Lieber schwitzen

Wieso nassgeschwitzte Shirts und Schweißperlen auf der Stirn ihr Gutes haben, inwiefern Schweiß auch mit Größe zusammenhängt und ab wann Schwitzen Krankheitswert hat.

Von Barbara Buenaventura
Veröffentlicht am 12. Juli 2021, 10:55 MESZ
Pro Tag verlieren wir über zwei bis vier Millionen über den ganzen Körper verteilten Schweißdrüsen Flüssigkeit: Allein ...

Pro Tag verlieren wir über zwei bis vier Millionen über den ganzen Körper verteilten Schweißdrüsen Flüssigkeit: Allein während des Schlafs werden wir um bis zu einen halben Liter Flüssigkeit ärmer.

Foto von Greg Rosenke by Unsplash.com

Die einen mehr, die anderen weniger, die einen schneller, die anderen scheinbar nur in Ausnahmefällen - doch jeder Mensch schwitzt. Pro Tag verlieren wir über unsere zwei bis vier Millionen über den ganzen Körper verteilten Schweißdrüsen Flüssigkeit, die sich jedoch nicht immer in sichtbaren Schweißperlen äußert. Allein während des Schlafs werden wir um bis zu einen halben Liter Flüssigkeit ärmer. Bei sportlicher Aktivität ist es weit mehr: Auch bei leichter Bewegung kann über die Haut schon rund ein Liter Schweiß verdunsten, je nach Aktivität, Verfassung und Temperatur können es aber auch um die drei Liter sein. So unterschiedlich die Schweißproduktion, so unangenehm empfinden die meisten Menschen das Gefühl und die Folgen des Schwitzens: Zu sehr widersprechen Schweißperlen und nassgeschwitzte Shirts unserem Hygieneempfinden und dem Ideal der „Sommer-Frische“.

So lästig es uns auch ist: In den meisten Fällen handelt es sich beim Schwitzen um einen lebenswichtigen Schutzmechanismus unseres Körpers, der Temperatur reguliert und Gefahren bekämpft. Leidet man nicht gerade an Hyperhidrose, die sich vor allem durch starkes Schwitzen in den Achselhöhlen sowie an Händen und Füßen äußert, ist das Schwitzen zwar lästig, aber auch ein untrüglicher Hinweisgeber auf äußere oder innere „Brandherde“, die Aufmerksamkeit erfordern.

Schwitzen ist nicht gleich Schwitzen

Nicht jedes Schwitzen bedeutet das Gleiche – doch jede Form des Schwitzens hat eine Bedeutung: „Wir kennen drei Muster des Schwitzens. Jedes hat seinen Sinn - oder mal einen Sinn gehabt, der uns heute gar nicht mehr geläufig ist“, sagt Prof. Dr. Erhard Hoelzle, Experte der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) und Spezialist für Hyperhidrose. Die gängigste Form: das Schwitzen zur Temperaturregulierung, das sich bei allem Ärger über Schweißflecken und -perlen noch am ehesten verargumentieren lässt: Die Verdunstung des Schweißes auf der Haut wirkt wie ein natürliches Kühlsystem. Dem Körper wird Verdunstungswärme entzogen, als Folge kühlt die Haut ab. Ein wichtiger Einsatz des hitzegeplagten Körpers: „Mit dem thermoregulatorischen Schwitzen am Körperstamm lässt sich ein Hitzschlag verhindern“, sagt Prof. Hoelzle. „Der Mensch muss schwitzen, wenn er sich im warmen Umfeld befindet oder sich körperlich anstrengt.“

Viel unangenehmer ist vielen Menschen das sogenannte emotionale Schwitzen, auch als Angst- oder Stressschweiß bekannt: In stressigen Situationen schüttet der Körper unter anderem Adrenalin aus – je größer dessen Menge, umso höher ist die Herzfrequenz und schneller die Atmung. Die Nerven, die mit den Schweißdrüsen verbunden sind, werden aktiviert und produzieren Schweiß, vorrangig an Handflächen und Fußsohlen, zum Teil auch in der Achselhöhle. Durch das Adrenalin ziehen sich zudem die Adern zusammen – die Haut wird schlechter durchblutet und kühlt ab. Auch der Schweiß, der jetzt produziert wird, kann sich kühl anfühlen – weshalb man ihn auch den kalten Angstschweiß nennt.

