Wüstendrachen: Spektakuläre Wildtierfallen aus der Steinzeit

Archäologen der Oxford University sind in Saudi-Arabien auf hunderte steinzeitliche Fallen gestoßen – sogenannte Wüstendrachen. Sie umfassen mehrere Kilometer und werfen Fragen zur Vernetzung der damaligen Bevölkerung auf.

Steinzeitliche Wüstendrachen: Archäologen haben in der Nefund-Wüste in Saudi-Arabien hunderte solcher riesigen sternförmigen Strukturen entdeckt.

Foto von University of Oxford
Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 16. Sept. 2022, 15:24 MESZ

Sternförmig angelegt, mehrere hundert Meter breit und aus kilometerlangen Mauern bestehend: Die sogenannten Wüstendrachen aus den Wüstengebieten der arabischen Halbinsel sind ebenso beeindruckend wie ihr Alter. Die kilometerlangen Steinaufschüttungen wurden ab etwa 8.000 v. Chr. von jungsteinzeitlichen Menschen erbaut, um das Jagen zu erleichtern – und gelten bis heute als architektonische Meisterleistung.

In der Nefud-Wüste im heutigen Saudi-Arabien haben Forschende nun mithilfe moderner Messmethoden fast 350 solcher monumentalen Strukturen entdeckt – darunter einige der ältesten und größten, die je gefunden wurden. Michael Fradley, Leiter der Forschungsgruppe und Landschaftsarchäologe von der Oxford University, betont vor allem die für die Zeit der Erbauung ungewöhnlich ausgereifte Baukunst, die „ein unglaubliches Maß an Geschicklichkeit bei der Planung und dem Bau der Strukturen“ zeigt. 

Zusätzlich beeinflussen die Funde das bisherige Verständnis von der Bevölkerung dieser Regionen – und ihrer Vernetztheit untereinander. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlichte das Team in der Zeitschrift The Holocene.

“Bei einigen der neuen Beispiele verlaufen die erhaltenen Teile der Mauern fast geradlinig über mehr als vier Kilometer, oft über eine sehr abwechslungsreiche Topografie.”

von Michael Fradley
Landschaftsarchäologe, Oxford University

Ausgefuchste Jagdtechnik

Erste Exemplare von Wüstendrachen wurden bereits in den 1920er Jahren von Flugzeugpiloten entdeckt und im Laufe der Jahre auf Englisch „Desert Kite“ getauft. Der Name bezieht sich auf die spitz zulaufende Form der Bauwerke, die an einen Winddrachen erinnert – daher auch der deutsche Name. Im Laufe der Jahre entdeckten Forschende in den Wüstenregionen der arabischen Halbinsel immer weitere dieser beeindruckenden Strukturen.

Jedes der Bauwerke besteht dabei aus niedrigen Steinmauern, die immer wieder trichterförmig aufeinander zulaufen und teilweise in kleinen Gehegen enden. Dabei ist vor allem die schiere Größe der Strukturen beeindruckend: Die Steinmauern umschließen teilweise mehrere hundert Meter Wüstenfläche und ziehen sich dementsprechend lang durch die Landschaft. „Bei einigen der neuen Beispiele verlaufen die erhaltenen Teile der Mauern fast geradlinig über mehr als vier Kilometer, oft über eine sehr abwechslungsreiche Topografie“, sagt Fradley.

Die mittlerweile gängige These, dass die jungsteinzeitlichen Menschen die Wüstendrachen zum Jagen nutzten, wird nicht nur durch deren Form bestätigt: Zusätzlich stützen auch mehrere Funde von Gazellenknochen an den Enden der einzelnen Spitzen die Annahme. „Das Grundkonzept der Jagdthese besteht darin, dass die Leitwände das Wild zum eingeschlossenen Drachenkopf führten, wo die Tiere gefangen und wahrscheinlich geschlachtet werden konnten“, so die Forschenden.

Ausbreitung der Steinzeitmenschen in der Region

Die neu entdeckten Wüstendrachen wurden von den Forschenden durch Satellitenbilder ausfindig gemacht. 65 Prozent von ihnen hatten dabei auch die bereits zuvor bei Wüstendrachen entdeckte Sternform, bei der durch trichterförmig zulaufende Mauern mehrere einzelne Auffangpunkte für die gejagten Tiere gebildet werden. „Bei vielen der erhaltenen Sternformen handelte es sich um aufwendige Strukturen mit einer großen Anzahl von Zellen, die an den Sternpunkten sichtbar waren, in einigen Fällen mit mehr als 10 Punkten“, so Fradley.

BELIEBT

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    Am bedeutendsten ist der Fund für die Forschenden jedoch, weil die vielen einzelnen Wüstendrachen durch ihre geografische Lage in der Wüste auch Rückschlüsse auf die Ausbreitung der damaligen Menschen zulassen. Denn die aktuellen Funde verbinden die Wüstendrachen in der Nefud-Wüste mit zuvor in Jordanien gefundenen Wildtierfallen. „Die Verteilung der sternförmigen Drachen liefert nun den ersten direkten Beweis für einen Kontakt durch die Nefud-Wüste hindurch und nicht um sie herum“, so die Forschenden. Das zeige, dass jene Gebiete in der Wüste, die heute als wenig bewohnbar gelten, vor 10.000 Jahren noch eine ganz andere Bedeutung für die Menschen gehabt haben könnten.

    Interessant ist für die Forschenden nun, inwiefern die verschiedenen Bevölkerungsgruppen vielleicht sogar in Verbindung standen und so das Wissen über die Jadgmethode mit den Wüstendrachen weitergegeben wurde. „Ob es sich hier um eine Bewegung von Ideen oder Menschen handelt oder sogar ein Hinweis auf die Richtung dieser Bewegung, muss nun geklärt werden“, so das Team.

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