Bilder aus 100 Jahren Geschichte einer antarktischen Vulkaninsel
Deception Island beherbergte früher Wissenschaftler und Walfänger. Heute statten Touristen der fremdartigen Vulkaninsel und ihren Pinguinen Besuche ab.
In einer kleinen Ecke in einer der rausten und kältesten Regionen der Erde formt eine unerwartete Kraft die Landschaft: ein aktiver Vulkan.
Die Insel Deception Island, die aus der Spitze des Vulkans und seiner Caldera besteht, befindet sich nahe der Antarktischen Halbinsel. Seitdem die Menschen 1820 erstmals Fuß auf die Südlichen Shetlandinseln gesetzt haben, ist der brodelnde Berg schon mehrfach ausgebrochen. Der aktive Vulkan spuckt aber nicht nur Asche und Lava in das eiskalte Meer, sondern bietet auch zahlreichen Tieren ein Zuhause. Vor etwa 10.000 Jahren stürzte der Gipfel des Vulkans bei einem besonders heftigen Ausbruch ein, wodurch die überschwemmte Caldera im Zentrum der Insel entstand.
Acacia Johnson ist eine Fotografin und Naturforscherin, die für Quark Expeditions als Antarktisführerin arbeitet. Ihr zufolge verdankt die Insel ihren Namen (“deception“ bedeutet „Täuschung“ oder „Irreführung“) der schmalen und leicht zu übersehenden Öffnung in der Caldera, die Neptune‘s Bellows heißt.
„Von außen wirkt die Insel massiv, bis man diese Öffnung findet und sieht, dass es eine geflutete Caldera ist“, sagt sie. „Es ist atemberaubend, durch diese Passage zu fahren, zu deren beiden Seiten Felswände aufragen. Genau in der Mitte des Kanals liegt ein Fels unter Wasser, der zahlreiche Schiffbrüche verursacht hat.“
Seit ihrer Entdeckung wurde die Insel immer wieder von brutalen Robben- und Walfängern als Operationsbasis benutzt. Mit dem Aufkommen des modernen Walfangs, bei dem ganze Flotten mit effizienter Tracking-Technologie und Walverarbeitungsausrüstung direkt an Bord auf monatelange Reisen zur Antarktis geschickt werden, waren die Walfänger nicht mehr auf Deception Island angewiesen. Aber ein paar der Walarten der Region waren in den 1930ern durch die Jagd schon an den Rand der Ausrottung getrieben worden.
Obwohl die Insel öde und unwirtlich wirken kann, lebt dort eine erstaunliche Vielfalt von Arten. Aufgrund der vulkanischen Aktivität hat man dort 18 Arten von Moosen und Flechten gefunden, die man bisher noch an keinem anderen Ort der Antarktis entdeckt hat. Acht Meeresvogelarten nisten auf der Vulkaninsel, darunter eine Kolonie von Zügelpinguinen auf Baily Head. Die Kolonie besteht aus mehr als 100.000 Brutpaaren – die größte Gruppe der Antarktischen Halbinsel und vermutlich eine der größten der Welt.
Im 20. Jahrhundert etablierten mehrere Länder Forschungsbasen auf der Insel. Die ersten wissenschaftlichen Experimente wurden von den Briten jedoch schon 1828 durchgeführt. Chile, Norwegen und Großbritannien hatten allesamt Basen auf der Insel, aber in den späten Sechzigern zerstörten Vulkanausbrüche die chilenische Basis bei der Pendulum Cove und führten zur dauerhaften Schließung der britischen Basis. Johnson war von der Schönheit der Insel so angetan, dass sie auf ihrer allerersten Reise dorthin beschloss, eines Tages als Tourguide zurückzukehren. Die Fotografin war von der surrealen, fremdartigen Landschaft der Antarktis wie gefesselt.
