Klein, aber fein: Dinosaurier in Deutschland

Giganten der Urzeit sucht man in Deutschland vergebens. Doch die deutschen Dinosaurier und ihre Fossilien sind für die Paläontologie trotzdem von großer Bedeutung.

Von Simone Kapp
Veröffentlicht am 27. Juli 2022, 13:13 MESZ
Fossiler Kopf eines Sciurumimus-Jungtiers

Die Dinosaurier in Deutschland waren körperlich eher klein, ihre Fossilien sind jedoch von enormer Bedeutung.

Foto von "Ghedoghedo - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Seit Jahrhunderten finden Wissenschaftler und Laien gleichermaßen weltweit die unterschiedlichsten Fossilien. Zu den bekanntesten Dinosauriern gehören der Tyrannosaurus Rex und der Brachiosaurus, die unter anderem mit ihrer enormen Größe nicht nur bei Paläontologen Aufsehen erregen. Im Vergleich zu ihren großen Verwandten sind die in Deutschland gefundenen Dinosaurier-Fossilien klein – in wissenschaftlicher Hinsicht sind sie jedoch von enormer Bedeutung.

Archaeopteryx : Der Urvogel und seine Vorfahren

Allen voran ist der Urvogel Archaeopteryx zu nennen. Er gilt als Übergangsform zwischen Dinosauriern, die sich auf zwei Beinen fortbewegten – sogenannte Theropoda – und Vögeln und lebte in der späten Jurazeit. Nach der Entdeckung des ersten fossilen Skeletts 1855, dem sogenannten „Haarlemer Exemplar“, gilt der 1860 gefundene und in der Folge von Hermann von Meyer beschriebene Abdruck einer Konturfeder als erster Fund eines Archaeopteryx-Fossils. Eines der bedeutendsten Fossilien ist das 1861 gefundene sogenannte „Londoner Exemplar“, bei dem es sich um das erste vollständig erhaltene Skelett eines Archaeopteryx handelt.

Das "Londoner Exemplar" ist eines der bedeutendsten Archaeopteryx-Fossilien.

Foto von "LadyofHats - took the foto on the Muséum national d’Histoire naturelle, Paris, CC BY-SA 3.0

„Der erste Fund des Archaeopteryx war damals wegweisend für die Evolutionsforschung. Auf diesen Fund gründet sich eine ganze Fachrichtung“, bekräftigt PD Dr. Christina Ifrim, Leiterin des Jura-Museums Eichstätt, im Gespräch mit NATIONAL GEOGRAPHIC. „Archaeopteryx ist das wichtigste Fossil überhaupt.“

Schon vor dem „Urvogel“ gab es in Deutschland und Europa Fossilienfunde, die zum Teil als möglicher Ursprung diverser Drachen-Mythologien in Frage kommen. Bereits 1834 entdeckte Johann Friedrich Engelhardt bei Nürnberg mit Plateosaurus engelhardti den ersten Dinosaurier in Deutschland. Seitdem fand man mehr als hundert weitere fossile Skelette. Der Saurier, der auch den Beinamen „Schwäbischer Lindwurm“ trägt, lebte vor etwa 210 Millionen Jahren und war vermutlich der am weitesten verbreitete Saurier seiner Zeit.

Die Sintflut in der Paläontologie

Mit der Entdeckung der ersten Fossilien versuchten die Menschen, die ungewöhnlichen Skelette bestmöglich nach dem damaligen Wissenstand zu erklären. Während im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Drachengeschichten eine plausible Erklärung lieferten, kamen die Wissenschaftler ab dem 18. Jahrhundert jedoch an ihre Grenzen.

Bereits 1784 wurde das Fossil des Pterodactylus elegans, eines Flugsauriers, beschrieben. Das sogenannte Collini-Exemplar warf Fragen auf, denn niemand wusste, um was für ein Tier es sich handelte und wie alt es tatsächlich war. Erst der Naturforscher Georges Cuvier erkannte, dass es sich bei dem Fund um ein Tier handeln musste, das es früher gegeben hatte – aber das es heute nicht mehr gab.

BELIEBT

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    Das 1784 gefundene Fossil eines Pterodactylus warf Fragen auf.

    Foto von "Steven U. Vidovic, David M. Martill, Matthew Martyniuk, CC BY-SA 3.0

    Diese Erklärung, die uns heute offensichtlich vorkommen mag, stellte die Forscher des 18. Jahrhunderts vor neue Rätsel: Bis dato war die Schöpfungsgeschichte die Basis für alle naturwissenschaftlichen Erklärungen gewesen. Auch Sedimente und Gesteinsschichten wurden mit einem biblischen Ansatz erklärt und als Beweis für die Sintflut gewertet.

    Doch die Fossilienfunde ließen sich nicht einfach in diese Theorie einfügen, erzählt PD Dr. Ifrim: „Es kam die Überlegung auf, ob Gott mit der Sintflut unvollkommene Geschöpfe entsorgt hat. Diese Erklärung hätte bedeutet, dass Gottes Schöpfung nicht, wie in der Bibel beschrieben, vollkommen war.“ Diese philosophische Debatte entbrannte in ganz Europa und war ein Katalysator für die Entwicklung von Fachrichtungen wie der Paläontologie und der Sedimentologie.

