sie sind also wesentlich für die Immunreaktion. Man selektiert einen neutralisierend aktiven Antiköper aus der natürlichen Antikörpermischung und klont ihn in einer Zelllinie. Bei Laborversuchen wurde nachgewiesen, dass diese neutralisierenden Antikörper den SARS-CoV-2-Virus stoppen. Diese zum Spike-Protein passenden, biotechnisch hergestellten, genetisch identischen Antikörper werden in hoher Konzentration in den Muskel gespritzt. So hat der Patient genug dieser Antikörper im Blut, die vom Serum in die Schleimhäute wandern, dass der Virus gestoppt werden kann. Doch auch der Prozess vom  gesunden Patienten zum biotechnisch hergestellten Antikörper ist aufwändig und braucht trotz modernster Verfahren mehrere Monate. Im Vergleich zu den Jahren, die eine klassische Impfstoffentwicklung dauern kann, trotzdem ein kurzer Zeitraum.

    Modernste Technik: Impfstoffplattformen

    Neutralisierende Antikörper binden sich meistens an die Oberflächenproteine der Krankheitserreger, jene Proteine mit denen der Virus in die Zellenoberfläche andockt um dann in sie einzudringen. Dort hemmen sie ihre Funktion. Im Fall von SARS-CoV-2  ist es den Forschern gelungen, den entscheidenden Teil des Corona-Oberflächenproteins, das sogenannte Spike-Protein, zu entschlüsseln.

    Die zukünftigen Impfstoffe sollen genetische Informationen zur Bildung des Spike-Proteins enthalten. Als Informations-Taxi wird mRNA genutzt.
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    Mit dieser Information könnten Forscher, die auf neue Technologien setzen, den zukünftigen Impfstoff entwickeln. Da für die klassischen Impfmethoden im Fall von SARS-CoV-2 kaum Zeit ist, setzt man „stattdessen auf so genannte Impfstoffplattformen. Dabei arbeitet man auf Basis von Erbmaterial, der RNA bzw. DNA oder vektorbasiert. So wird gezielt das Erbmaterial relevanter Viruseiweiße verimpft“, so das Paul-Ehrlich-Institut. Die modifizierte, ungefährliche Erbinformation des Spike-Proteins wird bei der intramuskulären Impfung über die Transfersysteme in die menschliche Zellen übertragen. Die Zellen übersetzen die Erbinformation und bilden das modifizierte, ungefährliche Spike-Protein nach. Das Immunsystem reagiert mit einer humoralen Immunantwort, also im Wesentlichen mit schützenden, neutralisierenden Antikörpern, sowie mit einer zellulären Immunantwort (T-Zellen/Killer-Zellen), was für die Immunisierung sorgt.

    Vektorviren gegen die Infektion

    Bei einigen Impfstoff-Projekten zu Covid-19 werden Transportvehikel in Form von Vektorviren eingesetzt, um eine Immunreaktion auszulösen. Vektorviren sind bekannte, harmlose Viren, zum Beispiel das modifizierte Vaccinia Ankara-Virus (MVA) oder Masernimpfviren, die gentechnisch verändert werden, indem man mehrere Oberflächenproteine durch SARS-CoV-2-Proteine austauscht. Nach der Injektion der gentechnisch veränderten Lebendimpfstoffe denkt das Immunsystem, es gäbe eine Covid-19 Infektion und baut einen Immunschutz auf, der eine echte Infektion abwehren kann. Beispielsweise baut der erste zugelassene Vektorimpfstoff gegen Ebola auf solch einem Vektorvirus auf. Beispielsweise forscht das Universitätsklinikum Tübingen an einem Vektorvirus-Impfstoff gegen Covid-19, der in Form von Nasenspray verabreicht werden soll. Man rechnet ihr aber mit einer Entwicklung- und Zulassungszeit von mindestens vier Jahren.

