Bisher ältestes menschliches Fossil außerhalb Afrikas datiert

Ein Teil eines Oberkiefers, der in Israel gefunden wurde, lässt vermuten, dass unsere Art den Weg aus Afrika heraus schon etwa 50.000 Jahre eher fand als bisher angenommen.

Von John Pickrell
Veröffentlicht am 26. Jan. 2018, 17:09 MEZ
Der versteinerte Kieferknochen ist mit etwa 180.000 Jahren das bisher älteste menschliche Fossil, das man außerhalb ...
Der versteinerte Kieferknochen ist mit etwa 180.000 Jahren das bisher älteste menschliche Fossil, das man außerhalb Afrikas gefunden hat.
Foto von Gerhard Weber, Universität Wien

Ein Teil eines Oberkiefers samt Zähnen, der in Israel gefunden wurde, macht deutlich, dass der moderne Mensch Afrika schon viel früher als bisher vermutet verlassen hat. Der Fund ist ein weiterer Beweis dafür, dass unsere Art und andere menschliche Verwandte wie die Neandertaler in der Levante mehr Zeit nebeneinander verbrachten, als man zuvor angenommen hatte.

Bis vor Kurzem ließ der Fossilbericht darauf schließen, dass der Homo sapiens vor etwa 200.000 Jahren erstmals in Ostafrika auftrat. Eine größere Migrationswelle verließ den Kontinent zwar erst vor etwa 50.000 bis 60.000 Jahren, aber kleine Gruppen moderner Menschen zogen schon vor bis zu 120.000 Jahren aus Afrika aus, wie die Fossilien belegen.

Im vergangenen Juni verblüfften Erkenntnisse aus einem Fossil, das aus der Stätte Jebel Irhoud in Marokko stammt, dann die Forschergemeinde: Diese frühen Menschen mit den recht modernen Gesichtern, die dort entdeckt wurden, sind schon bis zu 350.000 Jahre alt. Damit rutscht der Ursprung unserer Art noch weiter in die Vergangenheit.

Die Entdeckung aus dem Mittleren Osten, über die im Fachmagazin „Science“ berichtet wurde, passt zu den Funden aus Marokko. Sie zeigt, dass der Homo sapiens seine ersten Schritte nach Eurasien ebenfalls schon früher als angenommen machte – vor etwa 180.000 Jahren.

Ältestes Menschenfossil außerhalb Afrikas datiert

„Das ist eine spannende Entdeckung, die den Zeitpunkt, an dem der moderne Mensch Afrika verließ, ein ganzes Stück nach hinten verschiebt“, sagt Darren Curnoe, ein Experte für den Ursprung des Menschen von der Universität von New South Wales in Sydney, Australien.

„Zusammen mit der letztjährigen Entdeckung der frühsten modernen Menschen in Afrika ändern sich unsere Ansichten über unseren Ursprung nun sehr schnell, nachdem sich auf dem Gebiet jahrzehntelang wissenschaftlich fast gar nicht getan hat.“

UMFASSENDE DATIERUNG

Das Oberkieferfossil wurde 2002 bei einer Ausgrabung in der Misliya-Höhle entdeckt, die sich im Gebirge Karmel im Norden Israels befindet. Die Stätte hatte im Laufe Hunderttausender Jahre diversen prähistorischen menschlichen Arten als Felsdach gedient.

„Menschen leben gern in offenen Felsnischen, damit sie sehen können, ob im Umkreis eine Gefahr lauert oder Beute vorbeizieht – aber auch, um trocken zu bleiben. Von einer dieser Terrassen aus konnten sie die umliegende Landschaft überblicken“, sagt der Co-Autor der Studie Rainer Grün. Er ist der Leiter des Australischen Forschungszentrums für die Evolution des Menschen an der Griffith Universität in Queensland.