„Für Fotografen ist das ein Traumland“, sagt sie. „Es gibt alte, verfallene Gebäude und rostige Konstruktionen, die Leute einfach gern fotografieren. Das ist so ein seltener Augenblick, in dem wir die menschlichen Spuren und die Industrie in der antarktischen Region sehen und begreifen können.“
Der Strand aus schwarzem Sand wird geothermisch erwärmt. Bei Ebbe kann man daher Dampfwolken vom Ufer aufsteigen sehen. Johnson sagt, dass sie dort sogar schon geschwommen ist, weil das Wasser direkt am Strand ziemlich warm ist.
„Die vulkanische Geologie der Insel und besonders im Inneren der Caldera ist einfach atemberaubend“, erzählt sie. „Es gibt ein paar richtig bunte Stellen, aber insgesamt ist sie eher monochromatisch und hat starke Kontraste. Die Gletscher und Berge sind an vielen Stellen von Asche durchzogen und erzeugen Muster und subtile Farbtonunterschiede, die ich so noch nirgendwo sonst gesehen habe. Es sieht einfach aus, als könnte es unmöglich echt sein.“
Auch National Geographic hat Deception Island seit Jahrzehnten fotografieren lassen. Ein Blick in die Fotoarchive offenbarte sogar Bilder von 1929, auf denen Walfangschiffe, Entdecker und eine Menge Pinguine zu sehen sind.
Heutzutage gilt Deception Island oft als öde und leer, obwohl es viele Touristen anlockt. Dank günstiger Wetterverhältnisse erhielt Johnson die Gelegenheit, eine andere Seite der Insel zu entdecken – und eine andere Geschichte über ihre wilden Tiere.
Johnson dachte, sie wüsste, was sie an der Insel am liebsten mochte: die Landschaft und die Geologie. Anfang 2018 hatte sie allerdings die Gelegenheit, die Zügelpinguinkolonie auf Baily Head zu beobachten, einem Fleckchen am äußeren Rand der Caldera, wo der Seegang für gewöhnlich so hoch ist, dass ein Anlanden per Boot unmöglich ist.
„Die Dichte der wilden Tiere auf Baily Head ist einfach so überwältigend, dass es einen in die Knie zwingt“, sagt sie. „Selbst einigen meiner erfahrensten Kollegen standen die Tränen in den Augen. Der schwarze Strand ist so weit das Auge reicht mit Pinguinen übersät, die ins Wasser springen oder gerade wieder rauskommen. Die Kolonie befindet sich hoch in den Bergen und bedeckt die Hügellandschaft in dem natürlichen Amphitheater, und die Pinguine bewegen sich auf diesem ‚Superhighway‘ des Lebens zum Meer und zurück.“
Während ihres Besuchs kletterte Johnson auf einen Hügel, um einen besseren Blick auf das Amphitheater, den Pinguin-Superhighway, den funkelnden Ozean und die grüne Vegetation auf dem Hügel zu erhalten.
„Wenn man das beobachtet, wirkt es so, als würde jeder Zentimeter der Landschaft vor Leben wimmeln. Aber in der Caldera auf der anderen Seite der Berge könnte man schwören, dass man noch nie einen so einsamen Ort gesehen hat“, sagt sie. „Außerdem waren gerade erst die Pinguinküken geschlüpft, die Kolonie strotzte also geradezu vor neuem Leben.“
Die Besuche auf der Insel gestalten sich aber nicht immer so einfach. Zweimal in dieser Saison mussten Johnson und ihre Gruppe ihren Plan schon aufgeben und zum Schiff zurückkehren, als ganz plötzlich enorme Windböen mit über 75 km/h die Caldera hinabrauschten.
„Diese Veränderung passierte binnen Minuten und verdeutlicht einen der Gründe, warum ich das Reisen in der Antarktis liebe“, erklärt sie. „Die Dinge verändern sich andauernd und erinnern uns daran, wie mächtig diese Landschaft ist – sie erinnert uns an unseren Platz in ihr und daran, wie klein und unwichtig wir im Grunde sind.“