Mastix-Harz: Das Kaugummi der Römer ist so gefragt wie nie

Arzneimittel, Gewürz, Klebstoff und Beautyprodukt: Das geheimnisvolle Baumharz von der griechischen Insel Chios hat bereits vor mehr als 2500 Jahren die Welt erobert. Heute ist seine Wirkung durch zahlreiche Studien belegt.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 4. Aug. 2020, 12:11 MESZ
Wundermittel Mastix

Das geheimnisvolle Harz aus Griechenland wird noch heute traditionell gewonnen. Das Know-how wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Foto von D. Koilalous

Der Geschmack und Geruch der durchsichtig-weißen Harzstückchen erinnert an Tannennadeln. Schnell verändert sich die Konsistenz des starren Mastix-Harzes im Mund zu einer weichen, kaubaren Masse, wenig härter als Kaugummi. Kaum hat man das Gefühl nichts zu schmecken, öffnet sich ein neues Geschmacksfenster: Man schmeckt das mediterrane Klima, das Harz und die Natur. Mastix hinterlässt ein frisches Gefühl im Mund, lange hält sich das angenehme Aroma auf der Zunge und in der Nase.

Kaugummi der Antike

Kein Wunder also, dass schon lange vor unserer Zeit Mastix wie Kaugummi gekaut wurde. Bereits der Name Mastix entspringt seiner Verwendung: Das lateinische Wort masticare bedeutet kauen und ist wiederum abgeleitet von dem griechischen Wort μαστιχᾶν (mastichān), mit den Zähnen knirschen.

„In der Tat reicht die Geschichte von Chios Mastix bis in die Tiefen der Zeit zurück“, weiß Ilias Smyrnioudis, General Manager und R & D-Direktor der Chios Mastiha Growers Association. „Mastix gilt als der erste nachgewiesene natürliche Kaugummi. Die Römer kauten Mastix aus Chios aus Gründen der Mundgesundheit, um die Zähne zu reinigen und den Atem zu parfümieren. Doch sie wurden allmählich süchtig danach und kauten ihn nur zum Vergnügen.“

Weltweit bekannt

Das Harz der einzigartigen Pistazienbäume (Pistacia lentiscus) wurde aber nicht nur in Rom gekaut. „Vom Römischen Reich bis nach Byzanz, über die Venezianern und die Osmanen, in den Studien des griechischen Arztes Dioscorides unter Nero, als Arznei im Jerusalem Balsam und als Süßigkeit im ersten Lokum in Konstantinopel, bis zum traditionellen Saliq von Saudi-Arabien verzauberte Mastix die Menschen mit seinem einzigartigen Aroma und seinem besonderen Geschmack“ erklärt Smyrnioudis. Darüber hinaus wurde Mastix in mehreren Ländern wie Ägypten, Syrien, Armenien, Kleinasien, Konstantinopel und dem restlichen Westeuropa als besonderes  Gewürz verwendet und zum kostbaren Handelsgut.

Die kleinen gelblich-weißen Kugeln wurden bereits in der Antike vielseitig genutzt.  

Foto von Rawf8, Stock.adobe.com

Mastix als historisches Arzneimittel

Die ersten schriftlichen Hinweise auf Mastix finden sich in den Büchern und Schriftrollen der Antike. Auch in der Bibel findet sich ein Eintrag: Nehmt von den besten Erzeugnissen des Landes in eurem Gepäck mit und überbringt es dem Mann als Geschenk: etwas Mastix, etwas Honig, Tragakant und Ladanum, Pistazien und Mandeln. (Mose Genesis 43,11). Der Grund für den Wert des griechischen Baumharzes lag nicht nur in seinem Aroma: Bereits in der Vergangenheit erkannten die Menschen seine heilenden Eigenschaften: „Die persönlichen Ärzte mehrerer Kaiser verwendeten Mastix für Schönheitscremes oder Sonnenschutzmittel“, weiss Smyrnioudis. „Die Damen der Aristokratie verwendeten es bis ins 6. Jahrhundert in ihren kosmetischen Formeln für Seifen, Lippenstifte und Düfte.“

Doch auch bei ernstzunehmenden Beschwerden kam Mastix zum Einsatz. „Mastix aus Chios wurde Berichten zufolge seit mehr als 2.500 Jahren in der traditionellen griechischen Medizin zur Linderung verschiedener Magen-Darm-Erkrankungen wie Bauchschmerzen, Dyspepsie, Gastritis und bei Magengeschwüren eingesetzt. Alle großen griechischen Ärzte der Antike, wie Hippokrates, Dioscorides und Galenos, beschrieben seine positiven Eigenschaften und empfahlen seine Verwendung. Es gibt Hinweise auf die Behandlung von Husten und Magenbeschwerden, von Entzündungen des Magens, des Darms, der Leber und der Zahnhöhlen mit Mastix.“

