Fake News in der Antike: Schon die Alten Griechen nutzten Falschinformationen

Manipulative Kommunikationstechniken sind keine Erfindungen der Neuzeit. Auch im Alten Griechenland wurde mit Falschinformationen gearbeitet. Ihre Verbreitung dauerte ohne moderne Technologien allerdings länger als heute – genauso wie der Faktencheck.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 8. Sept. 2022, 09:45 MESZ
Perikles steht mit ausgestrecktem Arm inmitten einer Gruppe Menschen, die ihm zuhören.

Gemälde der Gefallenenrede des athenischen Staatsmannes Perikles nach dem ersten Kriegsjahr des Peloponnesischen Krieges im Jahr 431 v. Chr. Öffentliche Vorträge wie dieser waren eine der wichtigsten Wege, um in der Antike an Informationen zu gelangen – und diese weiterzugeben.

Foto von Philipp von Foltz, 1805 – 1877

Im Jahr 335 v. Chr. gab es in der griechischen Stadt Theben Pläne für einen Aufstand. Der Grund: In der antiken Welt sprach sich der vermeintliche Tod Alexanders des Großen herum – dem damaligen makedonischen König. Gestützt wurde die Information von der Erzählung seines Rivalen Demosthenes, der behauptete, Alexander sei bei einem Kampf gefallen. Beflügelt durch die Nachricht des vermeintlichen Todes begann in Theben eine Revolte. Doch diese wurde nur Tage später von Alexander dem Großen selbst gestoppt, denn: Er war am Leben. Dabei wurde Theben von Alexanders Armee fast vollständig zerstört – eine der wohl fatalsten Falschmeldungen der antiken Welt.

Das Konzept ist also nicht neu – der Begriff „Fake News“ hingegen schon. Dieser erreichte hauptsächlich während des ersten Amtsjahres des 45. US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump Bekanntheit. In jenem Jahr nahm der Duden den Begriff in seine 27. Auflage auf und das Collins English Dictionary des Verlags HarperCollins kürte den Begriff zum Wort des Jahres 2017. 

In unserem heutigen Verständnis machen uns Fake News vor allem zu schaffen, weil sie sich durch das immer leichter zugängliche Internet wie Lauffeuer verbreiten können. Doch wie das Fallbeispiel Theben zeigt, konnten Falschmeldungen in der Antike auch ohne Social Media weitreichende Folgen haben. Was können wir also aus den Geschichten aus dem Alten Griechenland lernen?

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Fake News im antiken Griechenland

Die Taktik, die hinter dem Konzept der Fake News steckt, scheint zunächst wenig komplex: Mit gezielten Falschinformationen soll eine kleine oder große Gruppe von Menschen getäuscht werden. Dabei steht meist ein politisches, ideologisches oder eigennütziges Ziel im Vordergrund, das von den Verbreitern der Nachricht verfolgt wird. Gleichzeitig können legitime Nachrichten durch das Label „Fake News“ geschwächt werden – was es für die Öffentlichkeit oft zusätzlich erschwert, die Wahrheit hinter den Meldungen zu erkennen. 

Wie genau sich diese Taktiken im antiken Griechenland äußerten, untersucht aktuell eine gemeinsame Tagung der Universitäten Trier und Athen. Laut den Organisatoren der Tagung, Diego De Brasi, Juniorprofessor für Gräzistik an der Universität Trier, und Theofanis Tsiampokalos, Postdoktorand in altgriechischer Philologie, bietet sich das Alte Griechenland für eine solche geschichtliche Nachverfolgung besonders gut an. „Dem antiken Griechenland wird – zumindest in der landläufigen Meinung – oft die Entdeckung von Konzepten zugeschrieben, die auch heute noch gesellschaftlich und politisch relevant sind, wie beispielsweise die Demokratie“, sagen sie.

Auch deshalb können Geschichten von Falschmeldungen von damals uns helfen, das Phänomen einzuordnen – und die Rolle der Fake News in der Gesellschaft zu offenbaren. Das betont auch Vasileios P. Vertoudakis, Professor für Altgriechische Philologie von der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen. „Das antike Griechenland ist – zusammen mit Rom – die Wurzel der modernen europäischen Zivilisation. Daher ist die Untersuchung eines modernen Phänomens in der antiken Welt Teil unseres Selbstverständnisses“, sagt er. Vor allem deshalb, weil sich die Funktion der Fake News von damals bis heute kaum verändert habe.

BELIEBT

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    “Die aktuelle Situation rund um Fake News ist kein Novum, sondern die Fortsetzung eines Phänomens, das seit der Antike existiert. ”

    von Anastasia Petropoulou
    Nationale und Kapodistrias-Universität Athen

    Falschmeldungen in antiken Erzählungen

    Auch laut Anastasia Petropoulou von der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen handelt es sich bei den heutigen Fake News um „die Fortsetzung eines Phänomens, das schon seit der Antike existiert“. Die Literaturwissenschaftlerin hat sich im Rahmen der Tagung mit der Art und Weise beschäftigt, wie das Konzept der Fake News in antiken, religiösen Erzählungen vorkommt. „In diesen Texten werden Vorfälle von unwahren Nachrichten berichtet, die von den Protagonisten der jeweiligen Erzählung ausgedacht und verbreitet wurden“, sagt sie.

