Rassismus in der Mode: Die Designerin, die nicht genannt werden durfte

Ann Lowe entwarf das Brautkleid von Jackie Kennedy – aber das sollte niemand erfahren. Der Grund: ihre Hautfarbe. Über eine talentierte Modeschöpferin und die Heuchelei der höheren Gesellschaft.

Von Cathy Newman
Veröffentlicht am 6. Nov. 2023, 08:47 MEZ
Schwarzweiß Bild von Ann Lowe in ihrem Studio am Telefon.

Sie war die modische Geheimwaffe der amerikanischen High Society des 20. Jahrhunderts: Ann Lowe designte Debütantinnen- und Brautkleider – auch für Jackie Kennedy. Doch es dauerte Jahre, bis sie die verdiente Anerkennung bekam.

Foto von Moneta Sleet Jr., Johnson Publishing Company Archive, Courtesy J. Paul Getty Trust and Smithsonian National Museum of African American History and Culture

Das Kleid, in dem Jacqueline Lee Bouvier am 12. September 1953 John F. Kennedy heiratete, erinnerte an einen extravaganten Wasserfall aus elfenbeinfarbener Seide, verziert mit raffinierten Falten und handgestickten Rosetten. Aber wer hatte es entworfen? Die Presse berichtete über jedes noch so kleine Detail des Großereignisses: vom Essen, das den Gästen serviert wurde (Huhn in Rahm und Petit Fours), bis hin zur Zahl der Ringe der mehrstöckigen Hochzeitstorte (sechs). Den Namen der Person, die das Brautkleid kreiert hatte, suchte man jedoch vergebens.

Auch in einem Interview, das die damalige First Lady Jacqueline Kennedy der Zeitschrift Ladies Home Journal im Jahr 1961 gab, wurde er nicht erwähnt. Eine Schwarze Frau hätte es gemacht, hieß es darin lediglich, „es ist nicht Haute Couture.“ Möglicherweise hätte Jackie selbst den Pariser Chic sogar bevorzugt – immerhin hatte sie einige Jahre in der französischen Hauptstadt studiert. Doch ihr Schwiegervater Joseph P. Kennedy fand eine französische Kreation für die Braut eines U.S.-Senators, dessen politische Karriere sich gerade im Höhenflug befand, nicht angemessen.

Bei aller Geheimnistuerei: Die Schwarze Frau hinter dem Kleid hatte einen Namen. Sie hieß Ann Lowe und hatte genug Talent, um sich mit jedem französischen Modemacher zu messen.

Die abwertende Behandlung traf sie hart. Laut einem Bericht, der im Jahr 2021 im New Yorker erschien, teilte Lowe der First Lady in einem Brief mit, dass sie es vorzog, als renommierte Designerin bezeichnet zu werden, „was ich in jeder Hinsicht bin […] Jegliche Aussage, die das Gegenteil nahelegt, verletzt mich tiefer, als Sie es sich vielleicht vorstellen können.“

Ann Lowe in ihrem New Yorker Salon im Jahr 1966. Das Model Judith Palmer trägt eine von Lowe entworfene Robe aus italienischer Mikado-Seide mit aufgestickter schwarzer Spitze.

Foto von Moneta Sleet Jr., Johnson Publishing Company Archive, Courtesy J. Paul Getty Trust and Smithsonian National Museum of African American History and Culture

Eine renommierte Designerin war Ann Lowe ohne Zweifel. Auf ihrer Kundenliste fanden sich die Namen der großen Familien der US-amerikanischen High Society – unter anderem Roosevelt, Rockefeller und DuPont. Sie entwarf Roben für Janet Auchincloss, Jackie Kennedys Mutter, und hatte für Jackie und ihre Schwester Lee Debütantinnenkleider designt. Lowe traf Christian Dior in Paris zum Tee. Namhafte Modegeschäfte wie Neiman Marcus und Henri Bendel verkauften ihre Kreationen. „Für jeden Designer wären das riesige Errungenschaften – für eine Schwarze Modeschöpferin umso mehr“, sagt Elaine Nichols, Kuratorin am National Museum of African American History and Culture in Washington D.C..

Die Saturday Evening Post nannte Lowe einmal „Das bestgehütete Geheimnis der höheren Gesellschaft“. „In den Kreisen der reichsten Familien Amerikas war sie alles andere als ein Geheimnis“, sagt Nichols, die die Bezeichnung erniedrigend findet. „Zu diesem Zeitpunkt befand sich Ann Lowe auf dem Zenit ihres Schaffens. Aber wenn die Kunden stolz erzählten, wessen Kreationen sie trugen, erwähnten sie nur Christian Dior, Chanel, Balenciaga und andere Weiße. Man darf nicht übersehen, welche große Rolle die Hautfarbe damals gespielt hat.“

Lowe setzte sich trotzdem durch. Mit Beharrlichkeit, Mut und Leidenschaft verwirklichte sie ihren Traum, Mode zu schaffen. Doch Rassismus, gesellschaftliche Konventionen und finanzielle Probleme führten dazu, dass sie nie die Anerkennung bekam, die sie verdient hätte. Damals wie heute.