Das dritte Muster des Schwitzens betrifft vor allem die Achselhöhle, in der sich zwei Arten von Schweißdrüsen befinden: Neben den ekkrinen Schweißdrüsen, die ab der Geburt über den ganzen Körper verteilt der Temperaturregulation dienen, werden hier ab der Pubertät auch die apokrinen Schweißdrüsen gebildet, die außer in der Achsel auch in Genitalien, Brustwarzen und rund um den Nabel aktiv sind. Der Körper, der sich in der Pubertät durch die Veränderungen im Hormonhaushalt konstant in Anspannung befindet, produziert dank Adrenalin eine Extraportion Schweiß: „Die apokrinen Drüsen geben ein Sekret ab, das per se geruchlos ist und erst an der Oberfläche der Haut mit Bakterien in Verbindung kommt, die dann wiederum geruchsaktive Substanzen bilden“, erklärt Hoelzle. „Im Moment einer Erregung oder Aufregung wird – gemeinsam mit dem feuchten Schwitzen der ekkrinen Drüsen – eine Duftwolke ausgestoßen.“

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    Schwitzen ist eine Glanzleistung von Gehirn und Körper

    Wie komplex und feinjustiert Gehirn und Körper vorgehen, wird in der Vorarbeit zum thermoregulatorischen Schwitzen deutlich: Sobald Außentemperatur oder Bewegungsleistung steigen, senden die Nervenzellen ein Signal ans Gehirn, dieses aktiviert umgehend die Schweißproduktion. Die investierte Arbeitsleistung ist dabei auch von der individuellen Verfassung des Menschen abhängig: Während trainierte Menschen etwa beim Treppensteigen gar nicht erst anfangen zu schwitzen, wird die „Klimaanlage“ bei untrainierten Menschen schon früh angeworfen. Dabei handelt es sich um filigranste Arbeit eines Millionenheers: Zwischen zwei und vier Millionen Schweißdrüsen können täglich mehrere Liter Schweiß produzieren. Die meisten dieser ekkrinen Schweißdrüsen befinden sich auf der Stirn, an den Händen und Füßen. Nicht alle dieser zum Beispiel 600 Schweißdrüsen pro cm² an der Fußsohle und 500 Schweißdrüsen pro cm² an der Handfläche dienen ausschließlich der Temperaturregulierung: „Die allgemeine Meinung ist, dass das Schwitzen die Reibung an Hand- und Fußflächen optimiert“, sagt Dermatologe Hoelzle. Dabei ist jedoch das Maß ausschlaggebend: „Der Schwerarbeiter, der die Schaufel in die Hand nimmt, spuckt in die Hände, damit sie ihm nicht ausrutscht. Der Tennisspieler braucht ein Handtuch für seine nassgeschwitzten Hände, damit ihm der Schläger nicht entgleitet. Zu viel und zu wenig ist falsch, das Schwitzen muss genau reguliert sein.“

    Wie viel man schwitzt, ist auch von der Größe abhängig

    Dass Männer mehr schwitzen als Frauen, ist übrigens ein Mythos. Vielmehr hängt das Ausmaß des Schwitzens neben der individuellen Verfassung des Menschen auch von seiner Körpergröße ab. Dabei spielt die Erhöhung der Hautdurchblutung einer Rolle, mit der der Körper neben dem Ankurbeln der Schweißproduktion auf Hitze reagieren kann. Die Ergebnisse einer Studie der australischen Universität von Wollongong, die 2017 im Fachmagazin Experimental Physiology erschienen, zeigten, dass kleinere Männer und Frauen mehr auf eine erhöhte Durchblutung angewiesen waren, um sich abzukühlen, während größere Männer und Frauen mehr schwitzten. Das Geschlecht war dabei nicht relevant. „Wir wissen, dass alle Objekte über ihre Oberflächen Wärme verlieren“, wird der Co-Autor der Studie, Nigel A.S. Taylor, auf der Website der Universität Wollongong zitiert. „Wenn man eine Metallplatte und eine Kugel vergleicht, beide mit der gleichen Masse und beide auf die gleiche Temperatur erhitzt, kühlt die Platte an kühler Luft viel schneller ab, weil sie eine größere Oberfläche hat.“

    Nicht zuletzt beeinflusst auch das Alter das Ausmaß des Schwitzens: Mit zunehmendem Alter nimmt die Aktivität der Schweißdrüsen ab, der Mensch schwitzt weniger. Die natürliche Hitzeregulation ist eingeschränkt, Senioren müssen deshalb mehr Flüssigkeit von außen zuführen, um Überhitzung und Dehydrierung zu vermeiden.

