Strategische Inkompetenz: Wenn Menschen nicht können wollen

Wenn Menschen so tun, als seien sie unfähig eine Aufgabe zu erledigen, verfolgen sie oft eine Absicht: Jemand anders soll die Arbeit für sie machen. Doch steckt hinter strategischer Inkompetenz immer böser Wille? Und wer hat dabei das Nachsehen?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 2. Okt. 2023, 10:01 MESZ
Ein Mann beugt sich über einen anderen Mann, der am Laptop sitzt.

Der Arbeitsplatz ist einer der Orte, an denen Strategische Inkompetenz am liebsten eingesetzt wird – um scheinbar unwichtige, ungewollte Aufgaben auf andere abzuwälzen.

Foto von josealjovin / Adobe Stock

„Ich habe Angst, beim Beladen der Spülmaschine etwas falsch zu machen“ oder „Wo genau kommt das Waschmittel denn in die Waschmaschine?“ – Sätze wie diese werden vor allem in Partnerschaften oft genutzt, um sich im Alltag der Hausarbeit zu entziehen. Dabei sind die Personen, von denen sie kommen, oft nicht tatsächlich unfähig, eine Aufgabe zu lösen – sondern nur vermeintlich. Das Ziel: Die unliebsame Angelegenheit wird von jemand anderem übernommen. 

Strategische Inkompetenz nennt sich das Phänomen, das Menschen nutzen, um sich auf ihrer vermeintlichen Unfähigkeit ausruhen – doch nicht immer wird sie bewusst eingesetzt.

Woher kommt die strategische Inkompetenz?

Obwohl das Phänomen vielen wohl schon lange bekannt ist, taucht der Begriff „strategische Inkompetenz“ – Englisch: strategic incompetence – erstmals im Jahr 2007 in einem Artikel im Wall Street Journal auf. Darin zitiert der Journalist Jared Sandberg mehrere Mitarbeitende großer Firmen, die die Taktik vor allem bei Aufgaben anwenden, die scheinbar unwichtig sind oder kein Fachwissen verlangen – beispielsweise beim Planen des Firmenpicknicks („Wie habt ihr das denn früher immer gemacht?“).

“Bei der strategischen Inkompetenz geht es nicht um eine Strategie, die scheitert, sondern um ein Scheitern, das erfolgreich ist.”

von Jared Sandberg
Journalist

Der Artikel beschränkt sich dabei auf Situationen, in denen die strategische Inkompetenz ganz bewusst angewendet wird und oftmals auf eine Art und Weise, in der die eigenen Rolle instrumentalisiert wird: Männer, die nicht wissen, wie ein Picknick funktioniert, neue Mitarbeitende, die früher ein anderes Kopiergerät genutzt haben oder Ältere, die sich mit ausgewähltem technischem Equipment nicht auskennen wollen. „Bei der strategischen Inkompetenz geht es nicht um eine Strategie, die scheitert, sondern um ein Scheitern, das erfolgreich ist“, so Sandberg. Denn das Ziel sei meist, Arbeit, die man nicht machen will, auf andere abzuwälzen  ohne das konkret zugeben zu müssen. 

In den letzten Jahren hat sich im englischen Sprachraum noch eine weitere Bezeichnung für das Phänomen entwickelt, das die Strategie hinter dem Verhalten zusätzlich hervorhebt: weaponized incompetence. Das heißt auf Deutsch so viel wie „als Waffe eingesetzte Inkompetenz“. 

Ist diese Art der Inkompetenz wirklich immer eine Strategie?

Während der Artikel im Wall Street Journal „die Kunst der strategischen Inkompetenz“ geradezu glorifiziert, hat sich der Diskurs um das Phänomen in den letzten Jahren gewandelt. Vor allem Frauen, deren Ehemänner oder Partner sich mithilfe der strategischen Inkompetenz vor der Hausarbeit drücken, kritisieren das Verhalten. „Das ist ein Phänomen, mit dem Frauen ihr ganzes Leben lang zu kämpfen haben“, sagt auch Nadine Shaanta Murshid, Sozialarbeitswissenschaftlerin an der University at Buffalo im US-Bundesstaat New York. Dahinter stecke die bis heute vorherrschende Idee, dass Frauen in Sachen Kinderbetreuung und Hausarbeit von Natur aus besser seien – und so viele der Aufgaben am besten einfach selbst erledigen.

BELIEBT

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    Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsplanung (DIW) zeigt beispielsweise, dass Frauen auch an erwerbsfreien Tagen wie Sonn- oder Feiertagen überproportional viel Arbeit im Haushalt erledigen. Hausarbeit und Sorgearbeit wird also oft auf Frauen abgewälzt – und das teilweise mithilfe der strategischen Inkompetenz ihrer Partner.

    Doch ist die strategische Inkompetenz dabei immer eine absichtlich angewandte Taktik? Nicht unbedingt. Die Psychotherapeutin Nadine Rheindorf sagt in einem Interview mit der Zeit: „Oft ist es erlerntes Verhalten, das man gar nicht unbedingt reflektiert.“ Das habe aber nicht immer etwas damit zu tun, dass die Person, die strategische Inkompetenz anwendet, dies böswillig oder mit konkreten Hintergedanken tut. Ein erster Schritt ist deshalb wohl vor allem, die Taktik zu erkennen – sowohl bei denjenigen, die damit Arbeit absichtlich abwälzen wollen, als auch bei denjenigen, die es unabsichtlich tun. 

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