Kolumbus’ Missgeschicke: Wie funktioniert ein Erstkontakt?

Wenn Worte nicht weiterhelfen, verständigt man sich eben mit Händen und Füßen. Dass aber auch nonverbale Kommunikation mit Pfannen und Tamburinen seine Tücken hat, mussten einige Entdecker am eigenen Leibe erfahren.

Von Robert Krulwich
Veröffentlicht am 16. Sept. 2019, 15:15 MESZ
Erstkontakt mit Sprachbarriere
Mit freundlicher Genehmigung von North Wind Picture Archives, Alamy

Was tut man, wenn ein seltsames Ding aus einem fernen Land an den heimischen Ufern anlandet, aus seinem fremdartigen Fahrzeug steigt und Worte von sich gibt, die man nicht verstehen kann? Vermutlich starrt man es an und sucht nach Anzeichen für gute (oder weniger gute) Absichten. Und was dann?

Wenn es ein Geräusch macht, wiederholt man das Geräusch mit sanfter Stimme? Wenn es singt, singt man zurück? Wenn es freundlich zu tanzen scheint, ahmt man den Tanz nach? Wer Steven Spielbergs Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ gesehen hat, versucht es vielleicht tatsächlich mit der Spiegelmethode: Man tut das, was das Gegenüber tut.

Aber jene, die Christoph Kolumbus’ Briefe an Königin Isabella und König Ferdinand von Spanien gelesen haben, würden zur Vorsicht raten.

Warum das so ist, zeigt sich am Beispiel von Kolumbus’ Ankunft auf der Insel Trinidad. Denn erste Begegnungen, so schrieb der Autor Steven Greenblatt 1991 in seinem Buch „Marvelous Possessions: The Wonder of the New World”, können genauso gefährlich, ratlos und waghalsig ablaufen wie im Spielbergs Film.

In seinem 1493 veröffentlichten Brief an das Königspaar, in dem Kolumbus seine Entdeckung verkündete, beschrieb er, dass er auf einem seiner Schiffe an der Küste entlangsegelte.

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    Verhängnisvolle Sprachbarriere

    Plötzlich entdeckte er einige Ureinwohner, die ganz in der Nähe in Kanus fuhren. Sie trugen kunstvoll gearbeitete Kopftücher, wie sie Marco Polo in seinem Buch über die „Indies“ geschrieben hatte. Daher vermutete Kolumbus, dass es sich bei diesen Menschen um die „Indianer“ (eigentlich Inder) handelte, die er so sehnlichst suchte, um einen lukrativen Handel mit Gold und Gewürzen zu etablieren. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihnen also, zu seinen Schiffen herüberzukommen. Sie sahen ihn an, riefen irgendetwas, das er nicht verstand, und beide Seiten verharrten an Ort und Stelle.

    Sie beobachteten ihn zwar, aber bewegten sich nicht.

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    Kolumbus war sich durchaus bewusst, dass die Bewohner dieser Insel und Europäer keinerlei sprachliche Gemeinsamkeiten hatten. Also suchte er weiter nach einer Möglichkeit, seine guten Absichten und seinen Wunsch, mit ihnen zu handeln, auszudrücken. (Außerdem wollte er sie zum Christentum bekehren und manche von ihnen auch versaklven – das kam allerdings erst später. Aktuell wollte er einfach nur Hallo sagen.)

    Sein nächster Versuch sah so aus, dass er ein paar glänzende Metallpfannen und andere schimmernde Objekte (vielleicht Spiegel?) am Deck seines Schiffes anbrachte, wo die Ureinwohner sie sehen konnten. Daraufhin kamen sie etwas näher. Sie schienen neugierig, hielten aber weiterhin Abstand.

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    Da kam Kolumbus auf die Idee, es mit einem Tanz zu versuchen. „Ich ließ ein Tamburin auf das Poop-Deck bringen“, schrieb er an Ferdinand und Isabella. Er hoffte, seine neuen Bekanntschaften mit einem fröhlichen Tänzchen anlocken zu können. Irgendjemand von Kolumbus’ Mannschaft schnappte sich also das Tamburin und begann zu tanzen.

    Es zeigte sofort Wirkung, wie Greenblatt schrieb, allerdings nicht so, wie es sich Kolumbus erhofft hatte. „Sobald sie sahen, wie gespielt und getanzt wurde“, schrieb der Entdecker, „ließen sie alle ihre Ruder fallen, griffen ihre Bögen und spannten sie auf. Ein jeder ergriff seinen Schild und sie begannen, uns mit Pfeilen zu beschießen.“

    Detail eines Fotos von Culture Club, Getty Images
    Foto von Culture Club, Getty Images

    Für die Einwohner von Trinidad sah Kolumbus’ Tanzeinlage wie eine Kriegserklärung aus. Es kam zu einem kurzen Kampf und dann zogen sich beide Parteien zurück.

    Danach schrieb Kolumbus: „Ich sah sie nie wieder, noch irgendwelche anderen Einwohner dieser Insel.“

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    Eine Vorstellung via Tanz kann also riskant sein. Verblüffenderweise hat man es dennoch wieder und wieder mit diesem Eisbrecher versucht. Es gab einfach so viele Erstkontakte zwischen europäischen Entdeckern und den Ureinwohnern von Nord-, Süd- und Mittelamerika, und Tanzen war so eine einfache und jederzeit verfügbare Option. Auch wenn Kolumbus’ Versuch nach hinten losgegangen war, bedeutete das nicht, dass andere Begrüßungstänze genauso laufen mussten – und das taten sie auch nicht.