    Durch diese Auseinandersetzung mit Falschmeldungen im literarischen Kontext könne man sehen, dass das Motiv der Falschmeldung den Alten Griechen durchaus bekannt war – auch ohne eine damals existierende Begrifflichkeit. „Diese religiösen Texte sind ein greifbarer Beweis für ein Konzept wie das der Fake News in der Antike”, so Petropoulou.

    Zusätzlich wird durch die schriftlichen Quellen deutlich, dass den Verfassern bewusst war, welche Folgen diese Art von Falschnachrichten haben können und welcher Zweck oft hinter ihnen steckt. „Wenn man die kirchlichen Texte als Träger des literarischen Motivs der Fake News untersucht, wird deutlich, dass die Geschichten oftmals damit enden, dass die Falschinformation einer Person Schaden zufügt“, so Petropoulou.

    Mehrere griechische Redner und Philosophen sitzen in ihren Gewändern beisammen.

    Darstellung einer Szene aus der Platonischen Akademie, der Philosophenschule, die Platon im 4. Jahrhundert v. Chr. gründete. Redner und Philosophen der griechischen Antike hoben sich durch typische Gewänder hervor. 

    Foto von CC0 1.0 / Museo Nazionale Archeologico

    Mündlichkeit versus Internet

    Die Fake News von damals unterscheiden sich von den heutigen also vor allem durch eines: Die Geschwindigkeit, in der Nachrichten verbreitet wurden. Während das Internet unsere Gedanken heute per Mausklick im Bruchteil einer Sekunde an die ganze Welt heraustragen kann, hatten die Menschen in der Antike meist nur die Möglichkeit der mündlichen Weitergabe von Informationen.

    Das geschah beispielsweise beim Tratsch auf öffentlichen Plätzen oder Begegnungsstätten wie dem Marktplatz oder dem Friseur – oder ganz offiziell bei öffentlichen Auftritten: „In den griechischen Städten der Antike gab es beispielsweise die Bürgerversammlung und die (Rechts-)Gerichte, wo Männer öffentliche Reden hielten,” sagen De Brasi und Tsiampokalos.

    Und so konnte die Verbreitung falscher Nachrichten auch ohne Internet mit System geschehen. Bereits um das vierte Jahrhundert v. Chr. beschrieb Platon in seinen Dialogen beispielsweise den Nutzen gezielter Kommunikation, bei der nicht unbedingt die Wahrheit im Vordergrund stand, sondern die Manipulation der Bevölkerung. Ungefähr zu dieser Zeit wurden Fake News dann auch in der Kirche nicht mehr nur im literarischen Kontext genutzt. „Vor allem in der Spätantike wurden in religiösen Texten Umdeutungen für die eigenen Zwecke vorgenommen“, so De Brasi und Tsiampokalos. Diese zielten dann darauf ab, den Konsumenten dieser Texte eine bestimmte Verhaltens- oder Denkweise vorzugeben oder einzelne Personen oder Gruppen anzugreifen. 

    Ähnlich funktionierte es auch in der Politik. „Wie heute wurden falsche Nachrichten damals eingesetzt, um Personen und ihre Handlungen oder ihr Verhalten zu diskreditieren”, so Tsiampokalos. Das sei im militärischen und religiösen, aber auch im gesellschaftlichen Kontext schon immer so gewesen – auch in der griechischen Antike.

    Wo bleibt die Wahrheit?

    Ohne das Internet oder das Fernsehen hatten die Alten Griechen aber auch einen Nachteil: die kaum mögliche schnelle Überprüfung von Informationen. „Während die Technologie heutzutage die Verbreitung von Fake News zwar erheblich erleichtert, verzögerte in der Antike der Mangel an fortschrittlicher Technologie die Wiederherstellung der Wahrheit“, sagt Vertoudakis. Von schnellen Faktenchecks einzelner Tweets oder Nachrichten, wie sie heute möglich sind, konnten die Alten Griechen nur träumen.

    Der ehemalge DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht.

    Gerade die zeitliche Verzögerung zwischen einer ersten Falschmeldung und einer darauf folgenden Richtigstellung konnte also schnell zum Verhängnis werden. So wurde auch den Aufständischen in Theben erst klar, dass Alexanders Tod eine Falschmeldung war, als es bereits zu spät war.

    Laut Petropoulou können wir genau deshalb aus den antiken Fake News lernen. „Es gibt zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart eine ungebrochene Beziehung“, sagt sie. „Anhand der Antike können wir sehen, dass die Wahrheit meist nicht so leicht ist, wie sie in solchen Nachrichten dargestellt wird“. Auch Tsiampokalos betont, dass das Verständnis eines Phänomens in verschiedenen historischen Kontexten wichtig für dessen Gesamteinordnung ist: „Es gilt, unseren Horizont in Bezug auf die Geschichtlichkeit von Fake News zu erweitern. So können wir auch einen tieferen Einblick in die Fake News gewinnen, wie sie heute in den verschiedensten Kontexten auftreten.“

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