BELIEBT

    mehr anzeigen
    Links: Oben:

    Ann Lowe und ihre Mitarbeiterin Florence Cowell vor Lowes Geschäft an der Madison Avenue in New York im Jahr 1966. Lowe war die erste Afroamerikanerin, die in der noblen Einkaufsstraße eine eigene Modeboutique eröffnete.

    Foto von Moneta Sleet Jr., Johnson Publishing Company Archive, Courtesy J. Paul Getty Trust and Smithsonian National Museum of African American History and Culture
    Rechts: Unten:

    Jacqueline Kennedy im Jahr 1953 in ihrem Brautkleid. Erst viele Jahre später wurde bekannt, dass Lowe es entworfen hatte. Bis dahin war lediglich von einer „Schwarzen Frau“ die Rede.

    Foto von Bachrach, Getty Images

    Kleider für die gesellschaftliche Elite

    Ann Lowe kam – vermutlich im Jahr 1898 – in Clayton, Alabama, auf die Welt. Sowohl ihre Großmutter, die in die Sklaverei geboren worden war, als auch ihre Mutter waren begabte Schneiderinnen, die für die Mitglieder der höheren Gesellschaft von Montgomery Roben nähten.

    „Bis ins 20. Jahrhundert standen Schwarzen Frauen nur wenige Berufe zur Wahl – Schneiderin war einer von ihnen“, sagt Elizabeth Way vom Fashion Institute of Technology, Kuratorin der Ausstellung Ann Lowe American Couturier im Winterthur Museum in Delaware. „Das Kleidermachen bot ein sicheres, sauberes Arbeitsumfeld und den Frauen die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen.“

    Im Alter von acht Jahren nähte Lowe sich selbst ein Kleid, mit zehn Jahren stellte sie eigene Schnittmuster her. Als ihre Mutter im Jahr 1914 starb, stellte Lowe vier Roben fertig, die die First Lady von Alabama in Auftrag gegeben hatte. Sie nannte es die erste große Prüfung ihres Lebens.

    Wie sie sich dabei gefühlt hätte, fragte sie der Talkmaster Mike Douglas, als Lowe im Jahr 1964 in seiner Sendung zu Gast war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich in der US-amerikanischen Presse inzwischen einen Namen gemacht und es war bekannt, dass sie das Hochzeitskleid von Jackie Kennedy entworfen hatte.

    „Ich habe gar nicht darüber nachgedacht“, antwortete sie. „Ich konnte alles erschaffen, was ich wollte.“

    Im Jahr 1928 zog Lowe nach New York und baute sich einen kleinen, aber erlesenen Kundenstamm auf. „Ich arbeite nicht für Jedermann, sondern für die Familien der höheren Gesellschaft“, sagte sie in einem Interview mit dem Magazin Ebony. Die Elite respektierte sie. Trotzdem war sie Way zufolge für die weißen Frauen, deren Kleider sie entwarf, nicht mehr als eine Dienstleisterin. „Sie verstand es, mit ihnen auf einer Ebene zu interagieren, die die sozialen und Rassenunterschiede zwischen ihnen gekonnt überwand. In den Zwanzigerjahren entwarf sie Brautmode. In einem Zeitungsartikel, der damals über sie erschien, steht, dass sie, wenn sie auf einer Hochzeit erschien, um letzte Änderungen an den Kleidern vorzunehmen, immer eine Dienstmädchenuniform trug.“

    Ann Lowe inspiziert im Jahr 1966 eine ihrer Kreationen. Die High Society liebte ihre Kleider, war jedoch oft nicht bereit, die Preise zu zahlen, die Lowe verlangte. Unter anderem aus diesem Grund war die Designerin regelmäßig in finanziellen Schwierigkeiten.

    Foto von Moneta Sleet Jr., Johnson Publishing Company Archive, Courtesy J. Paul Getty Trust and Smithsonian National Museum of African American History and Culture

    Pleite trotz Talent

    Lowes Kreationen waren von exquisiter Qualität. Jede Perle wurde einzeln aufgenäht. Es gab viele versteckte Details: Säume mit weißer Spitze oder eine kleine blaue Schleife, die sie an der Innenseite des Unterrocks von Jackies Brautkleid anbrachte. Blumen, die aufgestickt, handgemalt oder aus einzelnen seidenen Blütenblättern genäht, in Spalieren am Rücken von Lowes Roben hinunter rankten.