    Impfen mit Genen: mRNA-Moleküle als Informationsträger

    Ein anderes Transportvehikel und Verfahren, dass aktuell am erfolgversprechendsten ist und von den Firmen BioNTec/Pfizer und Moderna, sowie von CureVac und weiteren Unternehmen zur Vakzinentwicklung gegen Covid-19 anwendet wird, ist genbasiert. Die Impfstoffe enthalten genetische Informationen des Virus zur Bildung des Spike-Proteins, die per mRNA (Messenger-RNA) und mit Hilfe von Transfektionsreagenzien in die Zellen geschleust werden. Die Zellen stellen auf Basis der Genbausteine die Proteine her, auf die das Immunsystem mit einer Immunantwort reagiert. Die Forschung zum Einsatz von RNA in Impfstoffen ist noch relativ jung. Bisherige Erkenntnisse belegen einige Vorteile der mRNA-Impfstoffe: Sie sind sicher, da es keine infektiösen Impfstoffe sind. Außerdem werden die mDNA-Moleküle durch gewöhnliche zelluläre Funktionen wieder abgebaut. Solche genbasierten Impfstoffe können schnell, günstig, in großen Mengen und sogar unter Bedingungen der Good Manufacturing Prac­tice (GMP) produziert werden.

    mRNA-Technologie bei CureVac

    Mit 20-jähriger Erfahrung nutzt das Tübinger Unternehmen CureVac das vielseitige mRNA-Molekül auch bei der Impfstoffsuche gegen Covid-19 als Informationsträger, um den menschlichen Körper zur Produktion der entsprechend kodierten Spike-Glycoproteine der Coronaviren anzuleiten. „Wir befinden uns derzeit in der präklinischen Entwicklung und selektieren unter mehreren Impfstoffkandidaten den bzw. die am besten geeigneten“, erklärt CureVac im Interview zum Stand der Forschung im Mai 2020. „Im Gegensatz zur herkömmlichen Impfstoffentwicklung basiert unser Vorgehen auf der mRNA-Technologie. Wir arbeiten dabei nicht mit dem Virus selbst, sondern mit dessen genetischer Sequenz. Die codieren wir so, dass der Körper die Information erhält, seinen eigenen Impfstoff in Form von Antikörpern zu produzieren. Aufgrund unserer langen Erfahrung in der mRNA-Technologie sind wir zuversichtlich, hier weitere deutliche Fortschritte zu sehen. Wir haben vor einigen Jahren bereits an MERS-Coronaviren gearbeitet und dabei wertvolle Informationen gewonnen, die wir nun bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das aktuelle Coronavirus nutzen können. Wir haben Erfahrung mit dem Stamm, wie auch mit den jeweiligen Ausbildungen des Virus.“ 

    Die Zulassung des Impfstoffs wird über die Europäische Arzneimittelagentur EMA erfolgen.
    Foto von National Cancer Institute/Unsplash.com

    Zulassungsverfahren Impfstoffe

    Auf dem Weg zur Zulassung wird jedes Impfstoffprojekt komplex geprüft und muss sechs Stufen durchlaufen: Nachdem der Virus genau analysiert wurde (1), wird der Impfstoff designt (2). In präklinischen Prüfungen an Mäusen und wenn nötig Affen (nicht zwingend) werden die Wirksamkeit und Verträglichkeit erprobt. Hier gibt es erste Annährungen zur Dosis, die aber erst genau in der klinischen Prüfung am Menschen bestimmt wird. „In Fällen, wie jetzt bei SARS-CoV-2, erlauben die Regularien es, gegebenenfalls in den Tierversuchen nur die Immunogenität zu überprüfen, also dass tatsächlich spezifische Antikörper gebildet werden. Die echte Schutzwirkung wird nicht zwingend gefordert“, so das Paul-Ehrlich-Institut (3). Dann wird mit der klinischen Erprobung an Freiwilligen in drei Phasen begonnen (4). Sind auch die Phasen der klinischen Prüfung (4) erfolgreich abgeschlossen, kann das Zulassungsverfahren eingeleitet werden. Bei  modernen Impfstoffen wie gegen SARS-CoV-2 nicht national, sondern in einem EU-Verfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA. Dabei arbeitet das PEI aktiv mit – so wie die Gesundheitsbehörden aller EU/EWR-Mitgliedsstaaten. Die Zulassung erteilt aber die EU-Kommission (5). Erst dann kann der Impfstoff in die Massenproduktion (6) gehen.