Die Forscher führten eine detaillierte Analyse durch, um zu bestätigen, dass die Form der Zähne und des Kieferknochens zu einem modernen Menschen und nicht zu einem Neandertaler gehörte, so Grün. (Lesenswert: Diese frühen Menschen lebten vor 300.000 Jahren – hatten aber moderne Gesichter)

Obwohl das Fossil schon vor etlichen Jahren gefunden wurde, wurde es erst 2014 und 2015 datiert. Die ersten Ergebnisse waren eine solche Überraschung, dass das Team beschloss, sie zu bestätigen. Letzten Endes kamen vier verschiedene Datierungsmethoden zum Einsatz, mit denen das Zahnbein, der Zahnschmelz, das Sedimentgestein am Kiefer und der Stein, der neben dem Fossil gefunden wurde, untersucht wurden.

Zusammen ließen die Ergebnisse auf ein Alter von 177.000 bis 194.000 Jahren schließen, wie das Team unter der Leitung des Paläoanthropologen Israel Hershkovitz von der Universität von Tel Aviv berichtet.

BELIEBT

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    Diese Zeitspanne „passt sehr gut in das Modell einer sehr alten Geschichte unserer Art, das sich langsam entwickelt – viel älter, als wir gedacht hatten“, sagt Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Er hatte das Team angeführt, das 2017 die Entdeckung in Jebel Irhoud gemacht hatte.

    „Die Geschichte des Auszugs unserer Art aus Afrika ist deutlich komplizierter, als wir bisher gedacht haben.“

    WERKZEUG INKLUSIVE

    Noch ist unklar, ob dies der früheste Ausflug des Homo sapiens nach Eurasien war, wie weit nach Osten unsere Vorfahren wanderten und warum keiner der Vorstöße bis vor etwa 50.000 Jahren zu einer größeren Migrationswelle führten, sagt Hublin.

    Über Hunderttausende von Jahren hinweg gab es „so eine Art Pulsieren der afrikanischen Population in Richtung des Tors zu Westasien“, erklärt er. Dieses Pulsieren hängt mit den zwischenzeitlichen Perioden zusammen, in denen das Klima feuchter und der aktuelle Wüstengürtel Nordafrikas grün war. In diesen Perioden konnten sich die Menschen freier durch diesen Bereich bewegen.

    Ein weiterer interessanter Aspekt dieser Entdeckung sind die Werkzeuge, die man neben dem Fossil gefunden hat, sagt Julia Galway-Witham, eine Paläoanthropologin vom Natural History Museum in London. Die Werkzeuge wurden mit einer relativ komplexen Abschlagtechnik namens Levallois- oder Schildkern-Technik hergestellt, die ein großes Maß an Geschick und Planung erforderte. Die so gefertigten Schaber und Klingen ermöglichten ihrem Nutzer jedoch größere Kontrolle.

    „Sie stellen die früheste Verbindung dieses Werkzeugtyps mit modernen Menschen außerhalb Afrikas dar“, sagt sie. „Vielleicht deutet das gemeinsame Auftreten dieser Werkzeugart mit dem frühen Homo sapiens in Jebel Irhoud in Marokko – und nun mit modernen Menschen in Misliya – auf irgendeinen Zusammenhang zwischen der Entwicklung dieser Technologie in Afrika und Westasien und dem Aufkommen des Homo sapiens in diesen Regionen hin.“

    Da in der Levante auch weiterhin umfangreiche archäologische Forschung betrieben wird, könnten neue Fossilien die nach wie vor bestehenden Fragen über die menschliche Migration nach Asien vielleicht bald beantworten, sagt Günter.

    Die neuesten genetischen Analysen deuten an, dass es vielleicht noch früher zu Wanderungen aus Afrika heraus gekommen ist – Wanderungen, die den frühen Menschen auch in direkten Kontakt zu anderen Verwandten brachte, fügt Hublin hinzu. Eine DNA-Analyse eines 124.000 Jahre alten Neandertalerknochens aus Deutschland lässt vermuten, dass die Neandertaler vor über 220.000 Jahren mit unser eigenen Art Nachwuchs zeugten.

    MENSCHLICHE FOSSILIEN

    Diese frühen Menschen lebten vor 300.000 Jahren – hatten aber moderne Gesichter

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