    Für das nächste Beispiel wechseln wir den Ort des Geschehens: Wir befinden uns in Neufundland im Jahr 1612, mehr als ein Jahrhundert nach Kolumbus.

    Image Courtesy of Arpin Philately

    Dieses Mal ist unser Entdecker ein englischer Kaufmann namens John Guy. Er ging in der Nähe eines verlassenen Camps der Ureinwohner an Land und entdeckte ein paar verstreute Gegenstände: „ein schön polierter Kupferkessel, ein Pelzmantel, ein paar Robbenhäute, ein altes Segel und eine Angelrolle“.

    Guy befahl seiner Mannschaft, nichts mitzunehmen, sondern die Gegenstände fein säubern zu stapeln. Obenauf legte er ein paar Kekse und „drei oder vier Perlen aus Bernstein“. Seine Botschaft war eindeutig: Wir wollen eure Sachen nicht stehlen und haben euch ein kleines Geschenk dagelassen; vielleicht wollt ihr ja mit uns handeln.

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    „Kurz darauf erschienen zwei Kanus“, schrieb Guy später. Nach einigem Vorgeplänkel betraten zwei der Ureinwohner den Strand. Einer von ihnen trug ein weißes Tuch. Er gab ein „lautes Geräusch“ von sich, das eventuell die Gesprächsbereitschaft der Männer signalisieren sollte. Aber ohne eine gemeinsame Sprache wussten die Engländer nicht so recht, was sie tun sollten.

    Einer der Ureinwohner eröffnete den Dialog schließlich mit „einer lauten Rede und schwenkte [die Fahne]“. Die Engländer schickten einen Mr. Whittington aus ihren eigenen Reihen, ebenfalls mit einer weißen Flagge, zu ihm. Der Ureinwohner warf seine Flagge auf den Boden. Whittington tat es ihm gleich. Dann gesellte sich der zweite Ureinwohner dazu und ganz plötzlich, ohne erkennbaren Grund, begannen die beiden „zu tanzen, zu springen und zu singen.“

    Zeichnung von Robert Krulwich

    Die Engländer erschraken nicht und schossen auch nicht. Stattdessen fiel Whittington in den Tanz mit ein und „alle drei sangen und tanzten“. Zwischen all dem Herumgespringe schaffte es Whittington irgendwie, seinen zwei neuen Gefährten eine Lederkette mit Muscheln, ein Messer und „eine Feder aus seinem Haar“ zu geben.

    Dann gesellte sich ein weiteres Mitglied der Mannschaft, Fraunces Tipton, zu Whittington. „Alle vier gemeinsam tanzten, lachten und zeigten ihren Frohsinn. Manchmal klopften sie auf die Brust ihrer Gefährten und manchmal auf ihre eigene.“

    Das freundliche Schlagen auf die Brust und auch der Tanz selbst waren laut Greenblatt völlig improvisiert. Die beiden Seiten ahmten einander nach – und es funktionierte.

    Etymologie eines Missverständnisses

    Das gemeinsame Problem in beiden Fällen war der Mangel an sprachlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Zwei Parteien aus einander völlig fremden Kulturen treffen aufeinander und versuchen, mit Gesten und Tönen zu kommunizieren. Aber für beide Seiten ist nur schwer verständlich, was gerade passiert. Greenblatt zufolge finden sich in Kolumbus’ Briefen häufig Phrasen wie „wir konnten nicht verstehen“, „wir wissen nicht“ oder „wir konnten nicht erklären“. Mitunter hinterließen Missverständnisse einen bleibenden Eindruck.

    Meine Lieblingsgeschichte über solche Missverständnisse ist die Geschichte eines Substantivs. Es ist ein Substantiv, das man heutzutage auf den meisten Weltkarten finden kann. Es stammt aus dem Tagebuch von Antonio de Ciudad Real, einem jungen Sekretär, der in den 1580ern zusammen mit einem Franziskaner-Priester durch Mittelamerika reiste. Eines Tages, als sie im Osten Mexikos an der karibischen Küste unterwegs waren, fragten der Priester und sein Sekretär einige der Ureinwohner, wie dieser Ort hieß und wie er seinen Namen erhielt.

    „Als die Spanier dieses Land entdeckten“, schrieb Ciudad Real, „fragte ihr Anführer die Indianer, wie es genannt wurde. Da sie nicht verstanden, sagten sie ‚uic athan‘, was so viel bedeutet wie ‚Was hast du gesagt?‘ oder ‚Was sprichst du da, dass wir dich nicht verstehen?‘.“

    Und genau so landete es dann auf der Karte, wie der Sekretär beschreibt: „Die Spanier ordneten also an, dass es als ‚Yucatan‘ niedergeschrieben werden solle.“

    Image by North Wind Picture Archives, Alamy

    „Der Begriff der Maya für ihr Unverständnis“, so schreibt es Greenblatt, „wurde zum Begriff der Kolonisten für jenes Land, das ihnen entrissen wurde.“

    Das ist ein gutes Beispiel dafür, was geschehen kann, wenn zwei fremde Kulturen aufeinandertreffen und niemand weiß, was der andere sagt. Dann kommt es zu Irrtümern, die manchmal gut, manchmal schlecht, manchmal witzig und manchmal tragisch sind – aber in jedem Fall zahlreich.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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