    So setzte der Fund des Pterodactylus für die folgenden hundert Jahre eine intensive Suche nach weiteren Fossilien und nach Antworten in Gang. Schnell wurde klar, dass die Fossilien viel älter waren und sich über einen viel größeren Zeitraum entwickelt hatten als ursprünglich angenommen. Zudem stellte man fest, dass bestimmte Fossilien nur in bestimmten Gesteinsschichten gefunden wurden. Mit der Zeit kristallisierte sich die Erkenntnis heraus, dass diese große Spanne an Zeit und Evolution nicht mit einer einzigen Sintflut zu erklären war.

    Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete auch Mary Anning, deren Funde wichtige Belege für das Aussterben von Tierarten lieferten. Sie lebte in dem Dorf Lyme Regis an der englischen Südküste und entdeckte in den Gesteinsschichten der Küstenklippen verschiedene bedeutende Fossilien, darunter 1823 das Skelett eines Plesiosauriers. Obwohl Anning sich das Wissen um Geologie und Fossilien autodidaktisch angeeignet und nie eine Universität besucht hatte, waren ihre Funde wegweisend für die Paläontologie: Sie trugen dazu bei, das Verständnis über die Lebewesen in früheren Erdzeitaltern zu vergrößern.

    Der erste handfeste Beweis

    Aus den Diskussionen über die Herkunft und das Wesen der Pterodactylus-Fossilien entwickelte sich auch der Evolutionsgedanke.1859 erschien Charles Darwins „Der Urspung der Arten“ und sorgte unter den Gelehrten Europas für Streit zwischen Gegnern und Befürwortern. In die hitzige Debatte schlug der Fund des Archaeopteryx wie eine Bombe ein: „Dieser Fund war der erste Beweis für Darwins Evolutionstheorie“, so die Leiterin des Jura-Museums.

    Daneben hatte der Fund des Archaeopteryx einen weiteren wegweisenden Effekt: „Archaeopteryx ist das Fossil, das uns aufgrund seiner ungewöhnlichen Merkmale dazu gebracht hat, auch bei anderen Funden genauer hinzuschauen“, so die Paläontologin. Inzwischen wurden elf weitere Archaeopteryx-Fossilien gefunden. Dass der Archaeopteryx nicht der einzige gefiederte Dinosaurier war, bestätigen Funde der letzten Jahre: Auch der 1998 bei Schamhaupten gefundene Juravenator, der besterhaltenste Raubsaurier Deutschlands, weist Ansätze von Federkielen auf. Das Fossil können Interessierte im Jura-Museum Eichstätt bestaunen.

    Daneben fand man sowohl in Deutschland als auch in China eine ganze Reihe sehr verschiedener Dinosaurier-Fossilien mit vogelähnlichen Merkmalen. Demnach war die Befiederung, die wir heute Vögeln zuordnen, tatsächlich ein Merkmal der Dinosaurier, das in ganz unterschiedlichen Lebensräumen auftrat.

    Chinesische Dinosaurier im Altmühltal

    Wie viele Gemeinsamkeiten zwischen Urvögeln und theropoden Sauriern bestanden, verdeutlicht auch die Reevaluation des Fossilienfundes aus dem Jahr 1855. Forscher der LMU München um Oliver Rauhut konnten 2018 belegen, dass es sich bei dem sogenannten „Haarlemer Exemplar“ gar nicht um einen Urvogel, sondern um einen Angehörigen einer Gruppe bislang nur in China belegter vogelähnlicher Raubsaurier, der Anchiornithiden, handelte. Der Bedeutung für die Wissenschaft tut dies keinen Abbruch: Anchiornis ist ein Vorfahr des Archaeopteryx und gilt wie dieser als Missing Link zwischen Dinosauriern und Vögeln.

    Auch der geologisch älteste Archaeopteryx-Fund aus dem Jahr 2010 weist viele Merkmale auf, die die Ähnlichkeit des sogenannten Urvogels mit theropoden Raubsauriern noch deutlicher machen, wie Professor Oliver Rauhut von der LMU München beschreibt. So kann man anhand der Fossilien nachvollziehen, wie sich aus vogelähnlichen Raubsauriern schrittweise die Urvögel entwickelten.

    Der Sciurumimus erinnerte äußerlich an ein Eichhörnchen.

    Foto von https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17218655, https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Toter_Alter_Mann

    Trotz Befiederung waren Dinosaurier allerdings, mit Ausnahme der Flugsaurier, flugunfähig. Die Federn dienten vielmehr der Kommunikation sowie zur Wärmeregulierung. „Manche Dinosaurier waren richtig wuschelig“, so Christina Ifrim. Dazu zählt etwa der Sciurumimus, dessen Fossil ebenfalls in den Schichten des Oberjura gefunden und 2012 erstmals von Oliver Rauhut, Christian Foth, Helmut Tischlinger und Mark A. Norell beschrieben wurde. Bei dem Fossil aus dem bayerischen Painten handelt es sich vermutlich um ein Jungtier, das direkt nach dem Schlüpfen ertrank. Es weist am ganzen Körper - und besonders am Schwanz - ein dichtes, fast flaumiges Federkleid auf, was ihm seinen Namen einbrachte: Sciuru bedeutet auf Latein Eichhörnchen, mimus ist der Nachahmer.