In fast allen europäischen Arzneibüchern des 16. bis 18. Jahrhundert taucht Mastix als eine der Hauptzutaten für die Wundheilung auf. Laut Erzählungen sollen die Deutschen im ersten Weltkrieg erstmals Pflaster mit Mastix bestrichen haben – doch es gibt medizinische Aufzeichnungen, dass bereits die Türken, die Verbündeten des deutschen Kaisers, Mastix auf diese Art anwendeten um die Wundheilung zu unterstützen. Heute produziert ein US-amerikanisches Unternehmen mit Mastix bestrichene Pflaster zur Wundheilungsförderung.

Studien belegen Wirkung von Mastix

Auch heute wird Mastix vielseitig in der Medizin genutzt. Vielerorts als Hausmittel bei Bauchschmerzen zerkleinert in Wasser gerührt und getrunken, haben inzwischen zahlreiche Studien die Wirkung des Harzes belegt. „Mastiha ist ein 100% natürliches Produkt, das mehr als 80 Inhaltsstoffe enthält. Neben natürlichen Polymeren enthält es flüchtige und aromatische Inhaltsstoffe, Terpensäuren, Polyphenole, Phytosterole und eine Reihe anderer Wirkstoffe. Jeder von ihnen hat unter anderem antimikrobielle, antioxidative, intiflammatorische oder antimykotische Wirkungen. Dazu gibt es zahlreiche Forschungen“, erklärt Smyrnioudis. „Es ist erwiesen, dass Mastix im gesamten Magen-Darm-System wirkt oder das Cholesterin, den Blutzucker und Blutdruck senkt. Zudem gibt es Studien zur Wirkung auf die Mundhygiene, beispielsweise bei Karies, Xyrostomie, oder Gingivitis, und auf die Haut.“

Studien bestätigen Mastix aus Chios eine Antikrebsaktivität und in diesem Zusammenhang positive Effekte auf Dickdarm- oder Kolokteral-, Lunge-, Mund-, Pangreas- oder Prostatakrebs und Leukämie. Jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Mastix gegen Krebs wirkt und es als potenzielles zukünftiges Therapeutikum für die genannten und möglicherweise mehr Arten der Krankheit helfen könnte. In Studien mit Krankenhäusern und Universitäten werden aktuell weitere Prüfungen vorgenommen.

BELIEBT

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    Um Mastix zu gewinnen ritzen die Landwirte die Rinde der Bäume von Hand an. Der Gewinnungesprozess lässt sich nicht von Maschinen durchführen.

    Foto von Picasa

    Gestiegene Nachfrage

    Aufgrund der zahlreich positiv nachgewiesenen Eigenschaften, ist die Nachfrage nach Mastix aus Chios in den letzten Jahren gestiegen. Der Bedarf für Nahrungsergänzungsmittel, Salben, Antiseptika/Wundheilungsprodukte, allgemeine Kosmetikprodukte, Zahnpasten oder Mundwasser, für industrielle Zwecke (Kleber oder Lack), in der Tierernährung und für natürliche Aromen in Lebensmitteln, Süßwaren und Getränken will gedeckt werden. „In den letzten Jahren überstieg die Nachfrage das Angebot. Diese Situation weckt mehrere Emotionen: Einerseits sind wir sehr glücklich und stolz darauf, dass der gesamte Anbau verkauft wird, sodass die Landwirte pünktlich bezahlt und ermutigt werden, ihre Bemühungen fortzusetzen. Auf der anderen Seite möchten wir alle Bestellungen erfüllen, daher versucht unsere Verkaufsabteilung, die Prioritäten zu organisieren und die Bedürfnisse jedes Kunden bestmöglich zu erfüllen. Unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bieten den Landwirten Schulungsseminare an, um ihren Anbauprozess zu optimieren und mehr Bäume zu pflanzen. Die Ergebnisse sind vielversprechend, da in den letzten Jahren die Menge, die an das Werk geliefert wurde, gestiegen ist“, so Smyrnioudis.

    Im Jahr 2019 erreicht die Produktion die Rekordmenge von 190.000 kg, besonders mit Blick auf die aufwändige Produktionsmethode ein Erfolg. Die traditionelle Gewinnung von Mastix steht auf Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco, denn „es ist eine Familienangelegenheit und erfordert das ganze Jahr über Arbeit von Hand und viel Aufmerksamkeit. Aufgrund der natürlichen Gegebenheiten ist es schwierig Maschinen für den Anbau zu verwenden. Wir nutzen soweit es geht die Technologie von heute, um den Landwirten zu helfen. Zum Beispiel gibt es besser konstruierte Utensilien als die handgefertigten der Vergangenheit. Doch der gesamte Anbau wird nach wie vor traditionell von Hand durchgeführt“, beschreibt der Experte die Situation.