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    Warum wir in Zukunft lieber schwitzen sollten

    Neben der Tatsache, dass wir dank aktiver Schweißdrüsen eine natürliche Klimaanlage und einen hochsensiblen Stress-Anzeiger in uns tragen, gibt es noch weitere Vorteile des Schwitzens, die manchmal sogar sichtbar werden können. Verstopfte Poren öffnen sich, körpereigene Lipide, die im Schweiß enthalten sind, machen die Haut geschmeidig. Ihr besonders lebendiges Aussehen bekommt die Haut durch die das Schwitzen begleitende stärkere Durchblutung.

    Die Schweißdrüsen in Achselhöhlen und Genitalien bedienen auch einen evolutionären Nutzen: Der "apokrine Schweiß" ist mit Duftstoffen (Pheromonen) angereichert, die potentiellen Partnern Informationen über unsere Paarungsbereitschaft signalisieren können. Die Substanzen, die sich erst an der Hautoberfläche zu einem individuellen Geruch formieren, können vom Gegenüber als attraktiv oder nicht attraktiv empfunden werden: „Studien zufolge finden wir tendenziell einen Geruch attraktiver, der von einem genetisch unterschiedlichen Menschen kommt“, sagt Dermatologe Hoelzle. „Das hat evolutionär den Vorteil, dass die Vielfalt gesteuert und das Risiko von Erbkrankheiten minimiert wird.“

    Eine evolutionäre Erklärung gibt es auch für den Angstschweiß, dessen Produktion auch als Vorbereitung auf Kampf oder Flucht interpretiert wird: Da das Kämpfen oder Weglaufen viel Kraft erfordert, kühlt sich der Körper vorher vorsorglich ab und bereitet den Kampfeinsatz bestmöglich vor. Der Schweiß erfüllt hier eine zusätzliche Abwehrfunktion, denn ein nasser oder feuchter Körper lässt sich schlechter greifen und festhalten. Und: „Der Mensch, der sich damals vor allem barfuß bewegt hat, brauchte im Kampf und auf der Flucht eine gute Reibung an der Fußsohle“, sagt Prof. Dr. Hoelzle. „Wenn der Körper sich in einer Abwehrhaltung befindet oder schnell bewegen muss, wird Adrenalin freigesetzt, das wiederum das Schwitzen an Handflächen und der Fußsohle auslöst. Das Resultat ist eine bessere Reibung und ein besserer Halt.“

    Patienten von Hyperhidrose oder anderen Krankheiten, die übermäßiges Schwitzen auslösen, ist mit den vielen Vorteilen des Schwitzens sicherlich nicht geholfen: „Bei Hyperhidrose ist vor allem das emotionale Schwitzen überaktiv, das feuchte Schwitzen an Handflächen und Fußsohlen und in den Achselhöhlen. Das kann überschwappen und Muster annehmen wie beim thermoregulatorischen Schwitzen, sodass – emotional gesteuert – auch Brust, Rücken, Kopf, Stirn betroffen sind. Physiologisch hat dieses Schwitzen überhaupt keinen Nutzen mehr“, sagt Dermatologe Hoelzle. In vielen dieser Fälle hilft nur der Besuch beim Spezialisten, die mit unterschiedlichen Methoden gegen das lokale Schwitzen der vererbbaren und teils anfallsartigen Hyperhidrose angehen können – je nach Ausmaß etwa durch die Injektion von Botulinumtoxinen und Operationen, aber auch durch äußerliche und physikalische Anwendungen, die schon nach kurzer Zeit erste Erfolge zeigen können. „Hyperhidrose ist sehr störend und kann bis zur Isolation führen. Doch wenn das pathologische Schwitzen erkannt wird, kann wirklich etwas dagegen unternommen werden“, sagt Erhard Hoelzle.

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