Wie stark sich Doppelgänger ähneln – ohne genetisch verwandt zu sein

Eine Studie untersucht die Gemeinsamkeiten von Menschen, deren Gesichter ohne verwandtschaftliche Beziehung fast identisch sind – und zeigt, dass die Gene nicht nur das Aussehen beeinflussen, sondern auch die Lebensweise.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 29. Aug. 2022, 10:10 MESZ
Bilder von vier Doppelgänger-Paaren.

Der kanadische Künstler François Brunelle fotografiert seit 1999 nicht-verwandte Menschen, deren Gesichter sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Seine Bilder bildeten die Grundlage für eine Studie, die zeigt, dass Doppelgänger mehr gemeinsam haben, als auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Foto von François Brunelle

Zwei Menschen, deren Gesichter sich so stark ähneln, dass der eine unbemerkt die Identität des anderen annehmen könnte, bezeichnet man als Doppelgänger. Was bei eineiigen Zwillingen, die aus derselben mütterlichen Eizelle entstehen, nicht überrascht, ist bei Personen, zwischen denen keinerlei genetische Verwandtschaft besteht, umso faszinierender – und auch ein bisschen unheimlich. So unheimlich, dass eine derartig starke äußere Ähnlichkeit in früheren Zeiten oft mit dem Übernatürlichen erklärt wurde.

Manel Esteller, Arzt am Josep Carerras Leukaemia Research Institut in Barcelona, Spanien, und sein Forschungsteam haben sich dem Thema von wissenschaftlicher Seite genähert: Sie untersuchten Doppelgänger auf molekularer Ebene, um herauszufinden, ob zwischen ihnen trotz fehlender verwandtschaftlicher Beziehungen auch eine biologische Verbindung (eher: Ähnlichkeit) besteht. Die verblüffenden Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden in einer Studie in der Zeitschrift Cell Reports.

Ungewöhnliche Übereinstimmung in der DNA

Bei der Suche nach geeigneten Forschungsobjekten half den Wissenschaftlern das Projekt I’m not a look-alike! des Kanadiers François Brunelle, für das dieser seit dem Jahr 1999 sich ähnlich sehende Menschen ohne verwandtschaftliche Beziehung gemeinsam fotografiert. Der Künstler stellte dem Forschungsteam Porträtbilder von 32 Paaren aus der Serie zur Verfügung. Diese wurden zunächst mithilfe drei verschiedener Gesichtserkennungsprogramme auf ihre objektive Ähnlichkeit geprüft. Das Ergebnis: Die Gesichter der Hälfte der untersuchten Paare stimmten so stark miteinander überein wie die von eineiigen Zwillingen.

Im nächsten Schritt wurden die Doppelgänger gebeten, einen umfassenden Fragebogen zu ihrem Lebensstil, ihren Vorlieben und Gewohnheiten auszufüllen. Außerdem gaben sie eine Speichelprobe für eine Multiomics-Analyse ab, bei der unter anderem Genom, Epigenom, Mikrobiom, und Proteom der Testperson untersucht wurden. Im Rahmen der Genomanalyse betrachteten die Forschenden insgesamt 4,3 Millionen Genvarianten und im Zuge des Epigenomvergleich wurden 850.000 verschiedene Anlagerungsstellen an der DNA überprüft. „Dieser einzigartige Probensatz hat es uns ermöglicht, herauszufinden, welchen Einfluss Genomik, Epigenomik und Mikrobiomik auf die menschliche Ähnlichkeit haben“, sagt Esteller.

Es zeigte sich, dass die untersuchten Doppelgänger – obwohl sie keine gemeinsame genetische Abstammung haben – über auffällig ähnliche Genotypen verfügen. Die Gesamtheit ihrer Gene ist also miteinander vergleichbar: Bei 16 Paaren wurden 19.277 übereinstimmende Einzelnukleotid-Polymorphismen gefunden – sogenannte SNPs, bei denen es sich um vererbbare Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Doppelstrang handelt. Unterschiede bestanden hingegen in Hinblick auf die DNA-Methylierung, die die Aktivität von Genen steuert, und innerhalb des Mikrobioms der untersuchten Personen.

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    Doch nicht nur auf molekularer Ebene fanden sich erstaunliche Parallelen zwischen den Doppelgängern. Die Auswertung der Fragebögen zeigte, dass sie sich auch bezüglich ihres Gewichts, ihrer Größe, ihrer Lebensweise und -gewohnheiten wie zum Beispiel dem Rauchen ähneln und einen vergleichbaren Bildungsstand haben. „Wir vermuten, dass dieselben Determinanten sowohl mit physischen als auch mit Verhaltensmerkmalen in Zusammenhang stehen“, erklärt Esteller. Die Studie legt also nahe, dass die Gene und ihre Variationen bei Aspekten des Lebensstils durchaus eine entscheidende Rolle spielen können – und stützt somit Erkenntnisse aus Untersuchungen eineiiger Zwillinge, die getrennt voneinander aufgewachsen sind.

    Ein Schwachpunkt der Studie ist ihre geringe Stichprobengröße von nur 32 Doppelgänger-Paaren, die zudem mehrheitlich europäischer Abstammung sind. Trotzdem sieht das Forschungsteam in seinen Ergebnissen Anwendungsmöglichkeiten in verschiedenen Bereichen. „Die ultimative Herausforderung wäre es, aufgrund der individuellen Multiomics-Landschaft die Struktur eines Gesichts vorherzusagen“, sagt Esteller. So könnte in der Gerichtsmedizin zum Beispiel das Gesicht eines Verbrechers anhand der am Tatort gefundenen DNA rekonstruiert werden. In der Medizin wäre es einem Arzt möglich, anhand des Gesichts eines Patienten Informationen zu dessen Genom abzuleiten.  

    „Unsere Studie bietet einen seltenen Einblick in die menschliche Ähnlichkeit, indem sie zeigt, dass Menschen mit extrem ähnlichen Gesichtern gemeinsame Genotypen haben, während sie auf der Ebene des Epigenoms und des Mikrobioms nicht übereinstimmen“, so Esteller. „Die Genomik bringt sie zusammen, und der Rest unterscheidet sie voneinander.“

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