Stand-Up-Comedy aus dem Mittelalter: Was man vor 600 Jahren lustig fand

Mordende Hasen und Blähungen – ein englischer Forscher hat Aufzeichnungen eines Minnesängers aus dem 15. Jahrhundert identifiziert. Sie geben Einblicke in die damalige Witzkultur und zeigen: Der Schwarze Humor der Briten hat lange Tradition.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 9. Juni 2023, 08:45 MESZ
Auszug aus dem Heege Manuskript.

Auszug aus dem Heege Manuskript, in dem die Aufzeichnungen des mittelalterlichen Comedians gefunden wurden. Belustigt wurde das Publikum wohl unter anderem von Geschichten über lanzenstechende Bären und mordende Hasen.

Foto von National Library of Scotland / CC BY 4.0

Wir schreiben das Jahr 1480. Ein Minnesänger reist entlang der Grenze zwischen Derbyshire und Nottinghamshire in England durch Tavernen, über öffentliche Plätze und Jahrmärkte. Neben den üblichen Gesängen und Gedichten trägt er vor allem eines vor: humoristische Geschichten, die man sich ein bisschen so vorstellen kann wie heutige Stand-Up-Comedy.

Vor seinen Witzen ist dabei niemand sicher: Witze über Blähungen und Trunkenheit sowie Könige und Priester sind beliebte Themen des Barden. Unter den komödiantischen Nummern befindet sich unter anderem auch eine satirische Predigt aus der Sicht eines Geistlichen, die das Publikum dazu auffordert, sich zu betrinken. „Gott liebt weder Pferd noch Stute, aber fröhliche Männer, die trinkfest sind“, heißt es in diesem Text.

Von Trinkpredigten bis hin zu feiernden Schweinen

Weitere Auszüge aus dem Manuskript beinhalten ein aus Alliterationen bestehendes Nonsense-Gedicht über Robin Hood, kämpfende Bären und tanzende Schweine: The Battle of Brackonwet. In anderen Auszügen lassen sich Reime über Blähungen finden. 

„Stand-up-Comedy war schon immer gewagt, und diese Texte sind es! Sie machen sich über jeden lustig, ungeachtet des Standes“, sagt Literaturwissenschaftler James Wade von der Cambridge University, der die Comedy-Routine aus dem 15. Jahrhundert entdeckt und analysiert hat. Er war beim Durchsehen der bereits bekannten Heege Manuskripte darauf aufmerksam geworden, dass der Verfasser dieser Aufzeichnungen, Richard Heeg, wohl die Programmnotizen eines Minnesängers mit in seine Schriften aufnahm. 

Barden sind heute vor allem für ihre musikalischen Fähigkeiten beim Minnesang bekannt. Dass sie auch gerne humoristische Geschichten erzählten ist zwar überliefert, aber bisher kaum bewiesen.

Foto von Bodleian Libraries, University of Oxford / CC-BY-NC 4.0

Im Rahmen einer Studie, die im Fachmagazin The Review of English Studies erschienen ist, hat Wade die Manuskripte deshalb erneut durchgesehen – und ist so dem Humor des mittelalterlichen Englands auf die Spur gekommen.

Ursprung des britischen Humors?

Seinen Angaben nach geben die Aufzeichnungen Einblicke in eine Kunst, die weitgehend verloren gegangen ist: „Manuskripte bewahren oft Relikte der hohen Kunst. Das hier ist etwas anderes. Es ist verrückt und anstößig, aber genauso wertvoll“, sagt Wade.

Zur Zeit, als der Minnesänger diese Geschichten erzählte, war die politische Situation in England zerrüttet. Die Rosenkriege endeten erst im Jahr 1487 und den meisten Menschen in England ging es schlecht. Umso wichtiger war damals wohl die Aufgabe der Minnesänger, die mit ihren Auftritten den Menschen halfen, ihre Sorgen zu vergessen. „Damals feierten die Menschen viel mehr als heute“, so Wade. „Minnesänger waren extrem wichtige Figuren im Leben der Menschen, quer durch die soziale Hierarchie.“ 

Vorgänger heutiger Comedy-Shows

Außerdem seien die Texte spannende Vorgänger zu modernen britischen Comedy-Shows. „Die Selbstironie und die Tatsache, dass das Publikum zur Zielscheibe der Witze gemacht wird, sind immer noch sehr charakteristisch für die britische Stand-Up-Comedy“, sagt Wade. Die Geschichte des mordenden Hasen, der seine einfältigen Jäger überlistet, ist beispielsweise auch aus dem Film Die Ritter der Kokosnuß der britischen Comedy-Gruppe Monty Python aus dem Jahr 1975 bekannt.

BELIEBT

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    Heege, der die Texte vermutlich aus dem Repertoire eines Minnesängers kopiert hat, nennt in seinem Manuskript nicht den Namen des Barden. Wer genau diese Witze vortrug, lässt sich also nicht beantworten. Wade glaubt aber, dass es sich um einen lokalen Minnesänger handelte, der nicht an einen konkreten Aufführungsort gebunden war. Somit sei der Minnesänger „jemand gewesen, dessen Material zwar mehrere lokale Ortsnamen enthält, dessen Material aber auch zum Reisen gemacht ist und dazu, das Publikum unabhängig von einem bestimmten Ort komisch zu unterhalten“.

    Wade hofft nun, dass im Laufe der Zeit noch weitere Zeitdokumente auftauchen, in denen mittelalterliche Comedy festgehalten wurde. Die nun entdeckten Texte kamen ihm schließlich auch nur durch Zufall beim Durchsehen des Heege Manuskripts unter.

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