5.000 Jahre alter Opferschacht im Harz entdeckt

Ruhestätten mit Blick auf den Brocken: Archäologen haben in der Nähe von Halberstadt einen Schacht entdeckt, in dem vor über 5.000 Jahren Tiere geopfert wurden. Daneben fanden sie ein Steinkistengrab, das weitere Hinweise zu der damaligen Kultur liefert.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 31. März 2023, 16:14 MESZ
Verschiedene Tierknochen

Die Überreste aus dem Schacht. Darunter befinden sich die Knochen eines Hundes, eines Rindes und die dreier halbjähriger Hasen.

Foto von Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Klaus Bentele

Lange Zeit glaubten Menschen der verschiedensten Religionen und Kulturen, den Fortbestand und das Wohlergehen ihrer Gruppe durch Opfergaben beeinflussen zu können. Im Mitteleuropa des 3. und 4. Jahrtausends v. Chr. wurden dazu beispielsweise Schächte angelegt, in denen Menschen ihre Opfergaben platzierten.

Einen solchen Opferschacht haben Archäologinnen und Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt nun auch in Halberstadt im Harz entdeckt. Der Schacht ist mindestens 4.800 Jahre alt und enthält die Knochen mehrerer Tiere – darunter ein Rind, dem ein Widderkopf aufgelegt wurde, ein Hütehund und drei junge Hasen.

Der Fund folgte auf die Entdeckung eines Steinkistengrabs aus dem frühen 3. Jahrtausend v. Chr., das der Kugelamphorenkultur (KAK) zugeordnet werden konnte. Der unmittelbar davon entfernte Opferschacht wurde möglicherweise ebenfalls von dieser Kultur genutzt und könnte somit der erste sein, der dieser zugeordnet werden kann. 

Luftbild der Fundstätte Halberstadt Ost. Opferschacht und Steinkistengrab sind nur wenige Meter voneinander entfernt.

Foto von Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Klaus Bentele

Opferschacht mit tierischem Inhalt

Entdeckt wurde der Opferschacht im Rahmen archäologischer Grabungen, die durch das LDA Sachsen-Anhalt auf dem zukünftigen Daimler-Gelände in Halberstadt durchgeführt wurden. Der Schacht fiel dem Team unter der Leitung der Archäologin Susanne Friedrich zunächst durch eine sichtbare Steinsetzung über dem Schacht auf. Bei den anschließenden Grabungen offenbarte sich dem Team ein insgesamt etwa 2 Meter tiefer Schacht, in dem auf verschiedenen Ebenen Tierknochen niedergelegt worden waren.

BELIEBT

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    Schematische Darstellung des Opferschachts und der jeweiligen Tiefe, in der die einzelnen Überreste gefunden wurden.

    Foto von Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Jochen Fahr/Anke Herrmann/Birte Janzen

    Dass es sich bei den Tierbestattungen um Opferrituale handelte, kann man laut Susanne Friedrich vor allem an der Art der Niederlegung erkennen. „Ganz unten im Schacht haben wir eine Teilbestattung eines Rindes, dem ein Widderkopf aufgelegt wurde“, sagt sie. Man habe so ganz bewusst ein Bild geschaffen und nicht einfach Überreste von Tieren in das Loch geworfen. „Wir haben es also mit den Überresten kultischer Handlungen zu tun.“

    Auch die Auswahl der Tiere zeigt, dass es sich bei den Tieren um Opfergaben handelte. „Um die Götter wohlzustimmen, wurde immer etwas Besonderes geopfert“, sagt Friedrich. Gerade die Rinder und der Hütehund, die im Opferschacht von Halberstadt gefunden wurden, waren der damaligen Gesellschaft wichtig. „Rinder waren etwas Besonderes, eine Garantie für die Nahrungsgrundlage. Hütehunde spielten bei der Rinderhaltung natürlich auch eine wichtige Rolle.“ 

    Bei den drei gefundenen Hasen handelt es sich laut Friedrich um gerade einmal sechs Monate alte Jungtiere. „Ich denke schon, dass wir hier an Fruchtbarkeitssymbole denken dürfen“, so Friedrich. Fruchtbarkeit ist neben einer stetigen Lebensmittelversorgung der wichtigste Garant für den Fortbestand einer Gesellschaft. Die sehr jungen Hasen sollten das wohl repräsentieren.

    Kugelamphorenkultur: Bestattungen mit Blick auf den Brocken

    Nur wenige Meter von dem Schacht entfernt befindet sich das bereits Anfang des Jahres entdeckte Steinkistengrab, das man durch die Grabbeigaben und die Art der Bestattung genauer datieren kann als das Innere des Schachtes. Die Bestattung fand vor etwa 4.800 Jahren statt, also im Mittelneolithikum. Der bestattete Mann war somit Angehöriger der Kugelamphorenkultur. Laut Friedrich kann man bislang nicht sagen, wer genau in dem Grab liegt, allerdings deuten die Umstände darauf hin, dass das Grab kein gewöhnliches war. So habe man dem Toten beispielsweise ein ausgezeichnet geschliffenes Beil mitgegeben. „Das ist schon etwas Besonderes“, sagt sie.

    Und auch den Ort der Bestattung hält Friedrich für signifikant. Denn sowohl das Steinkistengrab als auch der Opferschacht wurden auf einer markanten Höhe errichtet, die einen freien Blick auf den Brocken erlaubt. „Es gab für die Menschen sicherlich einen Bezug zu diesem besonderen Platz“, so die Archäologin. 

    Unklar ist bislang dennoch, ob die Kultur, aus der das Steinkistengrab stammt, auch den Opferschacht errichtete. Anhand von Keramikscherben, die im oberen Bereich des Opferschachtes gefunden wurden, kann man aber zumindest feststellen, dass die Menschen von der Existenz des Schachtes wussten. Ob der Schacht während der Zeit der KAK auch genutzt wurde, kann man noch nicht genau sagen. „Es ist auch möglich, dass der Schacht 200-300 Jahre vor der Zeit, aus der auch das Steinkistengrab stammt, genutzt wurde“, sagt Friedrich.

    Gewissheit könnten bald folgende C14-Datierungen der Überreste aus dem Opferschacht bringen. So könnte das Geheimnis darum gelüftet werden, wer genau den Schacht erbaute – und mit seiner Hilfe den Göttern huldigte.

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