Verstecktes physikalisches Gesetz in van Goghs ,Sternennacht‘

Die Wirbel im Nachthimmel des ikonischen Gemäldes folgen einem physikalischen Gesetz, das erst Jahrzehnte nach Vincent van Goghs Tod entdeckt wurde.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 4. Okt. 2024, 10:16 MESZ
Van Goghs Gemälde "Sternennacht".

Es ist das wohl bekannteste Gemälde van Goghs – und zeigt laut einer neuen Studie, wie genau der Künstler seine Umwelt beobachtet hat.

Foto von Vincent van Gogh, 1853–1890 / MoMa

Die Sternennacht ist eines der bekanntesten Bilder des Künstlers Vincent van Gogh. Es zeigt eine traumartige Version vom Blick des Malers aus seinem Zimmerfenster in einer Psychiatrischen Klinik. Dort kam er in einer Zeit unter, in der es schlecht um seine psychische Gesundheit stand – die, so lautet die Theorie einiger Forschender, möglicherweise durch die Wirbel im Ölgemälde widergespiegelt wird.

Doch nicht nur in den Geisteszustand des posthum berühmt gewordenen Malers lässt das das Ölgemälde blicken. Es ist gleichzeitig auch ein Zeugnis der besonderen Beobachtungsgabe, die van Gogh nachgesagt wird. Eine neue Studie zeigt: Der Niederländer hat die Natur offensichtlich genau studiert. Denn die Wirbel in seinem Gemälde folgen den physikalischen Gesetzen der Turbulenz von Flüssigkeiten, die erst nach seinem Tod bekannt wurden. Veröffentlicht wurde die Studie im Fachmagazin Physics of Fluids.

Analyse der Wirbel auf dem Gemälde.

Diese 14 Strudel und Wirbel aus Starry Night rund um die Himmelskörper im Gemälde wurden vom Forschungsteam in der Studie untersucht.

Foto von Ma, Yinxiang et al.

Stern-Turbulenz nach Gesetz 

Die Art und Weise, auf die sich Turbulenzen in Flüssigkeiten äußern – durch die Bildung von Strudeln und Wirbeln – erscheint mit bloßem Auge oft willkürlich. Eigentlich ist aber das Gegenteil der Fall: „Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer Brücke und beobachten einen Fluss. Sie werden Strudel auf der Oberfläche sehen, und diese Strudel sind nicht zufällig“, erklärt Yongxiang Huang von der Xiamen-Universität in China, der an der Studie beteiligt war, gegenüber CNN. „Sie ordnen sich in bestimmten Mustern an, die durch physikalische Gesetze vorhergesagt werden können.“ 

Diese kaskadenartigen Muster konnte der sowjetische Mathematiker Andrei Kolmogorow in den Vierzigerjahren teilweise mathematisch aufgeschlüsseln. Seine Berechnungen basierten auf Beobachtungen des britischen Meteorologen Lewis Fry Richardson. In der Wissenschaft sind die Berechnungen als Kolmogorov's Theory of Turbulence bekannt. Und genau diese Kolmogorowschen Gesetze lassen sich laut Huang und seinen Kolleg*innen in van Goghs Gemälde in seinen Stern-Wirbeln erkennen.

Dafür spricht laut der Studie nicht nur „die Größe der Wirbel in der Sternennacht, sondern auch ihre relativen Abstände und ihre Intensität“, die ebenfalls dem physikalischen Gesetz folgen, das turbulente Strömungen regelt. Gewusst habe der Maler allerdings sicherlich nichts von den physikalischen und mathematischen Hintergründen – vielmehr muss er die Strömungen in der realen Welt extrem gut beobachtet haben.

BELIEBT

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    Aufnahme eines Sturms in der Atmosphäre vom Jupiter.

    Anhand des sogenannten Great Red Spot, einem Sturm in der Atmosphäre des Planeten Jupiter, lassen sich die physikalischen Gesetze hinter der Turbulenz laut der Studie ebenfalls beobachten.

    Foto von NASA / JPL-Caltech / Björn Jónsson

    Ein Maler mit besonderer Beobachtungsgabe

    Dass das Gemälde, das er im französischen Saint-Rémy-de-Provence malte, so bekannt werden würde, dass es sogar Gegenstand wissenschaftlicher Studien wird, konnte van Gogh damals nicht ahnen. Er starb nur ein Jahr nach der Fertigstellung des Gemäldes, im Jahr 1890, vermutlich durch Suizid. Obwohl er in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod langsam Anerkennung in der Kunstszene fand, wurde er erst nach seinem Ableben richtig berühmt. 

    Dazu beigetragen haben vor allem die Bemühungen seines Bruders Theo van Gogh und dessen Frau Jo van Gogh-Bonger. Als Theo nur wenige Monate nach Vincent ebenfalls starb, war es Jo, die den Briefwechsel der beiden veröffentlichte. Laut dem Van Gogh Museum in Amsterdam waren es vor allem diese Einblicke in das turbulente Leben des Malers, die seine Werke der Öffentlichkeit zugänglicher machten.  

    So ist es auch Theo und Jo zu verdanken, dass Vincent van Goghs beeindruckende Beobachtungsgabe nun auch wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Mehr als 130 Jahre, nachdem er das Bild gemalt hatte.

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