Künstliches Blut aus dem Labor: Durchbruch in der Transfusionsmedizin?

Beim Blutspenden ist die richtige Blutgruppe überlebenswichtig. Doch Spenderblut ist knapp und manche Blutgruppen sind einander spinnefeind. Gibt es bald künstlich hergestelltes Universalblut?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 19. Aug. 2024, 14:51 MESZ
Eine Forscherin mit Reagenzgläsern, die mit Blutproben verschiedener Blutgruppen gefüllt sind.

Die Forschung kennt über 30 verschiedene Blutgruppen-Systeme. Am wichtigsten sind das AB0- und Rhesus-System. 

Foto von barbol / stock.adobe.com

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts glichen Bluttransfusionen einem Lotteriespiel. Immer wieder reagierten Patienten mit Schocks auf das Spenderblut. Regelmäßig kam es zu Todesfällen. Die Medizin stand vor einem Rätsel – bis der österreichische Mediziner Karl Landsteiner um 1900 eine bahnbrechende Entdeckung machte. Bei Experimenten mit menschlichem Blut beobachtete er, dass einige Proben beim Vermischen verklumpten, andere allerdings nicht. 

Landsteiner folgerte, es müsse mehrere Gruppen von Blut mit jeweils unterschiedlichen Eigenschaften geben, die nicht alle zusammenpassen. Tatsächlich gelang es ihm, drei besondere Merkmale der roten Blutkörperchen zu identifizieren. Ein medizinischer Meilenstein: Landsteiner hatte das bis heute wichtigste Blutgruppensystem AB0 gefunden. 1930 erhielt er dafür den Medizin-Nobelpreis.

Damit nicht genug: Sieben Jahre später entdeckte Landsteiner gemeinsam mit Alexander Solomon Wiener auch den Rhesusfaktor, eine weitere wichtige Blutkörperchen-Eigenschaft.

Von Antigenen und Antikörpern: Welche Blutgruppen gibt es?

Heute kennt die Forschung weit über 30 verschiedene Blutgruppen-Systeme. Für Transfusionen sind AB0- und das Rhesus-System am wichtigsten. Warum aber sind manche Blutgruppen einander spinnefeind, andere dagegen problemlos austauschbar? Eine entscheidende Rolle spielen die Antikörper und Antigene.

Menschliches Blut besteht zu rund 55 Prozent aus einer gelblich klaren Flüssigkeit, dem Blutplasma. Darin befinden sich unter anderem besondere Eiweißstoffe, die Immunglobuline oder Antikörper. Sie haben die Aufgabe, Krankheitserreger unschädlich zu machen. 

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    Blutkörperchen mit Erkennungscode

    45 Prozent des Blutes sind feste Bestandteile – die Blutzellen. Dazu gehören zum Beispiel die roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Sie sind dafür zuständig, die Körperzellen mit Sauerstoff zu versorgen. Auf ihrer Zellhülle befinden sich charakteristische Strukturen, die sogenannten Antigene. Damit haben Erythrozyten einen eigenen Erkennungscode.

    Bislang sind über 600 verschiedene Antigene bekannt. Aus ihrer Zusammensetzung ergibt sich die jeweilige Blutgruppe. Das AB0-System bezieht sich ausschließlich auf die Antigene A und B. Auf diese Weise unterscheidet man die vier Blutgruppen A, B, AB und 0.

    Das Immunsystem stuft unbekannte Antigene als Krankheitserreger ein. Um die Eindringlinge zu neutralisieren, können die Antikörper im Blutplasma sich mit den fremden Antigenen zu gefährlichen Blutverklumpungen verbinden. Deshalb zählt bei Bluttransfusionen die richtige Blutgruppe.

    Beispiel: Menschen mit der Blutgruppe A haben rote Blutkörperchen mit dem Antigen A. In ihrem Blutplasma befinden sich Antikörper gegen das Antigen B. Sie dürfen deshalb kein Spenderblut der Gruppe B erhalten. Bei Personen mit der Blutgruppe B ist es andersherum. 

