Erste Entdeckung von isoliert wanderndem Schwarzen Loch

Dank Gravitationslinseneffekt sichtbar: Astronomen haben mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops vermutlich erstmals ein frei im All wanderndes Schwarzes Loch entdeckt.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 16. Juni 2022, 10:02 MESZ
Illustration einer Nahaufnahme eines schwarzen Lochs, das durch unsere Milchstraßengalaxie driftet.

Illustration der Nahansicht eines wandernden Schwarzen Lochs in unserer Milchstraße. Forschende der University of California und des Space Telescope Science Institute konnten nun mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops zum ersten Mal den erstaunlichen Nachweis eines solchen isoliert wandernden Schwarzen Lochs liefern.

Foto von FECYT, IAC

Große Masse konzentriert auf extrem kleinem Volumen – und starke Anziehungskraft: Was einmal von einem Schwarzen Loch verschluckt wurde, gelangt nie wieder nach draußen. Die mysteriösen Vielfraße des Alls wurden in den letzten Jahrzehnten eindringlich erforscht – mit Erfolg. Erst kürzlich, im Mai 2022, erreichten Astronomen einen neuen Meilenstein: Sie nahmen das erste Bild eines Schwarzen Lochs im Herzen unserer Milchstraße auf.

Einen Monat später gelang nun zwei Forschungsteams aus den USA die nächste bahnbrechende Entdeckung: Sie konnten unabhängig voneinander ein isoliert im All wanderndes Schwarzes Loch beobachten. Es ist das erste Mal überhaupt, dass Forschende einen Beweis für ein Objekt dieser Art erbringen konnten. 

Unsichtbare stellare Objekte

Seit langer Zeit wissen Astronomen um die Existenz von Schwarzen Löchern. Diese entstehen, wenn ein massereicher Stern in einer Supernova explodiert und sein Kern kollabiert. Da dieser Vorgang nicht selten vonstattengeht, müssten allein in unserer Milchstraße Millionen dieser stellaren Schwarzen Löcher existieren. Warum wurden bisher also relativ wenige von ihnen – und vor allem noch kein allein wanderndes – nachgewiesen? 

Mithilfe des extrem präzisen Hubble-Weltraumteleskops erforschen Astronomen bereits seit Jahrzehnten unsere Galaxie. Auch Schwarze Löcher sind Gegenstand der Untersuchungen. Diese Aufnahmen des Teleskops zeigen, wie der Hintergrundstern (Pfeil) durch das unsichtbar an ihm vorbeiwandernde Schwarze Loch kurzzeitig größer und heller wurde.

Foto von NASA, ESA, STScI / Kailash Sahu / Joseph DePasquale

Der Grund dafür ist, dass Schwarze Löcher im Wesentlichen vor dem Hintergrund des Weltraums unsichtbar sind, da sie kein Licht aussenden und sich nur durch Interaktionen mit einem Begleitstern oder durch die Kollisionen mit anderen Objekten bemerkbar machen. Darum ist es besonders schwer, ein isoliertes stellares Schwarzes Loch ausfindig zu machen: Es tritt mit keinem weiteren Objekt in Interaktion. Der erstaunliche und erstmalige Nachweis eines dieser isolierten Schwarzen Löcher wurde nun von den beiden unabhängig voneinander arbeitenden Forschungsteams von der University of California in Berkeley und dem Space Telescope Science Institute in Baltimore in den Zeitschriften The Astrophysical Journal und The Astrophysical Journal Letters veröffentlicht. 

Gravitationslinseneffekt verrät Schwarze Löcher 

Anhand von mehrjährigen Analysen mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops konnten die Forschenden das frei im All wandernde Schwarze Loch ausfindig machen. Dabei kamen ihnen Microlensing-Ereignisse zugute, durch die massereiche Objekte im Weltraum ausgemacht werden können. Also der sogenannte Gravitationslinseneffekt, bei dem ein beliebiges massereiches Vordergrundobjekt – in diesem Fall das Schwarze Loch – durch seine Schwerkraft dafür sorgt, dass ein Stern hinter ihm – der Hintergrundstern – verzerrt und sein Licht verstärkt wird. 

Das Forschungsteam rund um Erstautor Kailash Sahu vom Space Telescope Science Institute konnte durch diesen Effekt ermitteln, dass das Vordergrundobjekt, das sie beobachteten, 5.153 Lichtjahre entfernt sein muss. Um herauszufinden, ob es sich dabei tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt, nahmen die Forschenden jahrelang astronomische Messungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop vor. Dabei stellten sie die genaue Verschiebung des Hintergrundsterns durch das Vordergrundobjekt und die Masse des Objekts fest. 

Schwarzes Loch oder Neutronenstern? 

Bei den Ergebnissen sind sich die Forschungsteams bislang allerdings uneinig: Sahu und sein Team sprechen bei der Schwere des Objekts von 7,1 Sonnenmassen und damit ohne Zweifel von einem Schwarzen Loch, Casey Lam und ihr Team von der University of California kommen dagegen lediglich auf höchstens 4,4 Sonnenmassen. Aus diesem Grund könnten sie noch nicht sicher sagen, ob es sich um ein Schwarzes Loch handelt – oder um einen Neutronenstern. Es sei nichtsdestotrotz das erste stellare Objekt, welches mithilfe der Gravitationslinsen-Methode aufgespürt werden konnte, erklärt Jessica Lu, Astronomin aus dem Forschungsteam der University of California. 

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    Auch bei der Geschwindigkeit des Objekts, das den Doppelnamen MOA-2011-BLG-191 und OGLE-2011-BLG-0462 trägt, herrscht bislang noch Uneinigkeit: Sahu und sein Team kommen auf 45 Kilometer pro Stunde, während Lams Forschungsteam 30 Kilometer pro Stunde errechnete. Wie diese Abweichungen zustande gekommen sein können, soll im nächsten Schritt untersucht werden. 

    Aber egal ob Neutronenstern oder Schwarzes Loch – klar ist laut Lam folgendes: „Was immer es ist, mit diesem Objekt haben wir das erste dunkle Sternenrelikt entdeckt, das unbegleitet durch die Galaxie wandert.“ Damit können die Forschenden endlich die jahrelang existierende Theorie bestätigen, dass sich noch mehr frei umherwandernde Schwarzer Löcher in der Milchstraße befinden müssen. „Mit dem Microlensing haben wir ein neues Fenster zu diesen dunklen Objekten geöffnet, die auf andere Weise nicht aufzuspüren sind“, sagt Lu. In Zukunft könnte es also einfacher sein, noch mehr dieser ungewöhnlichen Objekte zu entdecken – und damit Stück für Stück die Mysterien der Schwarzen Löcher zu lüften.

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