    Beschleunigte Zulassung

    Diese fixen Regularien sind in begründeten Fällen und unter festgelegten Bedingungen anpassbar, um Patienten einen schnellen Zugang zu neuen Therapien zu ermöglichen. Diese Maßnahmen sind aber eher administrativ und betreffen eine beschleunigte Bearbeitung, interne Priorisierung, abschnittsweise Einreichung der Unterlagen für die Genehmigung klinischer Prüfungen oder eine Vorprüfung, damit der schlussendliche Genehmigungsprozess schneller erfolgen kann. Dabei wird seitens des Paul-Ehrlich-Instituts immer die übliche Sorgfalt bewahrt. Das bestätigt auch Thorsten Schüller von CureVac: „Grundsätzlich gibt es einen regulatorisch vorgeschriebenen Weg bei der Entwicklung von Arzneimitteln und damit auch von Impfstoffen, der einzuhalten ist. Wir streben an, im Frühsommer 2020 mit einem Impfstoffkandidaten in die klinische Testphase 1 zu gehen.“ Aktuell befindet sich der Impfstoff des Unternehmens in Phase 2a, man will aber noch im laufenden Jahr die dritte Testphase umsetzen. (Stand: 1.12.2020). Es wird mit Hochdruck geforscht. Denn: „Wir wollen Menschen weltweit helfen – dafür bringen sich 470 Beschäftigte tagtäglich mit ganzer Kraft ein“, so der CureVac-Sprecher.

    Rolling Review: Beschleunigung ohne Abstriche

    Vor ein paar Jahren hätte man für die Entwicklung von Impfstoffen mindestens zehn Jahre angesetzt. Die Entwicklung und Zulassung des nun in Großbritannien zugelassenen Vakzins von BioNTech und Pfizer hat zehn Monate gedauert. Für die größte Beschleunigung sorgten nicht nur die Behörden, sondern moderne Technologien, Methoden und Vorkenntnisse.

    Aktuell laufen laut WHO 212 Forschungsprojekten für einen Corona-Impfstoff (Aufstellung 12.11.2020), mindestens 15 Projekte kommen noch dazu. Im laufenden Jahr sind zahlreiche Kooperationen entstanden, um möglichst schnell einen Impfstoff zu entwickeln und zulassen zu können. Laut dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa, Stand 30.11.2020) wird die Verträglichkeit von 22 Impfstoffen aktuell an Freiwilligen getestet (Phase 1). 14 Impfstoffe befinden sich in Phase 2 des Zulassungsverfahrens und testen Dosierung, Immunantwort sowie Verträglichkeit an Freiwilligen und einer Versuchsgruppe die lediglich Placebos erhält.

    Acht der forschenden Impfstoff-Projekte befinden sich bereits in Phase 3 ohne Rolling Review, 2 Unternehmen, darunter die deutsche BioNtech/Pfizer mit ihrem mRNA-basierten Impfstoff, haben die dritte Phase mit Rolling Review für Europa gestartet. Beim Rolling Review-Verfahren wird ein Teil der Zulassungsunterlagen vorgezogen geprüft. Dabei beginnt der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) mit der Sichtung und Bewertung eines Teils der Zulassungsunterlagen, wie beispielsweise die Ergebnisse der Tierstudien und der ersten beiden Testphasen. Ziel ist es, die Zulassung zu beschleunigen, wobei die Anforderungen an den Impfstoff unverändert hoch bleiben.

    Das US-amerikanische Unternehmen Moderna hatte am 30.11. die Zulassung ihres mRNA-basierten Impfstoffs bei der EU beantragt, nachdem die Studien der Phase 3 eine Wirksamkeit von 94,1 % im Bezug auf die Verhinderung einer Covid-19-Erkrankung und 100 % im Bezug auf die Verhinderung einer schweren Covid-19-Erkrankung ergeben haben. 

    BioNTech/Pfizer beantragte am 1.12. die Zulassung bei der EU-Komission. Die Testreihen für das ebenfalls mRNA-basierte Vakzine ergaben laut Unternehmen einen 95-prozentigen Schutz vor der Krankheit Covid-19 und das über alle Altersgruppen und praktisch ohne Nebenwirkungen.