    Personen mit der Blutgruppe AB besitzen beide Antigene A und B. In diesem Blut gibt es keine der beiden Antikörper, da es sonst zu permanenten Abwehrreaktionen käme. Die Blutgruppe 0 bildet dagegen Antikörper gegen A und B, weil sie keines der beiden Antigene hat. 

    Wunderwaffe bei Transfusionen: Blutgruppe 0-

    Das Rhesus-System ist das zweitwichtigste Blutgruppensystem beim Menschen. Auch hier kommt es auf die Antigene an. Entscheidend ist der sogenannte Rhesusfaktor D. Menschen mit diesem Antigen sind Rhesus-positiv (+). Fehlt das Merkmal, ist man Rhesus-negativ (-). 

    Alles in allem ergeben sich daraus acht Blutgruppenkombinationen: A+, A-, B+, B-, AB+, AB-, 0+ und 0-. Aus den Wechselwirkungen zwischen Antigenen und Antikörpern lässt sich bestimmen, welche Blutgruppen problemlos miteinander vermischt werden können. 

    Am häufigsten in Deutschland sind die Blutgruppen A mit 43 Prozent und 0 mit 41 Prozent. Die Gruppen B (11 Prozent) und AB (5 Prozent) kommen deutlich seltener vor. Etwa 85 Prozent der Menschen in Deutschland und Mitteleuropa sind Rhesus-positiv. 

    Universell einsetzbar ist nur die Blutgruppe 0-. Menschen mit diesem Blut werden deshalb auch Universalspender genannt. Allerdings besitzen nur sechs Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung die Blutgruppe 0-.

    Welche Blutgruppen passen zusammen?

    Kompatibilität der Blutgruppen: Besonders bei der Versorgung von Notfallpatienten besteht ein hoher Bedarf an Konserven mit der Blutgruppe 0-, weil diese universell einsetzbar sind.

    Grafik Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes

    Künstliches Blut aus dem Labor

    Seit Jahrzehnten arbeitet die Wissenschaft deshalb daran, das knappe Spenderblutangebot durch veränderte oder sogar künstliche Konserven zu ergänzen. Es gibt viele Ansätze. Im Herbst 2022 etwa hat ein britisches Forschungsteam zwei Patienten rote Blutkörperchen verabreicht, die im Labor hergestellt wurden – offenbar ohne Komplikationen oder Nebenwirkungen. Auch wenn die Menge des übertragenen Blutes winzig war: Die Ergebnisse wurden als medizinischer Durchbruch gefeiert.

    Vor wenigen Monaten ist es Forschenden aus Dänemark und Schweden gelungen, Blut der Gruppen A und B in das begehrte Blut der Gruppe 0 umzuwandeln. Dazu nutzten sie Enzyme eines Darmbakteriums. Bereits 2019 zeigte eine Studie, dass solche Enzyme die Blutgruppe A in 0 umwandeln können. 

    Bisher funktioniert dies aber nur im Labor. Experten wie der deutsche Transfusionsmediziner Markus M. Müller sind deshalb skeptisch. Bis zur Anwendung am Patienten müsse man noch einen weiten Weg gehen, betont der Abteilungsleiter für Mobile Blutspende am Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie in Frankfurt am Main. 

    Ohne klinische Studien ließen sich mögliche Risiken noch gar nicht abschätzen. Möglicherweise könnten fremde Enzyme zu „lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen beim Transfusionsempfänger führen“, sagt Müller. 

    Kein Ersatz für Spenderblut

    Das Deutsche Rote Kreuz unterstreicht: Bislang sei es nicht möglich, künstliches Blut mit all seinen Bestandteilen herzustellen. Zwar reiche es „für den praktischen Nutzen einer Bluttransfusion“ aus, nur den benötigten Blutbestandteil, also zum Beispiel die roten Blutkörperchen, zu ersetzen.

    Es werde noch Jahre dauern, bis im Labor erzeugte Blutzellen in der Transfusionsmedizin tatsächlich einsatzbereit sind. Außerdem seien Aufwand und Kosten von gezüchteten Blutzellen erheblich.

    Ein Ersatz für Spenderblut ist also nicht in Sicht. Umso wichtiger also, dass möglichst viele Menschen regelmäßig Blut spenden. Tag für Tag werden in Deutschland etwa 15.000 Konserven benötigt. 

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