Der Mann, der mit Hyänen lebt
Hyänen zählen zu den gefürchtetsten Tieren Afrikas. Aber in der Stadt Harar in Äthiopien hat Abbas, auch bekannt als Hyänenmann, sie so trainiert, dass er sie in seinem Haus aus der Hand füttern kann.
Die Abenddämmerung bricht über die alte ummauerte Stadt Harar herein. Die Stille wird nur durch ein gelegentliches Heulen unterbrochen, das einem einen Schauer über den Rücken jagt. Im Halbdunkel umkreisen fünf hungrige Hyänen einen Mann, der am Boden hockt. Ihre fledermausartigen Ohren zucken in gieriger Erwartung vor und zurück, während aus ihren kräftigen Kiefern Zähne hervorblitzen. Es ist Fressenszeit.
In weiten Teilen der Welt sind Tüpfelhyänen als bösartige Aasfresser verschrien. In dieser äthiopischen Stadt haben die Einwohner jedoch keine Angst vor den Tieren. Der junge Mann nimmt ein Stück Fleisch aus seinem Korb und hält es in die Luft. Anstatt ihn anzuspringen, um sich die Beute zu holen, kommt eine der Hyänen mit der Gelassenheit eines Haushundes zu ihm und frisst es direkt aus seiner Hand.
Abbas Yusuf, der Hyänenmann, lernte das Füttern der Tiere von seinem Vater Yusuf Mume Salleh. Dieser warf den Tieren kleine Fleischstücke hin, um sie von seinem Vieh wegzulocken. Jahre später setzt sich die Tradition fort. Obwohl sie mittlerweile zu einer beliebten Touristenattraktion geworden ist, geht diese bemerkenswerte Verbindung zwischen Mensch und Tier tiefer, als man auf den ersten Blickt vielleicht sieht.
Für den Fotografen Brian Lehmann, der das Phänomen dokumentiert hat, war es diese tiefgreifende, fast schon transzendente Verbindung, die ihn am meisten interessiert hat. „Ich hatte richtige Ehrfurcht vor ihrer Bindung“, erzählt Lehmann National Geographic. „Menschen in ganz Äthiopien, mit Ausnahme dieser kleinen Stadt, haben riesige Angst vor Hyänen, weil sie wortwörtlich Hackfleisch aus einem machen und einen innerhalb von Minuten auf einen blutigen Fleck am Boden reduzieren. Ein paar Kilometer von hier wurde ein Mädchen ins Gesicht gebissen und an einen Fluss gezerrt ... Aber hier haben die Kinder überhaupt keine Angst.“
Die Stadt hat eine lange Tradition des friedlichen Zusammenlebens mit Hyänen. Vor Jahrhunderten griffen die Tiere die dort lebenden Menschen an und töteten sie sogar manchmal, erzählten die Einheimischen Lehmann. Ihre Lösung war es, Löcher in die Mauern der Stadt zu schlagen und Essensreste hindurchzuwerfen, „damit sie anfingen, das Essen zu fressen anstatt die Menschen“. Laut den Harari gab es seit 200 Jahren keine Hyänenangriffe mehr.
Neben den großzügigen Spenden von Yusuf tun sich die Hyänen auch an der Müllhalde der Stadt gütlich. Pünktlich wie ein Uhrwerk lauschen die Tiere jeden Tag auf das Kurbeln und Rattern der Müllwagen. Es ist die Sirene zum Morgengrauen, die frische Ladungen Abfall verheißt. Zur Abenddämmerung lockt sie dann ein anderes Geräusch zu einer Mahlzeit. „Abbas steht auf diesem Hügel und ruft sie, um sie in sein Haus zu locken, damit er sie für die Touristen füttern kann“, sagt Lehmann. Er hat jedem von ihnen einen Namen gegeben, auch wenn einige von ihnen besser hören als andere. Er hat sogar einen eigenen Dialekt entwickelt, um sie aus ihren Bauten herauszulocken.
Auch wenn Lehmann kein Tierfotograf ist, hat er bereits etwas Erfahrung auf dem Gebiet gesammelt und weiß: „Tatsache ist, dass man nah dran sein muss, um es optisch wirkungsvoll zu gestalten.“ Anstatt also eine Kamerafalle zu benutzen, war Abbas sein Weg in die direkte Nähe der Hyänen. „Wenn ich in Gesellschaft von Abbas war, konnte ich machen, was ich wollte. Wäre ich allein gewesen, hätte es beträchtlich mehr Zeit gebraucht, um ihr Vertrauen zu gewinnen.“
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür war eine Hyäne, die eine besonders starke Bindung zu Abbas hat und die ihn und Lehmann eines Nachts zu ihrem Bau führte. „An diesem Punkt zögert man und fragt sich, ob man nun getötet wird“, sagt er. „Aber in dem Moment begreift man, was für eine wunderbare Beziehung Abbas mit ihnen hat.“ In einem der Baue, in die Yusuf gekrabbelt ist, befanden sich sogar Hyänenjunge. „Man konnte die anderen Hyänen außen herumrennen hören und sie hätten ihn jede Sekunde töten können, aber das haben sie nicht“, fügt er hinzu. „Sie lassen ihn tun, was er will.“
Diese besondere Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, überwindet die natürliche Ordnung und zeigt, wie ein Tier, das vom Menschen gefürchtet und vom Volksglauben verteufelt wird, missverstanden werden kann. Lehmann hält fest: „Zweifellos sind es hässliche Kreaturen. Aber sie haben eine innere Schönheit.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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