    Die Zulassungsunterlagen werden aktuell von der EMA geprüft, bevor eine positive Zulassungsempfehlung seitens der EU-Kommission erfolgen kann. Innerhalb weniger Tage kann die EU-Kommission dann die europaweit gültige Zulassung für die Impfstoffe erteilen. 

    Am 11. Dezember wird es eine öffentliche Anhörung der EMA zu dem Zulassungsantrag der deutsch-amerikanischen Allianz BioNTech/Pfizer geben. Das Prüfungsergebnis wird dann bis zum 29. Dezember vorliegen.

    Finanzielle Unterstützung

    Die Impfstoffsuche wurde von Anfang an finanzkräftig von Regierungen oder der EU-Kommission unterstützt. Die internationale Impfstoff-Initiative CEPI (Coalition for Epidemic Preparedness Innovation) wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit zusätzlichen 140 Millionen Euro unterstützt. Laut dem BMBF werden zur Stärkung und Beschleunigung der Impfstoff-Entwicklung im Zuge eines Sonderprogramms bis zu 750 Millionen bereitgestellt. Ziel sei es, "bevorstehende Impfstoffstudien gleich mit einer größeren Probandenzahl zu ermöglichen, und Produktionskapazitäten auszubauen". Im Rahmen des Programms wurden die Unternehmen BioNTech, CureVac und IDT Biologika gefördert, die auf unterschiedliche Technologien setzen. Das BMBF ist eines der Gründungsmitglieder der CEPI-Impfstoffinitiative und fördert diese bereits seit 2017 mit insgesamt 90 Millionen Euro.Die Summen an bereitgestellten Geldern zeigt, wie hoch das Interesse an der Forschung ist. 

    Die Investitionen gelten auch der Zukunft. Beispielsweise hat CEPI dem deutschen Unternehmen CureVac weitere 34 Millionen US-Dollar für die Entwicklung des The RNA Printer™ zugesagt, eine innovative Plattform die in Zukunft schnell mRNA-Impfstoffkandidaten gegen bekannte Erreger wie das Lassa-Fieber, Gelbfieber und Tollwut produzieren, und eine rasche Reaktion auf neuartige und bisher unbekannte Erreger ermöglichen soll.

    Zusätzlich und unabhängig von CEPI werden Impfstoff-Projekte, teils in Zusammenarbeit mit und finanziert durch große Pharmakonzerne, Unternehmen oder Universitäten, durchgeführt.

    Impfstoffe der Zukunft

    Wer auch am Ende den passenden Impfstoffkandidaten findet, die gesammelten Forschungserkenntnisse kommen der Menschheit zu Gute: „Impfstoffentwicklung blickt natürlich immer auch nach vorne, auf kommende potenzielle Epidemien und Pandemien. Leider kann ein Impfstoff auf einen neuen Virus nicht im Vorhinein entwickelt werden. Erst wenn der Virus bekannt und analysiert ist, kann man in die konkrete Impfstoffentwicklung einsteigen“, weiß auch der CureVac-Sprecher.

    Die Mission, einen passenden Corona-Impfstoff zu finden ist noch nicht beendet. Doch genügend Geldmittel sind freigegeben, Wissenschaftler und Ärzte arbeiten fieberhaft an Impfstoffen oder Medikamenten, die eine therapeutische Medikation ermöglichen und die Zulassungsbehörden haben die Regularien im Rahmen ihrer Möglichkeiten angepasst. Eine Corona-Impfung gegen Anfang 2021 scheint in greifbare Nähe gerückt. Idealerweise gibt es mehrer wirksame und zugelassene Impfstoffe, die dann in großen Mengen produziert und weltweit verteilt werden. Einige Unternehmen, die selbst an einem Corona-Impfstoff arbeiten, haben bereits angeboten ihre Produktionsstätten zur Verfügung zu stellen. Zahlreiche Unternehmen, so wie zum Beispiel CureVac, haben ihren Impfstoff oder dessen Hauptkomponenten bereits während der ersten Testphasen in großen Mengen produziert, auch auf die Gefahr hin, dass sich die Wirksamkeit nicht bestätigen lässt.

     

    Aktualisiert am 2. Dezember 2020.

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