Erste Siedler in Amerika aßen Hunde
Analysen von Hundeknochen aus der Kolonie Jamestown zeigen, wie komplex die Beziehungen zwischen Siedlern und Indigenen waren. Und, dass Hunde in Hungersnöten auf dem Speiseplan der Siedler landeten.
John Smith bei der Ankunft in Nordamerika. In der Popkultur wurde Smith durch seine angebliche Liaison mit der Häuptlingstochter Pocahontas bekannt. Eine Geschichte, die er selbst so aufschrieb und vermutlich wenig Wahrheitsgehalt enthält.
1607 gründete eine Gruppe englischer Siedler die erste feste englische Kolonie auf nordamerikanischem Boden: Jamestown, im heutigen US-Bundesstaat Virginia. Die nach dem englischen König James I. benannte Siedlung beherbergte nach der Abreise eines Teils der Siedler anfangs 104 Engländer*innen – und laut Aufzeichnungen einige Hunde, die die Kolonialist*innen aus England mit auf ihre Reise genommen hatten.
Im Rahmen einer aktuellen Studie, die im Fachmagazin American Antiquity erschienen ist, hat ein US-amerikanisches Forschungsteam nun herausgefunden, dass diese europäischen Hunde jedoch nicht die einzigen waren, die Anfang des 17. Jahrhunderts in Jamestown lebten. Auch Knochen von Hunden mit amerikanischer DNA wurden in der Kolonie gefunden – mitsamt Spuren, die darauf hinweisen, dass diese Hunde von den Siedlern gegessen wurden.
Indigene Hunde in einer europäischen Kolonie
Seit die englischen Siedler 1607 in Nordamerika ankamen, gab es Spannungen zwischen ihnen und den Einheimischen, die unter dem Häuptling Wahunsenacawh standen und zu den Powhatan People gehörten. Schließlich brachten die Europäer*innen unbekannte Krankheiten in das Land, fühlten sich den Indigenen überlegen und wollten ihre Autorität in ,der neuen Welt‘ durchsetzen.
Trotz der Konflikte scheint die Beziehung zwischen den Siedlern und den Indigenen so komplex und verzweigt gewesen zu sein, dass sich ihre Hunde miteinander paaren konnten, wie die Studie des Forschungsteams um Anthropologin Ariane E. Thomas von der University of Iowa nun zeigt. Im Rahmen dieser untersuchten die Forschenden die Knochen von mehreren Hunden, die im Zeitraum zwischen 1609 und 1617 in Jamestown wohnten. Bei sechs der Tiere konnten sie DNA indigener Hunde nachweisen – ein Zeichen dafür, dass sich die Hunde der Einheimischen und Siedler miteinander gepaart haben müssen.
Paarung europäischer und amerikanischer Hunde
Dabei gibt es mehrere Theorien, wie es zu der tierischen Zusammenkunft kam. Möglich ist, dass die Indigenen ihre Hunde einfach mit in die Siedlung gebracht hatten und sich die Hunde dort ungeachtet der Konflikte ihrer Besitzer*innen paarten. „Es gibt zahlreiche schriftliche Berichte über amerikanische Ureinwohner, die in der Kolonie lebten und arbeiteten“, so die Forschenden.
Es ist aber auch möglich, dass die Siedler die Hunde der Indigenen stahlen – oder sie in Notzeiten anderweitig erwarben. Denn: Die Europäer*innen hatten mit ihrer Ankunft nicht nur Unheil über die Powhatan gebracht, sondern kamen auch selbst zunächst nur schlecht zurecht. Es ist wahrscheinlich, dass sie in Zeiten von Hungersnöten auf die Indigenen angewiesen waren – und deren Hunde zum Verzehr benötigten.
Hunde auf dem Speiseplan
Das bestätigen die Schnittspuren auf den Knochen der sechs Hunde: Sie zeigen, dass die Hunde von den Siedlern geschlachtet und gegessen wurden – jeweils ungefähr zu den Zeiten, in denen nachweislich besonders große Hungersnöte in der Kolonie herrschten. Diese Erkenntnis deckt sich mit Informationen, die man bereits aus anderen Kolonien sammeln konnte. „Spanische, französische und englische Kolonisten berichteten häufig, dass sie sich in Zeiten der Knappheit oder wenn die Jagd nicht möglich war, von Hunden ernährten“, heißt es in der Studie. Dabei habe es sich meist um einheimische Hunde oder Hunde mit einheimischer Abstammung gehandelt – und seltener um die eigenen Hunde, die die Europäer*innen mitgebracht hatten.
Die Schnittspuren auf den Knochen der Hunde, die auf die Schlachtung und den Verzehr der Tiere hinweisen.
Grund dafür war möglicherweise, dass sich die Siedler*innen ohnehin in vielerlei Hinsicht den Ureinwohner*innen überlegen fühlten – und diese Ideologie auch auf die Hunde ausweiteten. „Die soziale Spaltung der Europäer und das Streben nach weißer Autorität und Überlegenheit in Amerika waren weit verbreitet und wirkten sich wahrscheinlich auf andere, eng mit ihnen verbundene Arten aus, insbesondere auf Hunde“, heißt es in der Studie. Sie legten viel Wert auf die Rasse ihrer eigenen Hunde und versuchten, diese rein zu halten. Umso interessanter ist es dann laut der Studie, dass es in diesem Fall dennoch zur Paarung zwischen den verschiedenen Hunden kam.
Klar ist: Durch das überlegene Verhalten der Siedler, waren die Einheimischen immer weniger gewillt, mit ihnen Geschäfte zu machen – worauf die Kolonialisten mit Überfällen auf Powhatan-Dörfer reagierten, bei denen sie Vorräte und Ernten stahlen. Ob sie es sich also eingestehen wollten oder nicht: Ohne die Indigenen war ihnen das Überleben nicht möglich – und auch nicht ohne deren Hunde.