Was die Natur zurückerobert

Ein französischer Fotograf besuchte mehr als 700 verlassene Orte in 33 Ländern auf vier Kontinenten.

Von Christine Blau
bilder von Jonathan "Jonk" Jimenez
Veröffentlicht am 27. Mai 2019, 14:26 MESZ

Äste und Zweige ragen durch das gusseiserne Gestell eines Gewächshauses, das neben einem Schloss in Belgien steht, dessen Eingänge mit Brettern versperrt wurden. Der französische Fotograf Jonathan „Jonk“ Jimenez kletterte durch die zerbrochenen Glasfenster, um festzuhalten, wie die Natur sich einen Ort zurückerobert hat, den die Menschen längst vergessen haben.

„Es ist ein verrostetes Gebäude mit kaputten Fenstern, aber es ist immer noch schön. Ich finde Schönheit gern dort, wo man gar nicht denkt, dass man sie finden könnte“, erklärt Jonk. Diese Suche war es, die ihn dazu trieb, mehr als 700 verlassene Orte in 33 Ländern auf vier Kontinenten aufzusuchen. Das Ergebnis präsentiert er in seinem Buch „Naturalia: Reclaimed by Nature“.

Bevor sich das Grünzeug in seine Arbeit schlich, fotografierte Jonk Graffiti-Künstler in Barcelona, die die verlassenen Orte der Stadt zu ihrer Leinwand machten. Für eine Weile versuchte er sich sogar selbst als Street Artist – aus dieser Phase stammt auch sein Pseudonym. In seiner Heimatstadt Paris erkundete Jonk die versteckten Ecken der urbanen Welt, indem er auf Dächer kletterte, durch U-Bahn-Tunnel schlich und die gewaltigen unterirdischen Katakomben von Paris erforschte.

KLOSTER, BELGIEN
Foto von Jonathan "Jonk" Jimenez

„In diesem Tun habe ich einen richtigen Nervenkitzel gefunden – das Adrenalin, das ich immer in all den Dingen gesucht habe, die ich in meinem Leben tat“, schreibt er über seine Arbeit. Am Telefon erzählte er National Geographic, dass er sich mittlerweile auf Bereiche jenseits der Städte konzentriert und sich selbst nicht mehr als Urban Explorer ansieht. Die Anhänger der Urbex-Community, wie sie auch genannt wird, erkunden (oft widerrechtlich) verlassene Orte, um dort Fotos zu machen oder einfach den Adrenalinrausch zu genießen.

Nicht immer bleibt das ganz ohne Folgen. Als Jonk eine verlassene Brauerei im Norden Frankreichs aufsuchte, bellte ein Hund den Eindringling mit der Kamera an und machte so den Wachmann auf ihn aufmerksam. Dieser verständigte direkt die Polizei. „Es ist insofern ein unerlaubtes Betreten [eines Ortes], als dass die meisten Orte Privatgrundstücke sind. Aber es ist ein unerlaubtes Betreten, ohne etwas zu zerstören oder Schlösser zu knacken. In 99 Prozent aller Fälle merken sie, dass wir nur Fotografen sind, und schicken uns wieder weg. Der [Wachmann] muss einen schlechten Tag gehabt haben.“

BELIEBT

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    Foto von Jonathan "Jonk" Jimenez
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    Foto von Jonathan "Jonk" Jimenez

    Jonk jedenfalls sucht unbeirrt weiter nach Orten, die langsam, aber sicher von der Natur verschlungen werden – von vergessenen sowjetischen Militärbasen in Weißrussland bis zu überwucherten Schlössern in Kroatien. Ohne die Geschichte der Stätten zu erforschen, gelingt es ihm, mit seiner Arbeit einen ganz bestimmten Moment im ewigen Lauf der Zeit einzufangen. Der französische Historiker und Archäologe Alain Schnapp beschreibt den Gegensatz, der in Jonks Bildern zum Vorschein kommt, als „eine lange Reise zwischen dem Erinnern und dem Vergessen, Ruinen und Vegetation, Moderne und Antike.“

    Verfallende Gebäude erinnern uns an den unweigerlichen Lauf der Geschichte. Schlussendlich wird die Wildnis zurückerobern, was einst ihr gehörte. „Manche Leute sehen darin etwas sehr Düsteres, zum Beispiel, wie die Welt nach der Apokalypse aussehen würde“, sagt Jonk. „Was mich angeht, zeige ich einfach gern, dass die Natur stärker als der Mensch ist. Am Ende wird die Natur siegen.“

    SAMMELBECKEN, TAIWAN
    Foto von Jonathan "Jonk" Jimenez

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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