Science-Fiction wird Realität: Forschende machen Haut durchsichtig

Ein Farbstoff, der die Haut transparent macht, gibt freien Blick auf die darunter liegenden Sehnen, Blutgefäße sowie Knochen. Könnte diese Entdeckung bald eine Alternative zum Ultraschall sein?

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 13. Sept. 2024, 15:45 MESZ
Ein Wissenschaftler hält ein Reaktionsgefäß mit gelber Flüssigkeit vor sein Gesicht.

Einfach, aber extrem effektiv: Für den „physikalischen Zaubertrick“ benötigt man lediglich eine Kombination aus Wasser und gelber Farbe.

Foto von University of Texas at Dallas

Es klingt wie in einem Science-Fiction-Film: Aus einer Pipette wird eine gelbliche Flüssigkeit auf die Haut aufgetragen. Kurze Zeit später wird die Barriere unsichtbar und gibt Sehnen, Blutgefäße sowie Knochen preis. All das, was das schützende Organ sonst höchstens erahnen lässt, wird wie durch Zauberhand klar und deutlich sichtbar.

Dieses futuristisch klingende Szenario haben Forschende der University of Dallas in Texas, USA, im Rahmen einer bahnbrechenden Studie Wirklichkeit werden lassen. Mit einfachsten, reversiblen und günstigen Mitteln haben sie es geschafft, Tierhaut durchsichtig werden zu lassen – und könnten auf diese Weise eine effektivere Alternative zur Ultraschalltechnik gefunden haben.

Physikalischer Zaubertrick: Farbstoff hebt Lichtstreuung der Haut auf

Am Anfang der experimentellen Studie, die in der Zeitschrift Science erschien, stand die Frage, weshalb Hautgewebe undurchsichtig ist. Erklären lässt sich dies mit dem Fakt, dass unsere Haut ein Streumedium ist. Licht, das auf ihre Hautoberfläche fällt, wird in sämtliche Richtungen gestreut und macht ein Hindurchsehen unmöglich – eigentlich.

Mit zwei einfachen Mitteln haben die Forschenden um Zihao Ou, Assistenzprofessor für Physik, dieses physikalische Phänomen überlistet. Dazu stellten sie eine Lösung aus Wasser und dem Lebensmittelfarbstoff Tartrazin, auch als E 102 bekannt, her. Dieser kommt etwa bei der Färbung von Lebensmitteln wie Süßigkeiten, Senf oder Chips zum Einsatz.

Wie das Streumedium Haut blockiert auch der gelbe Farbstoff das allermeiste Licht, sodass es nicht durch ihn hindurch dringen kann. Kombiniert man beides, hebt sich diese Undurchlässigkeit auf – und die Haut wird durchsichtig. Soweit die Theorie. In ersten praktischen Tests – die Erwachsene mittels einer zur Verfügung gestellten Anleitung selbst ausprobieren können – erprobten die Wissenschaftler*innen die Funktionalität der Lösung an einer rohen Hühnerbrust. Und tatsächlich wurde das tote Gewebe umso durchsichtiger, je tiefer die Flüssigkeit eindrang.

„Für diejenigen, die die grundlegende Physik dahinter verstehen, ergibt es Sinn – aber wenn man damit nicht vertraut ist, gleicht es einem Zaubertrick“, sagt Ou.

Effizient und reversibel: Mäusehaut wird transparent und Organe sichtbar

Wie effizient das Experiment auf der Haut lebendiger Lebewesen – und damit künftig auch beim Menschen – funktioniert, testeten Ou und sein Team auf der Kopfhaut und am Bauch von Mäusen. Tatsächlich wurden diese transparent, sobald die Lösung aus Wasser und Farbstoff vollständig eingedrungen war. Während die Forschenden am Bauch direkten Blick auf die inneren Organe wie den Verdauungstrakt erhielten, konnten sie am Schädel sogar Blutgefäße auf der Oberfläche des Gehirns beobachten.

BELIEBT

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    Innerhalb weniger Minuten dringt die Wasser-Farbstoff-Lösung in die Hautschichten ein und sorgt dafür, dass der Effekt der Lichtbrechung ausgehebelt wird.

    Foto von Dr. Zihao Ou / University of Texas at Dallas

    „Es dauert einige Minuten, bis die Transparenz eintritt“, sagte Ou. „Es ist ähnlich wie bei einer Gesichtscreme oder -maske: Die benötigte Zeit hängt davon ab, wie schnell die Moleküle in die Haut diffundieren.“ Wichtig ist es den Forschenden zu erwähnen, dass der Farbstoff für Lebewesen biokompatibel ist. Denn der Prozess ist vollständig umkehrbar. Oberflächlich gelingt dies, indem der Farbstoff abgewaschen wird. Der Lebensmittelfarbstoff, der über die Haut in den Stoffwechsel gelangt, wird schließlich über den Urin ausgeschieden. „Außerdem ist er sehr preiswert und effizient – wir brauchen nicht viel davon, damit er funktioniert“, sagt Ou.

    Menschliche Haut zehnmal dicker: Farblösung als Alternative zum Ultraschall?

    Nach den erstaunlichen Ergebnissen im Tierversuch stehen Studien an Menschen noch aus. Um in das Innere des Körpers zu blicken, sei die neu erforschte Methode zugänglicher und günstiger als der derzeit übliche Ultraschall. Auch andere medizinische Eingriffe wie Blutabnahmen oder die Früherkennung von Krebs könnten durch den „Zaubertrick“ deutlich vereinfacht werden. Denn Strukturen, Aktivitäten und Funktionen tiefliegender Gewebe und Organe könnten ohne chirurgische Eingriffe eingesehen werden. Selbst mikroskopische Untersuchungen an lebenden Menschen oder Tieren wären künftig denkbar.

    Allerdings listet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrer Bewertung für Tartrazin einige mögliche Risiken auf: So bringen Studien beispielsweise seltene allergische Reaktionen mit dem Farbstoff in Verbindung und es ist von einer nicht eindeutig nachgewiesene Verstärkung von Aufmerksamkeitsdefiziten die Rede. Da die menschliche Haut jedoch sowieso rund zehnmal so dick ist wie die von Mäusen, ist laut Ou noch nicht klar, welche Dosierung und welche Art der Verabreichung passend wäre. Antworten auf diese Fragen sowie möglicherweise effizientere, gegebenenfalls sicherere, Alternativen zu Tartrazin zu finden, haben für den Physiker höchste Priorität.

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