    Fossilienfunde ändern Wissensstand

    Dass Dinosaurier gefiedert gewesen sein könnten, ist eine relativ neue Erkenntnis. Frühere Darstellungen sind trotzdem nicht per se als falsch, betont die Wissenschaftlerin: „Wir als Wissenschaftler können immer nur mit den Informationen arbeiten, die uns die Fossilien geben. In der Paläontologie schauen wir uns an, welche Informationen vorliegen, und leiten daraus die plausibelsten Zusammenhänge ab. Wir haben heute mehr Informationen als die früheren Forscher, deswegen haben sie ihre Arbeit trotzdem korrekt und gut gemacht.“ Die Rekonstruktionen bildeten immer den aktuellen Wissenstand ihrer Entstehungszeit ab.

    Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist auch der Flugsaurier Pterodactylus elegans, dessen Fossilien man in den Steinbrüchen von Solnhofen und Mörnsheim, sowie in England und Tansania fand. „Erste Rekonstruktionen von Flugsauriern waren nackt, dann wurden die Körper zunehmend mit Fell rekonstruiert, in den neuesten Rekonstruktionen ist Behaarung auch an Teilen von Beinen und Flügeln zu finden“, so PD Dr. Ifrim.

    Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich der Wissensstand mit jedem neuen Fossil erweitert, ist der Fund des Compsognathus longipes in der bayerischen Region Riedenburg-Kelheim im Jahr 1859, bei dem erstmals das vollständig erhaltene Skelett eines Dinosauriers entdeckt wurde. Compsognathus prägte damit das erste Bild, das die Menschen von Dinosauriern hatten. Der kleine Fleischfresser lebte wie Archaeotperyx, Sciurumimus und Juravenator in der späten Jurazeit und galt lange als kleinster Dinosaurier der Welt, bis bei Funden in China noch kleinere Dinosaurier entdeckt wurden.

    Von großen und kleinen Dinosauriern

    Insgesamt sind viele der in Deutschland gefundenen Dinosaurier auffallend klein. Grund dafür ist der Lebensraum: Mitteleuropa war im Jura-Zeitalter zu großen Teilen von einem flachen und warmen Meer bedeckt, aus dem vereinzelte Inseln herausragten. Das Klima war heiß, die Landschaft karg und im Gegensatz zu beispielsweise Nordamerika, gab es keine großen, dicht bewachsenen Flächen, auf denen große Raubsaurier genug Nahrung gefunden hätten oder die gigantischen Pflanzenfresser hätten abweiden können.

    Dies belegen auch Funde des Europasaurus holgeri. Seit 1998 haben Forscher die Fossilien von mindestens 21 Sauriern im Kalksteinbruch Langenberg bei Goslar freigelegt. Der Europasaurus lebte vor etwa 155 Millionen Jahren im heutigen Niedersachsen. Er war ein enger Verwandter des Brachiosaurus, der eine durchschnittliche Länge von 23 Metern und eine Höhe von 13 Metern erreichte. Im Gegensatz dazu wurde der Europasaurus vermutlich nur etwa zwei Meter hoch und sechs Meter lang. „Die kleineren Lebensformen kamen in dem kleinen Lebensraum mit seinem beschränkten Nahrungsangebot besser zurecht“, erklärt die Paläontologin. Einer der größten in Deutschland gefundenen Saurier war der Raubsaurier Wiehenvenator, der vor etwa 165 Millionen Jahren lebte und dessen fossile Überreste 1998 bei Minden in Ostwestfalen entdeckt wurden. Er wurde sieben bis acht Meter lang und gilt damit als bisher größter in Mitteleuropa gefundener Vertreter der theropoden Saurier.

    Die Fossilien bekannter Dinosaurier sind bis heute oft die Flaggschiffe bei der Suche nach Antworten und der Entwicklung neuer Untersuchungsmethoden. Berühmte Fossilien würden zuerst mit den neuesten Methoden untersucht, da leichter Forschungsgelder zur Verfügung gestellt würden, erklärt Dr. Ifrim. So wurden Fossilien schon geröntgt und mit CT-Scans untersucht. Im Laufe der Zeit werden auf diese Weise die Methoden immer weiter verfeinert und von den Erkenntnissen profitiert der gesamte Forschungszweig.

    Es ist davon auszugehen, dass unser heutiges Bild von Dinosauriern noch längst nicht vollständig ist und wir uns auch in den kommenden Jahren über weitere spannende Erkenntnisse aus der Paläontologie freuen dürfen. Die Leiterin des Jura-Museums ist sich sicher: „Unser Bild von Dinosauriern wird im Laufe der Zeit immer schärfer und präziser werden“.

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