Dunning-Kruger-Effekt: Warum sich Halbwissende für besonders klug halten
Gerade Menschen mit wenig Wissen überschätzen oft ihre eigenen Fähigkeiten – während sie die Leistungen kompetenterer Menschen verkennen. Weshalb ist das so?

Teufelskreis der Inkompetenz: der Dunning-Kruger-Effekt
Einer der kuriosesten Banküberfälle ereignete sich 1995 in Pittsburgh. Am helllichten Tag raubte ein unmaskierter Mann zwei Geldfilialen aus. Die Videokameras waren ihm egal. Als sich wenig später die Handschellen schlossen und ihm die Polizei die Überwachungsaufnahmen vorspielte, war seine Verwunderung groß. Er war überzeugt davon, keinesfalls leichtsinnig gehandelt zu haben. Schließlich habe er sein Gesicht vor dem Überfall sorgfältig mit Zitronensaft eingerieben, um sich für die Kameras unkenntlich zu machen.
Vier Jahre später sorgte der erfinderische Bankräuber ein zweites Mal für Aufsehen: Sein Fall diente den amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger als Paradebeispiel für ein Phänomen, das als Dunning-Kruger-Effekt Eingang in die Populärwissenschaft finden sollte. Demnach überschätzen inkompetente Menschen ihre eigenen Fähigkeiten auffällig oft – während sie gleichzeitig die Leistungen kompetenterer Menschen unterschätzen. Das Dilemma: Es ist ihnen nicht einmal bewusst.
Die Selbstüberschätzung der Inkompetenten
Erstmals beschrieben die beiden Psychologen den Effekt im Jahr 1999. Im Rahmen einer Studienreihe hatten sie Studentinnen und Studenten unter anderem Logik- und Grammatiktests bearbeiten lassen. Danach sollten die Teilnehmenden einschätzen, wie gut sie im Vergleich zu ihren Mitstreitern abschnitten.
Das Ergebnis: Ausgerechnet diejenigen mit den schlechtesten Ergebnissen glaubten, die besten Lösungen gefunden zu haben. Und nicht nur das: Als sie die Tests der besseren Probanden einsehen durften, waren sie immer noch von ihrer vermeintlichen Überlegenheit überzeugt.
Millionen bessere Bundestrainer
Der Dunning-Kruger-Effekt begegnet uns nahezu überall. Dafür muss man nicht unbedingt auf die nächste Fußball-WM warten, wenn Millionen von Fans der Meinung sind, bessere Entscheidungen treffen zu können als das professionelle Trainerteam.
Unser Alltag ist geprägt von schrägen Selbsteinschätzungen. Die meisten jungen männlichen Autofahrer glauben etwa, besser fahren zu können als der Rest der Bevölkerung. Dabei sind sie nach Angaben des Statistischen Bundesamtes das größte Unfallrisiko auf deutschen Straßen.
Auch Jobneulinge überschätzen sich häufig, wie Dunning und Mitautorin Carmen Sanchez in einer späteren Untersuchung herausgefunden haben. Sie sprechen hierbei von einer „Anfängerblase der Selbstüberschätzung“. Ein wenig Erfahrung reiche – schon übersteigt das Ego die eigene Leistung.
Wer sich eine Casting-Show im Fernsehen anschaut, erlebt diesen Effekt in Reinkultur. Auch wenn die Kritik noch so vernichtend ausfällt: Viele der potenziellen Talente scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass ihre Performance bei anderen häufig nur Fremdscham auslöst.
Gefährliches Halbwissen
Warum aber überschätzen wir so oft unsere eigenen Leistungen und Kompetenzen? Der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb sieht darin ein völlig normales Phänomen: „Wir alle haben ein positives Selbstbild, das wir aufrecht halten wollen.“ Wer sich leicht selbst überschätzt, sei eher erfolgreich. Denn dann traue man sich Aufgaben zu, die man nach realistischer Einschätzung vielleicht gar nicht angegangen hätte.
Wenn diese Aufgaben möglicherweise durch etwas Glück oder mit Hilfe anderer zum Erfolg führen, habe man das Gefühl, alles richtig zu machen. So können manche Menschen auch mit Oberflächenwissen und guter Selbstinszenierung erfolgreich sein. Zumindest kurzfristig.
Doch irgendwann kommt der Kipppunkt. Weil Halbwissende dazu neigen, sich selbst zu überschätzen und zugleich die Beiträge anderer verkennen, sehen sie auch nicht die Notwendigkeit, sich weiterzubilden und damit ihre Kompetenz zu steigern.
Was also tun gegen die eigene Selbstüberschätzung? Erster Schritt ist die Einsicht, dass wir alle einen Hang zur Selbstüberschätzung haben. Der viel zitierte gesunde Menschenverstand reicht eben oft nicht aus, um komplexe Probleme zu durchdringen.