    Auch Schnitt und Passform waren makellos. Die inzwischen verstorbene Modehistorikerin Margaret Powell schrieb über Lowe: „Die Kunden kamen an dem Tag, an dem sie ihr neues Kleid tragen wollten in Lowes Boutique […]  Sie zogen ihre Roben an […]  und starteten direkt in den Abend. Die Kleider saßen immer sofort perfekt.“

    Probleme waren meist finanzieller Art. Immer wieder war Lowe dem Ruin nahe. Ihre Boutiquen öffneten und mussten wieder schließen. Im Jahr 1962 schuldete sie ihren Lieferanten 10.000 US-Dollar und hatte ausstehende Steuerzahlungen in Höhe von 12.800 US-Dollar. Den ersten Betrag bezahlte sie mit Geld, das Freunde ihr liehen. Die Steuerschulden wurden anonym beglichen. Lowe hatte Jackie Kennedy als Wohltäterin in Verdacht.

    Wie es möglich sei, solche Probleme zu haben, wenn man davon lebte, Kleider für Reiche zu machen, fragte Mike Douglas. „Die geben doch viel Geld aus?“

    Nein, das täten sie nicht, war Lowes Antwort. 

    Lowe war eine Meisterin ihres Fachs – ihre Kreationen saßen immer perfekt. In den späteren Jahren ihrer Karriere wurde sie für ihr Können endlich weithin anerkannt. Die Leidenschaft für Mode verlor sie, selbst nachdem sie ihre Arbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, nie.

    Foto von Moneta Sleet Jr., Johnson Publishing Company Archive, Courtesy J. Paul Getty Trust and Smithsonian National Museum of African American History and Culture

    Es gab mehrere Gründe für Lowes finanzielle Sorgen. Einer war, dass ihre wohlhabenden Kunden mit ihr um die Preise feilschten. „Bei einem französischen Modehaus hätten sie das wahrscheinlich nicht getan“, sagt Way. Ein Deal mit der Kaufhauskette Saks Fifth Avenue endete katastrophal, als Lowe feststellte, dass sie für die Personal- und Materialkosten des Salons selbst aufkommen musste. „Sie hätte eine gute Buchhaltung gebraucht“, sagt Nichols. „Ich wünschte, das hätte ihr jemand ermöglicht.“

    Auch die Bouvier-Kennedy-Hochzeit war ein Verlustgeschäft. Kurz vor dem Großereignis ruinierte ein Wasserschaden in Lowes Studio das Brautkleid und die Kleider der Brautjungfern. Lowe und ihrem Team blieben nur zehn Tage, um alles noch einmal zu nähen. Am Ende blieb sie auf Kosten in Höhe von 2.200 US-Dollar sitzen – doch sie sprach nicht darüber. Als sie mit den Kleidern an der Hochzeitslocation ankam, wurde sie aufgefordert, durch den Dienstboteneingang zu gehen. Das lehnte sie ab und drohte, mit den Kleidern wieder zurück nach New York zu fahren. Schließlich durfte sie doch den Haupteingang benutzen.

    Es war das Schöpfen von Mode, das Lowe antrieb – nicht das Geld. „Wenn ich Kleider entwerfe […] möchte ich am liebsten vor Freude hüpfen“, sagte sie. Sie liebte das Aufsehen, das ihre Kreationen erregten, wenn die Debütantinnen in ihnen den Ballsaal betraten. „So wie einmal jemand sagte: ‚Die Kleider von Ann Lowe waren die eigentliche Attraktion beim Kotillon letzte Nacht‘.“

    Eine Sehbehinderung und Altersschwäche zwangen Lowe im Jahr 1972 in den Ruhestand. Ihre Leidenschaft für Mode verlor sie aber nie. „Ich habe noch Tausende Ideen für Kleider im Kopf“, sagte sie in einem Interview im Jahr 1981, kurz vor ihrem Tod. „Ich sehe sie vor meinem inneren Auge, jedes kleine Detail.“ Sie war alt, gebrechlich und blind – doch im Geiste konnte sie noch immer Kleider erschaffen, die geradewegs einem Märchen entsprungen zu sein schienen.

     

    Zum 60. Jahrestag der Ermordung von John F. Kennedy zeichnen wir die historischen Ereignisse in Echtzeit nach – mit Aussagen der letzten lebenden Zeitzeugen und nie zuvor veröffentlichten Farbbildern.

    „JFK: Ein Tag in Amerika“ – das große TV-Event, mittwochs ab 8. November um 20:15 Uhr auf National Geographic im TV. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.

     

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved