Sorgerechtsstreit: Mütter und Kinder werden vor Gericht benachteiligt
Eine neue Studie zeigt: Ein veraltetes Vorurteil gegenüber Müttern sorgt vor Gericht dafür, dass sie das Sorgerecht für ihre Kinder ganz oder teilweise verlieren. Väter würden dagegen eher Gehör finden. Das hat schwerwiegende Folgen für betroffene Kinder.
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich, das konnte eine neue Studie zeigen. Die Ungleichbehandlung sorgt dafür, dass Müttern öfter das Sorgerecht für die Kinder entzogen wird.
Nach einer Trennung leben Kinder nach Angaben des Väterreports 2023 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend immer noch häufiger bei der Mutter. Eine neue Studie zeigt jedoch: Geht die Verhandlung um das Sorgerecht vor das Familiengericht, entscheiden diese mittlerweile oft zugunsten der Väter – während Mütter in den Verfahren vermehrt mit Vorverurteilungen zu kämpfen haben.
Hinter den gerichtlichen Entscheidungen stecke ein System, „das Kinder und Mütter gefährden kann“, heißt es in der Studie, die von Soziologe Dr. Wolfgang Hammer und einem anonymen Team durchgeführt wurde. Denn oft gehe die Prämisse, dass ein Kind Umgang mit beiden Elternteilen brauche, vor – selbst dann, wenn Mütter von psychischer und physischer Gewalt des Vaters berichten.
Täter-Opfer-Umkehr an Familiengerichten und in Jugendämtern
Hammer und sein Team untersuchten 154 familienrechtliche Fälle zwischen 2008 und 2024, über die medial berichtet wurde. Dabei konnten sie ein gefährliches Muster aufdecken: Bundesweit werden Mütter vor dem Familiengericht und von Jugendämtern vorverurteilt. Ihnen wird unterstellt, dass sie das Kind durch Abwertung des Vaters absichtlich manipulieren, um es so von ihm zu entfremden. Diese Praktik wird von den Forschenden als PAS-Vorannahme bezeichnet. PAS ist die Abkürzung für das Parental Alienation Syndrome, zu Deutsch elterliches Entfremdungssyndrom. Das PAS wurde 1985 vom US-amerikanischen Kinderpsychiater Richard A. Gardener beschrieben – und 2023 vom Bundesverfassungsgericht als „überkommenes und fachwissenschaftlich als widerlegt geltendes Konzept“ eingeordnet.
Laut Hammer wird die PAS-Vorannahme dennoch weiterhin unhinterfragt getroffen und äußert sich in den Verfahren in unwissenschaftlichen Begriffen. So attestierte das Familiengericht ausschließlich Müttern in 147 der 154 analysierten Fälle „Bindungsintoleranz“ oder „Entfremdung“, „Mutter-Kind-Symbiose“ oder behauptete (widerlegte) „psychische Störungen“. Väter würden durch diese Falschannahmen automatisch als Opfer der Mütter dargestellt, obwohl sie in vielen Fällen durch psychisch oder physisch gewalttätiges Verhalten die eigentlichen Täter sind.
Hammer spricht in der Studie deshalb von einer „systematischen Täter-Opfer-Umkehr durch Jugendämter und in Familiengerichten“. Dieses Vorgehen verletze den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz und nehme den Betroffenen die Chance auf ein faires Verfahren.
Veraltete Vorurteile gegenüber Müttern gefährden das Kindeswohl
Auf der Grundlage der PAS-Vorannahme würden anschließend zum Beispiel Zwangswechselmodelle begründet. Dabei handelt es sich um starre Betreuungsmodelle, die beide Elternteile involvieren und deren Wechselrhythmus und „Übergabezeiten“ festgelegt sind. „Die Rechtsprechung zeigt, dass nahezu ausschließlich Väter Wechselmodelle mit gerichtlichen Mitteln durchsetzen wollen“, heißt es in der Studie. Häufig liege dieser Forderung der Wunsch nach Macht und Kontrolle über das Kind und die ehemalige Partnerin zugrunde. Die Zwangswechselmodelle könnten gegen den Willen der Mutter und gegen den erklärten Willen des Kindes gerichtlich erzwungen werden.
Darüber hinaus würden die Familiengerichte Kinder nicht nur unter Zwang zum Vater schicken, sondern auch Inobhutnahmen, Heimunterbringungen und Umplatzierungen von altersgerecht entwickelten, sozial gut integrierten und gesunden Kindern erwirken. Oftmals mit der Rechtfertigung, der Umgang der Mutter sei ungeeignet für das Kind.
So auch im Fall von Maria aus Nordrhein-Westfalen, der in der Studie untersucht wurde. Bereits als Vierjährige habe Maria ihrer Mutter Claudia A. vom sexuellen Missbrauch durch den Vater erzählt, zu diesem Zeitpunkt waren die Eltern seit einem Jahr getrennt. Als Claudia A. versucht, gerichtlich gegen den Vater vorzugehen, endet der Sorgerechtsstreit in einer Katastrophe. „Ein Gutachter untersucht Claudia A. [...] und bescheinigt ihr, dass sie erziehungsunfähig und bindungsintolerant sei, den Missbrauch habe sie ihrer Tochter eingeredet.“ Der Vater erhält daraufhin das Sorgerecht, obwohl später mehrere Experten unabhängig voneinander bestätigen werden, dass die Gutachten wichtige Standards nicht erfüllen, und ein Psychiater Claudia A. psychische Gesundheit attestieren wird. Maria kommt 2019 zunächst in eine Jugendeinrichtung und erfährt körperliche Gewalt durch andere Kinder. Die Unterbringung im Heim wird daraufhin in Absprache mit dem Vater beendet – das Sorgerecht liegt auch weiterhin bei ihm.
Familiengerichte stehen mit undurchsichtigen Praktiken in der Kritik
“Praktiken geschlechtsspezifischer Gewalt und Marginalisierung der Mutter-Kind-Bindung sind [bei Familiengerichten und in Jugendämtern, Anm. d. Red.] an der Tagesordnung.”
„Praktiken geschlechtsspezifischer Gewalt und Marginalisierung der Mutter-Kind-Bindung sind [bei Familiengerichten und in Jugendämtern, Anm. d. Red.] an der Tagesordnung“, fasst Hammer die Ergebnisse der Studie zusammen. Sobald die PAS-Vorannahme in familienrechtlichen Verfahren zum Tragen komme, bestehe für Kinder und Mütter kaum eine Chance, dieser Deutungs-Schablone zu entkommen. So würden die Rechte von Müttern und Kindern unsichtbar gemacht und die Institutionen, die sie eigentlich schützen sollen, setzten das Macht- und Kontrollverhalten der Väter fort.
Die analysierten Fälle decken ein Muster auf, das bisher in den „Black Boxen“ Jugendamt und Familiengericht verborgen blieb, da diese Verfahren nicht öffentlich sind. Die Studie zeigt auch, dass sich an Familiengerichten teilweise feste Kartelle aus Richtern, Verfahrensbeiständen und Gutachtern etabliert haben, die in einer folgenschweren Weise zusammenarbeiten. Das Vorgehen an Familiengerichten steht deshalb seit Jahren in der Kritik.
Umso merkwürdiger sei es laut Hammer, dass noch keine Veränderung in der Politik angeschoben wurde – und in den kommenden Jahren auch nicht vorgesehen sei. Daran müsse sich dringend etwas ändern. „Die bestehende Praxis in Familiengerichten und Jugendämtern gefährdet das Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen, demokratischen Institutionen nicht nur heutiger Erwachsener, sondern auch der heranwachsenden Generationen“, sagt der Soziologe. „Sie gefährdet konkret Kinder und Mütter – und im Großen den Bestand unserer Demokratie.“