Prähistorische Erfindungen: Wie Steinzeitmenschen Kleber herstellten

Vor 100.000 Jahren produzierten frühe Menschen im südlichen Afrika aus den Blättern der Steineibe Klebstoff – mithilfe eines ausgefuchsten Destillationsvorgangs.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 5. Okt. 2022, 08:41 MESZ
Links: Der Steineibe-Teer kurz nach der Destillation. Rechts: Der fertige Kleber in Form eines Teerklumpens.

Links: Der Steineibe-Teer kurz nach der Destillation. Rechts: Der fertige Kleber in Form eines Teerklumpens.

Foto von Tabea Koch

Bevor Klebstoffe in Fabriken hergestellt wurden, nutzten die Menschen eine ganze Reihe an natürlichen Stoffen, um Dinge aneinander zu befestigen – vor allem verschiedene Baumharze und Latex, der in zahlreichen Pflanzen vorkommt. Nun haben Forschende der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Universität Kapstadt aber eine ganz neue Art von prähistorischem Klebstoff entdeckt, der bislang einer der wohl ältesten der Welt ist. 

Laut dem deutsch-südafrikanischen Forschungsteam wurden an mehreren mittelsteinzeitlichen Fundorten in Südafrika Klebstoffrückstände gefunden, die um die 100.000 Jahre alt sind. Dieser Stoff war nicht wie das Baumharz von selbst bereits klebrig, sondern musste durch einen komplexen Destillationsvorgang erst zum Kleber gemacht werden. „Die Menschen wählten Materialien nicht nach deren Eigenschaften aus, sondern veränderten das vorhandene Material“, sagt Patrick Schmidt, Archäologe und Hauptautor der Studie. Das sei ein Wendepunkt in der Geschichte unserer Vorfahren gewesen – und ein Meilenstein für die Ingenieurstechnik.

Die Blätter der Steineibe-Art Podocarpus latifolius.

Foto von Patrick Schmidt

Komplexer Destillationsvorgang

Rückstände des über 100.000 Jahre alten Klebers fand man gleich an mehreren Fundstellen im südlichen Afrika, vor allem an Steinwerkzeugen, die mithilfe des Klebstoffs an Speere oder Griffe gehaftet wurden. Grundlage des steinzeitlichen Klebers waren laut der Studie, die in dem Fachmagazin PNAS veröffentlicht wurde, die Blätter der Steineibe (Podocarpus). Dass der Kleber aus diesem Baum gewonnen wurde, ist laut Schmidt erstaunlich, „weil Steineiben keine nennenswerten Mengen an Baumharz oder sonst einer klebrigen Substanz ausscheiden“. Deshalb stand die Frage nach der Herstellung dieses Klebstoffes im Vordergrund der Studie.

Bei ihren Untersuchungen kamen die Forschenden auf zwei Techniken, die die Steinzeitmenschen zur Herstellung des Klebers genutzt haben könnten. Beide verlangen ein gewisses Ingenieursgeschick. „Wir fanden heraus, dass Steineiben-Teer nur durch die Destillation der Blätter hergestellt werden kann“, so die Forschenden. Das könne entweder durch das Verbrennen der Steineibe-Blätter und das Auffangen des dadurch entstehenden Teeres gelungen sein oder mithilfe eines unterirdischen Destillationsapparats, bei dem der Teer über mehrere Stunden hinweg in einen Auffangbehälter tropft.

BELIEBT

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    Besonders haftend

    Doch warum zogen die frühen Menschen aus dem südlichen Afrika diesen komplexen Vorgang selbstklebendem Baumharz vor? Laut den Forschenden liegt das wohl an der Überlegenheit des destillierten Klebers. „Die offensichtliche Vorliebe für Podocarpus-Teer lässt sich durch seine mechanischen Eigenschaften erklären“, schreiben sie in ihrer Studie. Laut Schmidt konnte der Kleber aus der Steineibe beispielsweise viel größere Lasten tragen als andere pflanzliche Klebstoffe.

    Die Erkenntnisse der Studie zeigen laut den Forschenden das „innovative Potenzial, Geschick und Wissen“ des frühen Homo Sapiens – und wie erfinderisch der Mensch bereits vor 100.000 Jahren war.

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