    Die Bäume wurden und werden im gesamten südlichen Teil der Insel Chios kultiviert. Die Lebensdauer eines Baumes beträgt mehr als 150 Jahre. „Hier auf der Insel sagt man, die Generationen ändern sich, aber die Bäume bleiben gleich“, erzählt Smyrnioudis. Besucher finden auf einer Tour durch die Felder wirklich alte Bäume, die immer noch produktiv sind. Die Kultivierung des Mastix erfolgt seit Jahrhunderten nahezu gleich. Aus diesem Grund gehört das Know-how der Mastix-Kultivierung auf die Liste der Unseco.

    Um die Füße der Bäume wird Kalkstaub gestreut, damit der austropfende Harz nicht mit Erde verklebt.

    Foto von Tolga Ildun, Stock.adobe.com

    Die Tränen von Chios

    Erst ab einem Alter von ungefähr fünf Jahren produziert der Baum Harz. Im Spätsommer wird die Rinde der Bäume angeritzt und das Harz läuft aus. Um den Fuß der Pflanze wird Kalkstaub gestreut, damit die Harztopfen leicht aufgesammelt werden können, nachdem sie ungefähr zwei Wochen getrocknet sind. Erst dann sind die ätherischen Öle verdunstet. Die Bauern nennen die kleinen, weißlich-gelben Kügelchen „Tranen von Chios“, denn sie sagen ihre Bäume weinen. Für ein Kilo des Harzes werden ungefähr 10 Bäume geritzt. Dass der Mastix-Baum nur auf Chios wächst und das flüssige Harz in ausreichender Menge produziert, liegt an drei Hauptfaktoren, erklärt Smyrnioudis: „Das erste ist das spezielle Mikroklima der Region Mastichochoria. Chios hat eine längliche Form mit hoch bewaldeten Bergen im nördlichen Teil, welche die Feuchtigkeit speichern und die Nordwinde schwächen. So herrscht im südlichen, hügeligen Teil ein besonderes Klima, das im Winter mild und im Sommer sehr trocken ist. Es regnet oft überall auf der Insel, außer dort. Die trockenen und warmen Sommer des Bezirks lassen den Mastix trocknen. Gleichzeitig trägt die alkalisch-vulkanische Zusammensetzung des Bodens in Südchios zur hervorragenden Entwicklung der Bäume bei.“

    Als zweiten Grund nennt der Experte die Selektion der Bäume mit den gewünschten Eigenschaften. Seit der Antike werden auf Chios die Bäume gefunden und kultiviert, die mehr und besseres Harz produzieren. Im Laufe der Jahrhunderte hat diese Auslese eine neue Baumart geschaffen, die viel Mastix produziert. Die moderne Botanik hat diese Bäume als eigenständige Unterart mit dem Namen Pistacia Lentiscus var. Chia / Chios-Sorte der Familie der Anardiaceae klassifiziert. „Zu guter Letzt trägt das gute Management der alten Bauern, die den Anbau von Mastix systematisierten und das Produkt standardisierten, zur gesteigerten Produktion und erhöhtem Verkauf bei“, schliesst Smyrnioudis ab.

    Die Kultivierung des Mastix erfolgt seit Jahrhunderten nahezu gleich. Die traditionelle Gewinnung von Mastix steht auf Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco.

    Foto von Chios Mastiha Growers Association

    Sollten wir alle jeden Tag Mastix kauen?

    Smyrnioudis bezeichnet den täglichen Verzehr von Mastix aus Chios als ein großes Geschenk für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Er berichtet von Verbrauchern, die Mastix seit vielen Jahren täglich in Form von Kaugummi für die Mundgesundheit oder in Pulver- bzw. Kapselform für die Magen-Darm-Gesundheit verwenden. Wenn wir also, wie die alten Römer, täglich Mastix kauen, müssen wir nur auf eines achten: „Auf dem Weltmarkt gibt es viele Betrugsfälle mit Harzen von anderen Bäumen, die behaupten Mastix aus Chios zu sein.“ Aus diesem Grund wurde eine DNA-Analysemethoden entwickelt, um die höchste Qualität zu gewährleisten! Und um uns das Mastix-Kauen nicht durch einen üblen Beigeschmack zu verderben.

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