Drogengeschichte: Seit wann konsumieren Europäer Kokain?
Kokainhydrochlorid, also das isolierte Kokain-Salz, ist die gebräuchlichste Form von Kokain.
Schon seit Tausenden von Jahren ist der Konsum von Kokain bei Menschen beliebt. Studien zufolge werden die Blätter der Kokapflanze (Erythroxylum coca) in Südamerika bereits seit 4.000 bis 8.000 Jahren gekaut. Das heute bekanntere Kokain-Pulver, das aus der isolierten aktiven Komponente der Pflanze besteht, gibt es dagegen erst seit dem 19. Jahrhundert: 1859 wurde das Hydrochlorid-Salz, also das Koks zum Schnupfen, entwickelt.
Obwohl der Kokainkonsum in Europa erst ab diesem Zeitpunkt richtig Fahrt aufnahm, war die Kokapflanze schon vorher in Europa bekannt – laut einer neuen Studie sogar noch früher als bisher geglaubt. Die Studie besagt: Bereits um das Jahr 1600 gab es Europäer, die Erythroxylum coca konsumierten. Bisher glaubte man, erste Kokasträucher seien erst um das Jahr 1750 auf den Kontinent gekommen. Die Studie des italienischen Forschungsteams ist in der Fachzeitschrift Journal of Archaeological Science erschienen.
ie Blätter der Kokapflanze Erythroxylum coca. Das Kauen ihrer Blätter ist vor allem in den Bergregionen Südamerikas weit verbreitet, weil es neben seiner berauschenden Wirkung auch gegen die sogenannte Höhenkrankheit hilft.
Spuren von Kokain in 400 Jahre alten Gehirnen
Einer der ersten Europäer, der von dem Konsum von Kokablättern berichtete, war der Italiener Amerigo Vespucci. Bei einer Reise nach Venezuela beobachtete er die Einheimischen beim Kauen einer Mischung aus Pflanzenblättern und Kalk. Etwas mehr als ein Jahrhundert später, im Laufe des 17. Jahrhunderts, war die Pflanze dann bereits in Europa angekommen – so lauten jedenfalls die Ergebnisse der Studie, die sich mit dem frühen Kokablätter-Konsum beschäftigt hat.
Im Rahmen dieser untersuchte das Team die Gehirne mehrerer Personen, die in der Ca' Granda Gruft, einer Begräbnisstätte des ehemaligen Krankenhauses Ospedale Maggiore, bestattet wurden. Die Gruft liegt in Mailand und wurde während des gesamten 17. Jahrhunderts genutzt. Bei der Analyse der teilweise erhaltenen Gehirne konnten die Forschenden in zwei Gehirnen Rückstände der Kokapflanze nachweisen. Das heißt: Die beiden in der Gruft begrabenen Individuen müssen zu Lebzeiten Kokablätter zu sich genommen haben.
Da die Droge laut den historischen Aufzeichnungen des Spitals nicht in dessen Arzneibuch aufgelistet war, vermuten die Forschenden, dass es sich nicht um vom Krankenhaus verabreichte Medizin handelte. „Die Kokablätter könnten also wegen ihrer belebenden Wirkung oder zu Erholungszwecken gekaut worden sein“, heißt es in der Studie. Außerdem lässt der Begräbnisort die Annahme zu, dass die beiden Individuen eher arm waren – ein Beweis dafür, dass die Droge damals leicht zu bekommen gewesen sein muss.
Kokainkonsum im historischen Europa
Ganz gleich zu welchem Zweck die Blätter gekaut wurden – die Untersuchungen beweisen laut den Forschenden eindeutig, dass es die Kokapflanze schon im frühen 17. Jahrhundert in Europa gegeben hat.
Im Jahr 1885 war Kokain bereits so beliebt, dass es sogar Bestandteil von Medizin für Kinder war. Wie in den Tropfen gegen Zahnschmerzen, die die Firma Lloyd Manufacturing herstellte.
Erst mehr als 200 Jahre später sollte der deutsche Chemiker Albert Niemann das kristalline, heute bekannte Koks aus der Pflanze isolieren und der Droge ihren Namen geben. Zu den ersten begeisterten Konsumenten gehörten unter anderem der Psychoanalytiker Sigmund Freud. Auch große Teile der Bevölkerung Englands schnupften die Droge während des viktorianischen Zeitalters, also zwischen 1837 und 1901. Damals war Kokain – wie viele andere Drogen – fester Bestandteil der englischen Kultur.
Auch sonst wurde die Koks Ende des 19. Jahrhunderts mit weitaus weniger Bedenken konsumiert als heute – zum Beispiel als Bestandteil der damaligen Coca-Cola oder als Medizin.